Viermal gestartet – Paris nie gesehen. Das ist die traurige Tour-de-France-Bilanz von Sven Montgomery. Der Berner Oberländer gilt als grosses Talent, in die Frankreich-Rundfahrt 2001 geht er als Kapitän der FDJ-Equipe. Montgomery ist gut im Rennen, liegt auf Rang 15 des Gesamtklassements, als er in den Pyrenäen einbricht. Plötzlich sind die Beine schwer wie Blei, hinauf nach Saint-Lary-Soulan geht gar nichts mehr. Mehr als 20 Minuten verliert er auf Etappensieger Lance Armstrong.
Kaum einer hält für möglich, was Sven Montgomery keine 24 Stunden später schafft. Er ist das Mitglied einer Fluchtgruppe, die gemeinsam Kurs auf das Ziel in Luz-Ardiden nimmt. «Monty» weiss, dass es auf dem Col du Tourmalet einen Sonderpreis gibt: 5000 Franken für die Mannschaftskasse. Die gibt es, weil der Tourmalet 1910 der erste Hochgebirgspass überhaupt war, der in der Tour de France je befahren wurde. Und diese Prämie sichert sich: Sven Montgomery.
Zu mehr als diesem Erfolg reicht es Montgomery in der 14. Etappe aber nicht. Denn in der Abfahrt vom Tourmalet wird er von seinen Fluchtkollegen abgehängt, da der Berner kein unnötiges Risiko eingehen will. «Vor zwei Jahren, an der Tour de l'Avenir, bin ich in dieser Abfahrt gestürzt. Da fuhr heute schon ein bisschen die Angst mit», gibt er zu Protokoll. So gewinnt der Baske Roberto Laiseka die Etappe.
Montgomery fährt also mit Köpfchen – doch das Schicksal kümmert sich keinen Deut darum. Denn in der übernächsten Etappe stürzt der 25-Jährige fürchterlich. Montgomery knallt bei einem Massensturz im hohen Tempo kopfvoran in eine Mauer, er zieht sich schwere Schädel- und Gesichtsverletzungen zu. Einen Helm habe er «wegen der Hitze» nicht getragen, erklärt sein Sportlicher Leiter. Eine Helmpflicht gibt es damals noch nicht.
Gesundheitlich erholt sich Montgomery von den Folgen des schlimmen Sturzes. Doch im Kopf fährt stets die Angst mit – und wer bremst, verliert. 2006 erklärt Sven Montgomery nach neun Saisons seinen Rücktritt. Zwei Rennen konnte er gewinnen, zweimal wurde er Bergkönig von kleinen Rundfahrten. Mit dem Radsport ist er als Co-Kommentator beim SRF weiterhin verbunden.
«Damals war ich eigentlich nur darauf aus, das Preisgeld zu holen», sagt er heute über den vielleicht schönsten Moment seiner Karriere, «welchen Mythos der Col de Tourmalet besitzt, wurde mir erst später klar, weil ich immer wieder auf jenen Tag angesprochen wurde und noch immer werde.»