Fast vier Prozent ist der SMI gestern abgestürzt. Derzeit erholen sich die Kurse an der Schweizer Börse wieder, wohl weil die US-Börsen gestern in den grünen Bereich gedreht haben. Doch die Futures auf der anderen Seite des Atlantiks deuten bereits eine neue Verkaufswelle an. Die Nervosität der Investoren ist daher mehr als verständlich.
Finanztechnisch gesehen befinden sich die Aktienmärkte derzeit im Bereich einer «Korrektur», will heissen, die Börsenindices sind mehr als sieben Prozent gefallen. «Das geschieht durchschnittlich zweimal pro Jahr», beruhigt Daniel Kalt, Chefökonom der UBS. Doch das ist nur bedingt tröstlich. Pessimisten befürchten nämlich, dass die Aktienmärkte bald einen doppelten Haken verdauen müssen: steigende Inflation und eine drohende Rezession.
Sollte dieses Szenario tatsächlich eintreffen, dann wären die derzeit reichlich sprudelnden Unternehmensgewinne bald eine nostalgische Erinnerung und die flotten Kursgewinne des letzten Jahres futsch. Ein drohender Krieg in der Ukraine, eine ungeklärte Inflationsfrage und ein mutierendes Coronavirus sind ebenfalls nicht dazu angetan, die Ängste der Anleger zu besänftigen.
Trotzdem könnte es sich rächen, wenn man jetzt die Nerven verliert. Es gibt gute Gründe für die These, wonach die Verluste der letzten Tage einmal mehr bloss eine kurze Unterbrechung im Börsenboom waren und sich rasch wieder ausbügeln lassen. Gehen wir diese Gründe der Reihe nach durch:
Was als Polit-Poker des russischen Präsidenten angefangen hat, ist inzwischen zu einem brandgefährlichen Spiel geworden. Will er nicht als zweiter Neville Chamberlain in die Geschichte eingehen, muss US-Präsident Joe Biden härtere Saiten gegen Wladimir Putin aufziehen. Der britische Premierminister hatte seinerzeit mit einem Schmusekurs Hitler dazu ermutigt, immer mehr Länder zu überfallen.
Diesen Fehler will Biden vermeiden. Deshalb hat er nur 8500 US-Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt. Gleichzeitig hat er Putin klargemacht, dass er einen hohen Preis für eine allfällige Invasion in die Ukraine zu entrichten hätte.
Putin seinerseits droht, Europa den Gashahn zuzudrehen. Diese Drohung ist zwar nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, Europa bezieht rund 30 Prozent seines Bedarfs an Gas aus Russland. Doch in den letzten Wochen hat sich gemäss «Economist» eine «wahre Armada von Schiffen mit flüssigem Erdgas (LNG) in Richtung Europa in Bewegung gesetzt». Zudem sind die Lager so weit gefüllt, dass Europa eine russische Blockade bis zum Frühling durchhalten könnte.
Die russische Zentralbank weniger. Diese ist auf die Einnahmen aus dem Gasgeschäft dringend angewiesen. Dreht Putin also den Gashahn zu, dann würde dies zwar zu erneuten, schmerzhaften Verwerfungen der Preise auf dem Energiemarkt führen. Es würde jedoch Russland mehr Schaden zufügen und für uns nicht das Ende der Welt bedeuten. Womit wir beim zweiten Thema angelangt wären:
Der heftige Teuerungsschub der letzten Monate sei «vorübergehend», beruhigte die amerikanische Notenbank Fed anfänglich. Das war ein Irrtum. Die Inflation ist höher und hartnäckiger als von den meisten Ökonomen erwartet ausgefallen. Deshalb will die Fed nun Gegensteuer geben. Im laufenden Jahr werden drei, vielleicht gar vier Leitzins-Erhöhungen erwartet.
Das bedeutet jedoch keineswegs, dass eine lange Periode von hoher Inflation zu erwarten ist. Die Gefahr einer Hyperinflation existiert ohnehin nur in den Köpfen der Inflations-Hysteriker. Die Treiber der Teuerung – Lieferengpässe und hohe Energiekosten – schwächen sich bereits ab. Sogenannte Zweitrunden-Effekte – höhere Preise, die zu höheren Löhnen, die wiederum zu höheren Preisen, etc. führen – sind bisher höchstens partiell zu beobachten.
Das gilt ganz speziell für die Schweiz. Eine Umfrage der UBS bei 300 Unternehmen hat ergeben, dass sie im laufenden Jahr mit einer Erhöhung der Löhne um 0,8 Prozent rechnen. Das ist weit vom Zweitrunden-Effekt-Bereich entfernt. Deshalb prognostizieren die UBS-Ökonomen für die Schweiz eine Inflation von 0,9 Prozent. Damit befinden wir uns noch deutlich in der Wohlfühlzone, zumal das Bruttoinlandprodukt um 2,9 Prozent zulegen soll.
Das Coronavirus hat gezeigt, dass es immer wieder mal für eine negative Überraschung sorgen kann. Dank effektiven Impfstoffen und bald zu erwartenden effektiven Heilmitteln hat es jedoch einen grossen Teil seines Schreckens eingebüsst. Aus den USA hören wir gar, dass die Corona-Krise zu einem Wachstumsschub bei der Produktivität geführt hat.
Ausser den direkt betroffenen Branchen (Gastbetriebe, Tourismus, etc.) hat die Wirtschaft gelernt, mit dem Virus zu leben. Das gilt speziell für die Schweizer Wirtschaft. Die durch Corona verursachte Produktionslücke ist bereits wieder geschlossen. «Die Lage hat sich weitgehend normalisiert», stellt UBS-Ökonom Kalt fest.
Aktienbesitzer haben schon besser geschlafen. Doch jetzt zum Ausgang zu stürmen, dürfte keine gute Idee sein. Denn was gibt es für Alternativen? Mit Anleihen ist derzeit kein Geld zu verdienen, und das dürfte noch eine Weile so bleiben. So rechnen die UBS-Ökonomen damit, dass wir frühestens Ende 2023 in der Schweiz wenigstens keine Negativzinsen mehr haben.
Immobilien sind eine Alternative, aber nur für Wohlhabende. Bereits jetzt sind sie schweineteuer und werden immer teurer. Für Otto Normalverbraucher wird der Traum vom Eigenheim daher genau das bleiben, ein Traum.
Wer sein Glück mit Kryptos versucht, dem muss man Nerven aus Stahl wünschen. Der Preis von Bitcoin & Co. hat sich in den letzten Monaten halbiert. Und die Aussichten sind alles andere als rosig. Selbst die russische Zentralbank überlegt sich nun, wie sie die Kryptos in den Griff bekommen will.
Wer hingegen in Aktien investiert ist, kann auf den sogenannten Greenspan-Put hoffen. Dieses nach dem ehemaligen Fed-Präsidenten Alan Greenspan benannte Phänomen bezeichnet die Tatsache, dass die US-Notenbank einzugreifen pflegt, wenn die Kurse aus dem Ruder laufen. Derzeit ist das noch nicht nötig. Zum Glück.
Anlagestrategie weiter verfolgen, nie Aktien/Kryptos auf Kredit kaufen und Portfolio diversifizieren.