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Arbeit kann Spass machen. Spätestens nach Punkt 4 dieser Liste werden auch Sie daran glauben

Flexibles, familienfreundliches Arbeiten bei Menlo Innovations.
Flexibles, familienfreundliches Arbeiten bei Menlo Innovations.Bild: blog.michiganadvantage.org
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Arbeit kann Spass machen. Spätestens nach Punkt 4 dieser Liste werden auch Sie daran glauben

Hunde und Babys an den Arbeitsplatz mitnehmen, Kopfhörer und E-Mails vermeiden, in Teams arbeiten: So mehrt man lustvoll das Bruttosozialprodukt. 
14.05.2014, 10:1223.06.2014, 14:21
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Richard Sheridan war einst ein von Technik begeisterter Knabe, der früh wusste, dass er Software-Ingenieur werden wollte. Nach einer typischen Nerd-Karriere – Tech-Studium, erste Erfahrungen in Start-ups – war er bald in der Geschäftsleitung eines angesehenen IT-Unternehmens. Sheridan verdiente Millionen – und langweilte sich zu Tode. Im Alter von 43 Jahren gründete er zusammen mit seinem besten Freund seine eigene Firma, in der er versucht, alle Fehler, die andere Unternehmen so machen zu vermeiden; eine Firma, in der die Leute gerne und lustvoll arbeiten. 

Das Unternehmen, das dabei herausgekommen ist, heisst Menlo Innovations, ist in Ann Arbor (US-Bundesstaat Michigan) beheimatet, beschäftigt rund 300 Mitarbeiter und ist sehr erfolgreich. Sheridan wird mit Auszeichnungen und Anfragen für Reden und Seminare überschüttet. Kürzlich hat er ein Buch mit dem Titel «Joy Inc.» («Freude AG») veröffentlicht. Der Titel ist Programm. Sheridan will beweisen, dass Arbeit nicht nur Last und Bürde ist, sondern dass man auch mit Lust an der Arbeit und Respekt gegenüber den Mitarbeitern Geld verdienen kann. Sieht man vom typischen amerikanischen Pathos und dem nervigen Management-Slang ab, dann vertritt Sheridan ganz vernünftige Ansichten. Hier sind seine wichtigsten Thesen: 

1. Richten Sie einfache, funktionale Arbeitsplätze ein, die rasch verändert werden können

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GIF: tumblr/gummishoe

Als Sheridan noch bei seinem alten Arbeitgeber tätig war, hatte er ein Aha-Erlebnis. Er leitete eine Projektgruppe, die eine neue Software testen musste, und mietete sich zu diesem Zweck in eine alte Fabrikhalle ein, die er schlicht möblierte. Der Effekt war umwerfend. Unter den zum Eigensinn tendierenden Software-Ingenieuren entstand allein dank der neuen Umgebung bald so etwas wie Teamgeist. 

Seine eigene Firma hat Sheridan deshalb in unprätentiösen Hallen angesiedelt und sie schlicht, aber hell eingerichtet. Moderne Bürotürme, so Sheridan, seien meist so gebaut, dass sie «ruhig und leblos» seien. «Das gilt selbst für die Gebäude, die mit Architekturpreisen ausgezeichnet werden», stellt Sheridan fest. «Diese Räume sind oft so konzipiert, dass sie Preise gewinnen, aber nicht um Teamwork zu fördern und Energie frei zu setzen.» 

2. Ein bisschen Lärm kann nicht schaden

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Das höchste Ziel des modernen Arbeitnehmers ist es, sein eigenes Büro zu haben und darin nicht gestört zu werden. Wer dies nicht schafft und zu den Verdammten gehört, die in einem Grossraumbüro arbeiten müssen, der zieht sich als Zeichen des Protests möglichst klobige und farbige Kopfhörer über. Nicht so bei Menlo. Da gehört ein bisschen Lärm dazu und selbst der CEO hat kein eigenes Büro. Sein Pult steht mitten in der Arbeitsfläche, die sich immer wieder verändert, weil sie sich den aktuellen Aufträgen anpasst. Ruhe wird in den Augen Sheridans ohnehin überschätzt. «Wir arbeiten ein bisschen lärmig miteinander», schreibt er. «Eine unserer wenigen Büroregeln besteht darin, dass wir das Tragen von Kopfhörern verbieten. Jemand, der Kopfhörer braucht, passt nicht zu Menlo.»

