Ja, es gibt noch die Situationen, die mich als Mensch, Mitarbeiter und Unternehmensberater echt berühren. So wie die filmreife Episode neulich im «Mani Matter IC-Neigezug», seit der ich über den einen und anderen «Zuspätkommer» der SBB grosszügig hinwegsehe.
Unsere Geschichte beginnt im Bahnhof Zürich. Vor der Abfahrt geniesst Gerard auf dem Perron seine Zigarette. Mein Sohn Florian bemerkt die offenstehende Zugführerstand-Türe, Gerard bemerkt den interessierten Blick meines Sohnes und lädt zur Stippvisite. Florian nimmt begeistert an.
Auf Französisch erklärt Gerard das ICN-Cockpit und ich übersetze, während Florian ausgiebig die Bestuhlung im Führerstand testet. Leider, setzt uns Gerard ins Bild, müssten wir bei Abfahrt wieder im Abteil Platz nehmen, weil die Zugverkehrsleiter im Zürcher Kommandoraum sehr streng seien.
Als wir auf Gerards Nachfrage als Ziel unserer Reise Yverdon nennen, hellen sich seine Gesichtszüge wieder auf. Nach Neuenburg komme ein sehr schöner Abschnitt, erzählt er, und wir sollen einfach anklopfen, dann werde er uns öffnen.
Nach einer Stunde adventsgleicher Vorfreude ist Bescherung für Florian. Mit grosser Sorgfalt und sichtlichem Gefallen an Florians glänzenden Kinderaugen erläutert Gerard die Funktionen der wesentlichen Bordinstrumente seines Zuges.
Schliesslich frage ich Gerard nach seiner Geschichte. In Lausanne aufgewachsen, seien sie sieben Buben im Quartier gewesen. Ein Nachbar – Lokführer – habe die Buben abwechselnd oder manchmal auch alle zusammen auf seinen Touren durch die ganze Schweiz mitgenommen.
Er ist, wie jeder seiner sechs Kollegen, Lokführer geworden. Gerard strahlt – ich mit – Tränen schiessen ein.
Dann wird Gerard nachdenklich. Gerade komme er aus den USA zurück – dort ist in jedem Führerstand eine Kamera montiert. Es sei nur eine Frage der Zeit, so Gerard, bis die SBB nachziehe und die Zeit der unbemerkten und spontan möglichen Führerstands-Fahrten beenden wird. Hoffentlich werde er, wenn es soweit ist, schon in Pension sein.
Ob der beschriebene Glücksfall im Mani-Matter-ICN für den vierjährigen Florian prägend genug gewesen sein wird, damit er Gerard beerben und dereinst zum Lokführer aspirieren wird, ist noch offen.
Sicher ist: Ich bin seit dieser Fahrt nach Yverdon nicht mehr wirklich sauer, wenn die SBB-Servicequalität zum Lamentieren einlädt. Die zweite Stellwerkstörung am Bahnhof Bern dieses Jahr? Inklusive Zugausfall Richtung Zürich. Und eine Stunde Wartezeit!? Kein Problem. Auch die mag ich der SBB – Gerard sei‘s gedankt – seither verzeihen!