In wirtschaftlich widrigen Zeiten sprechen die Ökonomen gerne von einem «perfekten Sturm», von mehreren negativen Ereignissen, die gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig verstärken. Derzeit reicht das nicht mehr. Im Vorfeld der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist nun die Rede von einer «Polykrise», und das ist gewissermassen ein perfekter Sturm auf Stelzen.
An negativen Ereignissen für die Weltwirtschaft mangelt es derzeit wahrlich nicht: 33 von 38 Zentralbanken haben ihre Leitzinsen erhöht, ein derart synchrones Vorgehen der Notenbanker ist bisher einmalig. Der starke Dollar wird zur schweren Last für die Schwellenländer. Nach wie vor sind hunderte Millionen Menschen von einer Hungerkatastrophe bedroht. Die Explosion der Energiepreise wird zur Gefahr für die Stabilität von Gesellschaften. Weder die Pandemie noch die Inflation sind besiegt. Und über allem schwebt das Damoklesschwert der Klimaerwärmung.
Angesichts dieser Polykrise ist es nicht verwunderlich, dass die IWF-Ökonomen in ihrem jüngsten «World Economic Outlook» ihre Prognosen in den düstersten Farben malen. Das aktuelle Wachstum der Weltwirtschaft wird sich halbieren, von 6 Prozent im Jahr 2021 auf 3,2 Prozent im laufenden Jahr. Nächstes Jahr soll es gar auf 2,7 Prozent sinken.
Das bedeutet auch, dass viele Staaten in eine Rezession rasseln oder schon gerasselt sind. Und dabei ist dies erst der Anfang. «Das Schlimmste steht uns noch bevor, und für viele Menschen wird sich das Jahr 2023 wie eine Rezession anfühlen», heisst es im IWF-Report.
Die Schweizer Wirtschaft steht im internationalen Vergleich gut da. Weil wir keine Schwerindustrie haben, sind wir von der Energiepreis-Explosion weniger betroffen als andere; und der starke Franken hat uns vor den schlimmsten Auswüchsen des Inflationssturms beschützt. Die Schweizer Wirtschaft ist jedoch stark exportorientiert und wird daher die Schwäche der Weltwirtschaft zu spüren bekommen. Deshalb haben etwa die Ökonomen der Swiss Life ihre Wachstumsprognose nach unten korrigiert, auf 0,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).
In der Rolle des Zuchtmeisters der Weltwirtschaft befindet sich einmal mehr die amerikanische Notenbank, die Fed. Präsident Jerome Powell hat unmissverständlich klargemacht, dass er alles unternehmen werde, um die Inflation auf ein erträgliches Mass zu reduzieren. Das bedeutet, dass die Fed weiterhin die Leitzinsen erhöhen und damit den Dollar noch stärker machen wird, als er bereits ist.
Hohe US-Leitzinsen und ein starker Dollar sind ein Albtraum für die anderen, vor allem für die Schwellenländer. Nach wie vor ist der Greenback die globale Leitwährung, in der Rohstoffe wie Öl bezahlt werden. Weil sie über keine liquiden Finanzmärkte in der eigenen Währung verfügen, müssen die Regierungen und die Unternehmen dieser Länder auch ihre Kredite in Dollar aufnehmen. Stand 2019 waren dies rund 22 Billionen Dollar. Diese Kredite haben sich wegen der Dollar-Aufwertung massiv verteuert. Es ist daher damit zu rechnen, dass sich Pleiten von Unternehmen und gar Staatsbankrotte häufen werden. Sri Lanka war bloss der Auftakt.
Zu Beginn der Achtzigerjahre haben Inflation und Erdölkrise zu einem ökonomischen Paradigmenwechsel geführt. Mit Margret Thatcher und Ronald Reagan begann das Zeitalter des Neoliberalismus. Steuererleichterungen, Deregulierung und der Abbau von Zollschranken waren das Gebot der Stunde, die Globalisierung feierte Triumphe.
Die aktuelle Polykrise wird ebenfalls einen Paradigmenwechsel einläuten, aber einen der gegenteiligen Art. Das Zeitalter des Neoliberalismus ist vorbei, der Staat wird künftig wieder eine viel bedeutendere Rolle spielen. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Einer davon ist die Demografie. Japan hat die älteste Bevölkerung der Welt, und Japan wird auch den Weg weisen. Sein gut ausgebauter Sozialstaat sorgt dafür, dass Japanerinnen und Japaner ein sorgenfreies Alter geniessen können, er ist jedoch auch dafür mitverantwortlich, dass die Staatsverschuldung mittlerweile 266 Prozent des BIP erreicht hat.
Auch in Europa und den USA ist derselbe demografische Trend zu beobachten. Deshalb werden wir wohl oder übel dem japanischen Beispiel folgen. Eine älter werdende Bevölkerung wird die Staatskassen zunehmend belasten, denn es sind auch die Menschen, die regelmässig zur Urne gehen und ihre Interessen politisch durchsetzen können.
Zum Glück beginnt sich die Einstellung zu Staatsschulden zu verändern. Die Pandemie und die durch den Krieg in der Ukraine verursachte Energiepreisexplosion zeigen Wirkung: «Sich Sorgen über die Staatsverschuldung zu machen, ist derzeit nicht mehr angesagt», stellt der «Economist» fest.
Die Klimakrise wird diesen Trend verstärken. Wenn die allseits versprochenen Klimaziele auch erreicht werden sollen, dann ist dies nur mit massiver Staatshilfe zu stemmen. Diese Einsicht setzt sich auf breiter Front durch. So stellt etwa Horst von Buttlar, Chefredaktor des deutschen Magazins «Capital», in seinem Buch «Das grüne Jahrzehnt» unmissverständlich fest:
Die Polykrise wird die Geldpolitik der Zentralbanken nachhaltig verändern und dafür sorgen, dass wir unser Verhältnis zur Inflation neu denken müssen. Bisher war es das erklärte Ziel der Notenbanken, die Teuerung nicht über zwei Prozentpunkte klettern zu lassen. «Es ist klar geworden, dass das Zwei-Prozent-Inflationsziel angesichts der makroökonomischen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts ausgedient hat», stellt der «Economist» fest. «Sinnvoller ist es, sorgfältig ein neues makroökonomisches Regime zu entwickeln und nicht zu warten, bis das alte zusammenkracht.»
DSCH
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Gustav.s
Dass sollte uns Sorgen machen.