3. Kinder und Hunde können ebenfalls nicht schaden

Sheridan ist kein Freund des Telecommuting. Hausarbeit wird bei Menlo nur im äussersten Notfall geduldet, beispielsweise wenn Kinder oder Eltern schwer erkrankt sind. Im Regelfall wird jedoch in den Firmengebäuden gewerkelt. «Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass es keinen Ersatz dafür gibt, dass Menschen zusammen im gleichen Gebäude arbeiten», stellt Sheridan fest. Zudem wird ein Projekt bei Menlo niemals von einer Person allein, sondern ausnahmslos von einen Zweierteam betreut. 

Dafür dürfen Babys und Hunde an den Arbeitsplatz mitgenommen werden. Das löst bei Kunden und Besuchern oft Erstaunen aus. Nehmen die Kleinen dabei keinen Schaden? Sheridan winkt ab: «Während Millionen von Jahren haben Eltern ihre Kinder in Umgebungen aufgezogen, die viel gefährlicher sind als die Büros von Menlo, und die Menschheit ist deswegen nicht ausgestorben.»

4. Es wird 40 Stunden die Woche gearbeitet, keine Sekunde länger

Bei Menlo werden um 18 Uhr die Lichter gelöscht. Sheridan hält nichts davon, dass Mitarbeiter rund um die Uhr für ihr Unternehmen verfügbar sein müssen, und noch weniger davon, dass vermeintlich moderne Arbeitgeber alles tun, damit ihre Mitarbeiter möglichst lang im Büro bleiben und Spielräume und Wellnessbereiche zur Verfügung stellen. Das ist für ihn meist Show. «Versuchen Sie einmal, sich in diesen Räumen aufzuhalten, wo es Tischfussball- und Ping-Pong-Tische hat, wo Game-Stationen, Massagetische und Fitnessgeräte stehen – und beobachten Sie, wie oft sie benutzt werden», spottet Sheridan. 

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Bei Menlo herrschen geregelte Arbeitszeiten und vier Wochen Ferien – sehr viel für amerikanische Verhältnisse. Der Grund dafür ist ebenso simpel wie einleuchtend. «Wir wissen, dass die Menschen, die am smartesten und am gewissenhaftesten arbeiten, Menschen sind, die wissen, wann sie arbeiten und wann sie sich erholen sollen.»

5. Es gibt keine Stars und keine Heldenverehrung

Steve Job, Bill Gates, Paul Allen: Die IT-Industrie hat Helden hervor gebracht, die Rockstar-Status geniessen. Das war gestern. «Die Tage, an denen individuelle Helden grosse Wundertaten vollbracht haben, sind längst vorbei», stellt Sheridan fest und zieht die Konsequenzen. Bei Menlo gibt es keine unentbehrlichen Stars, es herrscht ein kooperatives, demokratisches Arbeitsklima ohne Geheimnisse. «Menlonianer bringen jedem, der will, die wichtigsten Prozesse bei, selbst unseren Konkurrenten», schreibt Sheridan. «Keiner unserer Prozesse ist ein streng gehütetes Geheimnis. Unsere Mission, die wir sehr ernst nehmen, besteht darin, das menschliche Elend mit der Technik zu lindern.»

Angst ist bei Menlo verpönt, denn Angst macht dumm. Sheridan führt dazu ein Argument aus der Neurologie an: «Das ängstliche Gehirn verlässt sich nur auf die Amygdala, oder wie es auch heisst, sein Reptiliengehirn.» Bei Menlo darf man Fehler machen und daraus lernen. «Macht Fehler schneller», heisst daher das Firmenmotto, ironisch gemeint natürlich.

6. High-Tech ja, aber nur, wo es auch gebraucht wird

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Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie haben sich jahrelang für die Erledigung eines bestimmten Jobs mit ihrem Kollegen, der zehn Meter vor Ihnen arbeitet, informell abgesprochen. Das war unkompliziert und effizient. Doch dann hat die Firma für teures Geld eine neue Software gekauft, die Sie zwingt, alles minutiös zu erfassen. Jetzt sprechen Sie nicht mehr mit dem Kollegen, sondern ärgern sich mit dem Computer. Das kann sehr kompliziert und äusserst mühsam sein.

