Der «Economist» hat zu Beginn des Jahres in einer Titelgeschichte einen neuen Boom für die künstliche Intelligenz (KI) prophezeit. Das renommierte Wirtschafts- und Politikmagazin vergleicht die aktuelle Situation mit den «roaring 20s», dem Technoboom in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts.
Nach enttäuschenden Jahren mit viel Hoffnung und wenig Ertrag sei jetzt der Durchbruch für die KI erfolgt, so der «Economist». Es gebe nun «eine realistische Wahrscheinlichkeit für eine neue Ära der Innovation, welche den Lebensstandard erhöhen wird, speziell dann, wenn die Regierungen helfen, die neuen Technologien zum Blühen zu bringen».
Drei Gründe führt der «Economist» für seinen Techno-Optimismus an: Dank KI war es möglich, einen Impfstoff mit bisher für nicht möglich gehaltener Wirksamkeit gegen das Coronavirus in Rekordzeit zu entwickeln. «Ein von DeepMind, einer Tochter von Alphabet entwickeltes Programm, hat eine bemerkenswerte Fähigkeit an den Tag gelegt, die Form von Proteinen vorauszusagen», so der «Economist».
Als zweiten Grund nennt das Magazin den Investitionsboom in neue Technologien. «Der Techno-Enthusiasmus der Investoren umfasst nun auch medizinische Diagnostik, Logistik, Biotechnologie und Halbleiter», so das Magazin.
Nicht zuletzt dank Covid machen schliesslich auch die gewöhnlichen Menschen mit. «Die Pandemie hat die Adaption von digitalen Bezahlmethoden, Telemedizin und industrieller Automation beschleunigt», so der «Economist». «Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass Widerstand die menschliche Gesellschaft zum Fortschritt zwingt. Die Klimaerwärmung und die Rivalität zwischen Amerika und China könnten weitere mutige Entwicklungssprünge zur Folge haben.»
Doch gerade auf dem Gebiet der KI hat es nach euphorischen Phasen immer wieder ernüchternde Rückschläge gegeben. Wir wollten es deshalb genau wissen und machten uns bei Nnaisense schlau, einem KI-Startup in Lugano mit einer Zweigstelle in Austin (Texas). Das Unternehmen hat bereits mehrere renommierte Auszeichnungen für seine Tätigkeit auf dem Gebiet des Deep Learning erhalten.
Gesprochen haben wir dort mit drei Nnaisense-Gründungsmitgliedern: dem Direktor für KI, Bas Steunebrink, dem Direktor für Artificial Intelligence, Jonathan Masci, und dem Direktor für intelligente Automation, Jan Koutnik.
Löst die KI nun ihre grossen Versprechen ein?
Jonathan Masci: Die Erfolge bei den Impfstoffen zeigen, dass wir tatsächlich Fortschritte gemacht haben, die vor kurzem noch undenkbar waren. Auch auf dem Gebiet der Sprache sind wir inzwischen sehr weit gekommen, nicht nur bei Übersetzungen. So hat die «New York Times» kürzlich einen Artikel publiziert, der nicht von einem Journalisten, sondern von KI erstellt wurde.
Wie ist das zu erklären?
Masci: Dank Deep Learning ist es möglich geworden, Muster zu erkennen, auch Muster in der menschlichen Sprache.
Stimmt somit der Spruch, wonach die Fortschritte der KI kurzfristig überschätzt – und langfristig unterschätzt werden?
Bas Steunebrink: Seit den 60er-Jahren befinden wir uns mit der KI auf einer Achterbahn. Wir hatten in den 80er-Jahren gar einen sogenannten KI-Winter, ein Jahrzehnt, in dem gar nichts mehr lief. Diesmal jedoch ist es anders. Wir haben ein Niveau erreicht, auf dem die KI zwar noch nicht mit menschlicher Intelligenz zu vergleichen ist, aber wir haben nun Optionen in vielen Bereichen der Wirtschaft. Mit KI kann man nicht mehr nur forschen, man kann damit auch Geld verdienen.
Ist es überhaupt erstrebenswert, dass KI die menschliche Intelligenz imitiert?
Steunebrink: Grundsätzlich ist dies möglich. Es gibt keinen Grund, weshalb das menschliche Gehirn nicht reproduziert werden könnte. Doch macht es auch Sinn? Es würde sehr viel Geld und Zeit erfordern. Wer will das schon aufbringen für etwas, das bereits existiert?
