Kinder zu haben, ist ein Spiessrutenlauf geworden – so sterben wir bald aus
Bei den Dinosauriern brauchte es immerhin noch einen Asteroiden. Wir schaffen es auch so auszusterben.
In Restaurants, in Hotels, neuerdings sogar auf Campingplätzen gibt es «kinderfreie Zonen». Adults only. Kinder, das zeigen uns die Verbotsschilder, stören. Sie nerven. Sie sind nicht erwünscht. Wir wollen keine Kinder. Zumindest nicht heute und nicht hier.
Kinderbefreite Gebiete als Errungenschaft der Gesellschaft. Und dieses Mindset wirkt. Kinder sind vielfach noch maximal geduldet. Im öffentlichen Verkehr, in Parks und selbst in Gartenbeizen. Psst, sei ruhig! Renn nicht rum! Sitz still! Iss mit Gabel und Messer! Sag überall Grüezi! Bittebittebitte!
Kinder zu haben ist für viele Eltern ein Spiessrutenlauf geworden.
Ja, natürlich gibt es Kinder, die nerven (am meisten die eigenen), und noch viel mehr gibt es nervige Eltern, die ihren Kindern keine Grenzen setzen. Ebenso unmöglich sind die dummen Versuche, den Nachwuchs mit YouTube-Filmchen ruhigzustellen, damit daneben entspannt das Schnitzel genossen werden kann.
Eine gesunde Gesellschaft erträgt Kinderlärm
So werden kleine Digitaljunkies gezüchtet, das ist kein einziges ruhiges Essen wert. Deswegen aber alle Kinder (und Eltern) über einen Kamm zu scheren, ist komplett weltfremd. Leider ist es auch unmöglich, idiotenfreie Zonen einzuführen, da die Idioten immer die anderen sind.
Sowieso ist Separierung generell keine gute Idee: Je mehr wir uns von anderen Lebenswelten abkapseln, desto weniger Verständnis haben wir für andere Lebenswelten. Je mehr wir die Kinder aus den öffentlichen Zonen verbannen, desto mehr werden sie zum Störfaktor, wenn sie dann anwesend sind.
Eine gesunde Gesellschaft erträgt Kinderlärm. Und sie erträgt sogar ein paar Idioten.
So löst man keine Probleme
Es ist kein Wunder, dass Schweizerinnen im Schnitt immer weniger Kinder kriegen, wie jüngst neue Zahlen zeigten. Jede «Adults-only»-Zone ist ein weiteres, effektives Verhütungsmittel: Die stören ja sowieso nur. Und der Karriere stehen sie auch im Weg. Kinder sind Hindernisse. Nachwuchs passt nicht so gut in die Work-Life-Balance.
Geht es um Kinder, die im Restaurant herumrennen, dauert es meistens nicht lange und es kommt die alte Leier, dass früher alles besser gewesen sei. Und meist behauptet dann auch noch irgendwer, früher hätte man das «anders» gelöst und lächelt dabei. Doch Ohrfeigen haben noch nie irgendein Problem dieser Welt gelöst.
Die Wahrheit liegt woanders: Kinder waren normal. «Adults only» gab es auch. Aber es musste nicht extra benannt werden – 90 Prozent aller Restaurants sind nach 20 Uhr übrigens ganz automatisch kinderfreie Zonen.
Heute braucht alles einen Namen. «Adults only». Erdacht von findigen Marketingleuten, die weniger die Ruhe im Kopf haben als vielmehr den Rubel im Blick. Beworben per Social-Media-Story mit dem Versprechen «Kein Kindergeschrei» am Pool. Als wäre Alpamare der Normalfall.
Der grösste Luxus an einem Wochenende ohne Kinder ist es doch, dass man eben gerade nicht zu den Stosszeiten ins Chlorbecken muss. Und auch nicht um acht Uhr ans Zmorgenbuffet. Etwas ketzerisch behauptet: Wer es doch macht, braucht eventuell gar nicht unbedingt mehr ungestörte Paarzeit.
Sie sind unsere Zukunft
Auf Instagram posten dann Menschen aus solchen kinderbefreiten Gebieten Fotos und versehen sie mit dem Hashtag #timeforus. «Zeit für uns». Endlich wieder. Zweisamkeit ohne Kinderlärm. Bei Lovers-Cüpli und übergartem Rindsfilet merkt dann das Happy-Couple, dass das Gegenüber schmatzt und die Gespräche schon sehr langweilig werden. Im Zweifel ist es immer besser, sich gemeinsam über etwas aufzuregen als übereinander.
Sowieso: Normalisieren wir Kinder im öffentlichen Leben, anstatt sie zu Störfaktoren zu machen. Und auch wenn es banal ist, sei daran erinnert: Die Kinder sind unsere Zukunft. Sie werden unsere AHV bezahlen, uns pflegen, wenn wir alt und gebrechlich sind – und sie werden selber Kinder haben, die sie nerven.
Ohne Kinder ist bald alles «adult only».
Und am Ende bleiben bloss ein paar Versteinerungen – wie bei den Dinosauriern. (aargauerzeitung.ch)