Obwohl Menlo Software herstellt, wird in diesem Betrieb konsequent auf nutzlose Hi-Tech verzichtet. Wenn immer möglich, spricht man miteinander. Projekte werden zuerst auf Papier gezeichnet, Prozessabläufe an eine Pinnwand geklebt. «Wenn wir in der Firma miteinander kommunizieren, brauchen wir weder E-Mail noch andere Formen von elektronischer Kommunikation», schreibt Sheridan und macht sich lustig über Manager, die ihre Mitarbeiter mit modernen Gadgets eindecken. «Diese hochgestellten Manager erzählen gerne von all den hochmodernen Zusammenarbeitsinstrumenten, die sie für ihr Team eingerichtet haben, wobei die meisten davon ein paar Meter von ihnen entfernt arbeiten, getrennt durch eine dünne Wand und eine dicke Mauer von Misstrauen, das aus einer nur auf Elektronik basierenden Beziehung entstanden ist. Niemand spricht mehr miteinander. Wenn aber Zwischentöne und Körpersprache fehlen, gibt es wenig Gelegenheit, Vertrauen aufzubauen.»

7. Wer den Job macht, entscheidet, wie lange er dafür braucht

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Software-Projekte sind zeitkritisch und oft entstehen gewaltige Probleme, weil man sich beim Zeitaufwand geirrt hat. Bei Menlo können diejenigen, die ein Projekt betreuen, den Zeitaufwand selbst abschätzen. Führt das nicht zu Schlamperei? Im Gegenteil, es führt zu mehr Effizienz. Es wird nicht mehr gelogen, es muss nicht mehr in letzter Minute gehetzt werden, weil man dem Kunden etwas versprochen hat, das man nicht einhalten kann, und die Qualität nimmt spürbar zu. 

Die Arbeitszeit lässt sich ohnehin nicht beliebig erweitern. «Informelle Untersuchungen zeigen, dass Programmierer täglich bloss etwa vier Stunden effektiv arbeiten, weil der Arbeitsfluss stets durch Sitzungen und andere Dinge unterbrochen wird», stellt Sheridan fest. « Mit dem Internet wurde dies schlimmer, und mit dem Smartphone noch schlimmer.» Sheridan hat dieses Problem weitgehend im Griff. Weil die Menlonianer auf E-Mail und soziale Medien verzichten, beklagen sich ihre Bekannten darüber, dass sie stets arbeiten und ihre Botschaften unbeantwortet lassen.

8. Was nach innen gilt, gilt auch nach aussen

Besucher sind bei Menlo stets willkommen. Pressesprecher und PR-Verantwortliche sucht man vergebens. Jeder Mitarbeiter darf Auskunft geben und Besucher empfangen. «Weil bei Menlo alle den grundsätzlichen Werten und der Mission zustimmen, brauchen wir keinen Aufpasser, wenn Journalisten auftauchen», schreibt Sheridan. «Jedermann kann Auskunft über das Unternehmen und den CEO geben. Deshalb ist es nicht unüblich, dass Journalisten sich zwei Tage lang bei uns aufhalten und einfach beobachten. Die Mitarbeiter ändern ihr Verhalten deswegen nicht.» 

Menlo ist kein antiautoritärer Spielplatz für Erwachsene

Wer dies liest, mag nun denken: Ist Menlo Innovations eine Art antiautoritärer Kindergarten für Software-Ingenieure und Richard Sheridan ein Spät-Hippie-Guru? Vergessen Sie es. Wie erwähnt: Sheridan wird von Weltkonzernen wie Mercedes und Nike als Berater und Redner eingeladen, weil er ein Arbeitsklima schaffen kann, das unternehmerischen Erfolg verspricht. «Viele Besucher sehen, dass wir Spass am Arbeitsplatz haben», schreibt Sheridan. «Das könnte den Eindruck erwecken, als ob wir eine Laissez-faire-Haltung gegenüber unserer Arbeit oder Qualität haben. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Unter der dünnen und sichtbaren Spass-Atmosphäre versteckt sich etwas, das es uns möglich gemacht hat, unsere Produkte auf ein bisher unerreichtes Qualitätsniveau zu führen.» 

Nicht alles, was für Menlo gut ist, ist auch gut für alle. Krankenschwestern bringen ihre Hunde besser nicht an den Arbeitsplatz, und Journalisten müssen manchmal tatsächlich einen Kopfhörer überziehen, um einen kniffligen Text zu schreiben. Entscheidend sind nicht die Details, entscheidend ist die fundamentale Botschaft Sheridans. Sie lautet: Wer als Unternehmer seine Mitarbeiter als erwachsene Menschen mit Respekt behandelt und mit offenen Karten spielt, der wird reichlich belohnt – auch finanziell. 

Richard Sheridan, «Joy Inc.», Penguin, New York, 2013.  

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