Das Ziel von KI kann es damit nicht sein, einen künstlichen Menschen zu erschaffen?
Steunebrink: Definitiv nicht. Wir sollten dies gar nicht erst versuchen. Der Zweck der KI liegt darin, Prozesse zu automatisieren. Wir wollen, dass Maschinen Arbeiten erledigen, die wir Menschen nicht machen wollen oder können, und uns so das Leben leichter machen.
KI hat jedoch auch das Potenzial, unser Leben deutlich mühsamer zu machen, etwa wenn sie zu militärischen oder Überwachungszwecken eingesetzt wird.
Masci: Das stimmt. Es stimmt aber nicht nur für KI, sondern für alle wissenschaftlichen Forschungen und technischen Innovationen. KI macht Dinge möglich, aber was für Dinge sie möglich macht, bestimmen Menschen. In China etwa werden die Uiguren mit einer intelligenten Software unterdrückt, die Gesichter erkennen kann. Natürlich bin ich keineswegs glücklich darüber. Umgekehrt hätten wir ohne KI wohl noch länger keinen Impfstoff gegen das Coronavirus.
China ist jedoch im Begriff, die führende KI-Nation zu werden.
Masci: In China steht der KI fast unbegrenzt Geld zu Verfügung, und es gibt kaum gesetzliche Einschränkungen wie bei uns. Was die KI betrifft, müssen wir deshalb auch in Europa und in den USA kräftig aufrüsten.
Jan Koutnik: Als gebürtiger Tscheche bin ich noch in einem kommunistischen Regime aufgewachsen. Ich habe daher immer noch grosse Vorbehalte gegen eine staatliche Einmischung in unser Geschäft.
Auf welchen Gebieten wird KI bald unser Leben verbessern?
Masci: Selbstfahrende Autos beispielsweise werden die Anzahl der Toten auf den Strassen drastisch reduzieren. Industrielle Prozesse werden optimiert, so dass weniger Energie verbraucht wird und weniger Abfall entsteht.
Leider werden dabei auch massenhaft Arbeitsplätze vernichtet.
Masci: Ja, ich weiss. Doch im Gegenzug entstehen auch sehr viele neue Jobs – und diese sind kreativer und sicherer.
Steunebrink: Viele Menschen hassen ihren Job und würden lieber etwas anderes tun. KI wird uns helfen, diese ungeliebten Jobs überflüssig zu machen, und den Menschen die Möglichkeit geben, eine befriedigende Arbeit zu ergreifen. Was KI allerdings nicht leisten kann, ist unsere Mentalität zu verändern. Wir identifizieren uns nach wie vor viel zu stark mit unserer Arbeit.
Brauchen wir wegen der zunehmenden Robotisierung der Wirtschaft bald ein bedingungsloses Grundeinkommen? Koutnik: Nein, ich lehne diese Vorstellung ab. Es würde unsere gesamte Arbeitswelt auf den Kopf stellen. Putzpersonal würden mehr verdienen als Professoren. Das kann langfristig nicht gut gehen.
Die Coronakrise hat die Reichen nochmals sehr viel reicher gemacht, vor allem die IT-Giganten. Ist es nicht so, dass derzeit von KI vor allem Jeff Bezos, Elon Musk & Co. profitieren?
Steunebrink: Das mag für die Finanzmärkte zutreffen. Doch in der realen Wirtschaft lässt sich mit KI nicht mehr Geld verdienen als mit den traditionellen Technologien. Zudem hat KI auch das Potenzial, die Finanzmärkte fairer und für alle zugänglich zu machen.
Sie haben erwähnt, dass in China KI-Unternehmen vom Staat im grossen Stil unterstützt werden. Beneiden Sie Ihre chinesischen Konkurrenten deswegen, oder sind Sie froh, dass Sie nichts mit dem Staat zu tun haben?
Masci: Die staatliche Unterstützung hat einen Haken. Sie erfordert auch unlimitierte Loyalität gegenüber dem Staat.
Steunebrink: Wenn der Staat einem Startup hilft, auf die Beine zu kommen, oder wenn er die Grundlagenforschung bezahlt, kann ich gut damit leben. Aber letztendlich muss sich ein gesundes KI-Unternehmen im Markt durchsetzen.
Derzeit stehen wir noch im Bann der Coronakrise. Doch die weit grössere Herausforderung wird der Klimawandel sein. Wie kann uns KI auf diesem Gebiet unterstützen?
Masci: KI wird nicht die geschmolzenen Eisberge in der Arktis wieder aufbauen. Aber sie wird uns helfen, die Ressourcen der Erde viel effizienter einzusetzen und es uns so ermöglichen, unseren Lebensstandard zu halten, ohne unsere Planeten zu zerstören. Wir machen dies bereits mit unseren Kunden aus der Industrie.
Steunebrink: KI kann auch eine sinnvolle Klimapolitik unterstützen, indem sie mit immer präziseren Modellen bessere Prognosen und sinnvollere Entscheide ermöglicht.
Koutnik: Oder ein ganz anderes Beispiel: Ich kenne einen biologischen Weinbauer, der seine Reben mit einem Roboter pflegt. Er spart viel Energie – und produziert damit ausgezeichneten Wein.
Derzeit gibt es einen gewaltigen Backlash gegen Big Tech. Google, Facebook, Apple und & Co. sind neuerdings die bösen Buben, welche die Meinungsfreiheit unterdrücken und die Menschen manipulieren. Werden Sie von dieser negativen Welle ebenfalls betroffen?
Steunebrink: Es gibt gute Gründe für diesen Backlash. Gerade Google und Facebook wollen primär Inserate verkaufen. Ich sehe nicht, wie das unser Wohlbefinden steigern soll, und wäre durchaus glücklich, wenn dagegen etwas unternommen würde.
Etwa eine Zerschlagung der Monopole durch den Staat?
Masci: Mehr Wettbewerb könnte sicher nicht schaden.
Steunebrink: Die Tech-Giganten verdienen so viel Geld, dass sie stets die besten Leute mit hohen Gehältern anheuern können. Ich kenne einige Leute, die für Google arbeiten, und habe sehr viel Respekt für ihr Können. Diese Leute fehlen leider für sinnvollere KI-Projekte.
Wie kann sich die Schweiz in einer zunehmend monopolisierten KI-Welt behaupten?
Steunebrink: Die Schweiz ist sehr gut darin, Menschen auszubilden. Wir haben sehr gute Universitäten und Fachhochschulen. Die Schweiz ist weniger gut, wenn es darum geht, diese Menschen auch anzubinden. Nach Abschluss des Studiums müssen Nicht-EU-Ausländer das Land in der Regel wieder verlassen. Dabei könnten viele von ihnen ein eigenes Startup gründen. Wir bringen uns so um die Früchte unserer Arbeit.
Das Unbehagen mit der KI wächst. Wie wollen Sie der Angst vor einem Überwachungsstaat entgegentreten? Masci: Wir haben bereits einen Überwachungsstaat – und die Menschen lieben ihn. Sie benutzen Facebook, Instagram oder YouTube, obwohl sie wissen, dass dabei jeder ihrer einzelnen Schritte mit Cookies und Trackers protokolliert wird.
Koutnik: Für unsere Arbeit hat die Überwachungsproblematik kaum Bedeutung. Wir arbeiten zum grössten Teil für die Industrie und haben keinerlei Projekte für das Militär oder die Polizei.
Steunebrink: Diese konstante Überwachung hat auch positive Seiten. Ich habe auch eine Uhr mit einem Tracker, die meinen Puls permanent misst. Ich kann so meine Gesundheit und meine Fitness optimieren.
Keine Angst, dass Sie damit auch einen grossen Teil Ihrer Privatsphäre aufgeben?
Steunebrink: Sie müssen selbst abwägen, wie gewillt Sie sind, Teile Ihrer Privatsphäre abzutreten. Wenn Sie beispielsweise Ihre Gesundheitsdaten offenlegen, haben Sie wahrscheinlich bessere Chancen, im Notfall besser behandelt zu werden.
Hä?? Ich glaube der Herr hat das bedingungslose Grundeinkommen nicht verstanden...
Auch Professoren würden dieses erhalten. Warum also sollte die Putzfrau mehr verdienen???
“ Brauchen wir wegen der zunehmenden Robotisierung der Wirtschaft bald ein bedingungsloses Grundeinkommen? Koutnik: Nein, ich lehne diese Vorstellung ab. Es würde unsere gesamte Arbeitswelt auf den Kopf stellen. Putzfrauen würden mehr verdienen als Professoren. Das kann langfristig nicht gut gehen.”
Hä? 🤷🏽♂️ Noch so ein weltfremder?
...das wird schei***...