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Steigende Rohstoffpreise haben in den letzten 15 Jahren die Weltwirtschaft in Schwung gehalten. Ob Öl, Gas, Kupfer oder Getreide: Derzeit fallen die Rohstoffpreise dramatisch. Öl beispielsweise kostet heute rund 40 Dollar pro Fass. Im Sommer 2014 musste man dafür noch 110 Dollar hinblättern.
Für die Konsumenten ist dies kurzfristig erfreulich. Die langfristigen wirtschaftlichen und geopolitischen Folgen hingegen könnten dramatisch sein. Daniel Yergin, einer der führenden Öl- und Rohstoffexperten der Gegenwart, erklärt denn auch in der «New York Times»: «Die Welt der Rohstoffe steht Kopf. Anstatt eines begrenzten Angebots und einer starken Nachfrage haben wir eine schwache Nachfrage und ein Überangebot und eine Überkapazität bei der Rohstoff-Produktion. Es ist das Ende einer Ära, die nicht so schnell zurückkehren wird.»
Stagnierende Nachfrage nach Rohstoffen in China, Fracking in den USA und die Massnahmen gegen den Klimawandel sind die wichtigsten Ursachen für den neuen Trend bei den Rohstoffen. Dazu kommen neue Technologien, welche auf andere als die bisher üblichen Metalle setzen. Aber der Reihe nach:
Die extreme Luftverschmutzung in chinesischen und indischen Städten und der Diesel-Skandal von VW werden als mächtiger Treiber für das Elektroauto wirken. Lithium ist der wichtigste Rohstoff für die Batterien dieser Autos. Die Investmentbank und Rohstoffhändlerin Goldman Sachs bezeichnet deshalb Lithium bereits als «das neue Benzin». Derzeit beträgt die Nachfrage nach Lithium 175'000 Tonnen pro Jahr. Sie könnte gemäss Schätzungen von Experten bald auf deutlich über 250'000 Tonnen steigen.
Die Nachfrage nach dem «Wundermetall» Titan steigt kontinuierlich. Es ist viel leichter als Stahl und könnte daher das Gewicht von Autos reduzieren. Neue Techniken wie das 3D-Drucken senken die bisher sehr hohen Kosten. «Billigeres Titan ist für allem für die Autoindustrie sehr interessant», schreibt die «Financial Times». Angst vor einem Mangel besteht nicht. Es ist eines der am meisten verbreiteten Metalle in der Erdoberfläche.
Auch Kobalt und Graphit sind heute noch wichtige Bestandteile in Batterien. Die neue Tesla-Batterie-Fabrik in der Wüste von Nevada ist daher ein bedeutender Abnehmer. Allerdings ist die künftige Entwicklung noch ungewiss. Graphit beispielsweise könnte dereinst durch Silizium ersetzt werden.
Die teilweise Substitution von Kupfer und Stahl hat gravierende Folgen für die traditionellen Produzenten. Nach einem Verlust von rund drei Milliarden im ersten Halbjahr will der Rohstoffkonzern Anglo American 50'000 von insgesamt 135'000 Angestellten entlassen. Der in Baar beheimatete Rohstoffkonzern Glencore sitzt auf einem Schuldenberg von rund 30 Milliarden Dollar. Auch er hat im grossen Stil Personal entlassen und will seine Kupferproduktion massiv zurückfahren.
Die «New York Times» fasst die Situation der Rohstoffproduzenten in einer ebenso witzigen wie zutreffenden Schlagzeile zusammen: «Wer eine Ölquelle oder eine Mine besitzt, hat wahrscheinlich Probleme».
Die neue Lage auf den Rohstoffmärkten könnte bald auch auf andere Märkte überschwappen. Die Staatsfonds von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten könnten bald gezwungen sein, Teile ihres Vermögens zu verkaufen, um die laufenden Kosten zu finanzieren. Diese Verkäufe könnten Unruhe in die ohnehin schon volatilen Märkte bringen.
Selbst die Geopolitik wird von den neuen Rohstoff-Realitäten beeinflusst werden. Dank dem Fracking sind die USA wieder zum grössten Erdölproduzenten der Welt aufgestiegen. Ihre Abhängigkeit vom Öl aus dem Nahen Osten lässt nach und parallel dazu schwindet auch das Interesse an dieser Region. US-Präsident Barack Obama hat sehr deutlich klar gemacht, dass er auf keinen Fall Bodentruppen nach Syrien schicken wird.
Vielleicht werden künftig chinesische oder indische Truppen dort auftauchen. Die beiden asiatischen Grossmächte sind nämlich die grossen Ölschlucker der Zukunft. Im Jahr 2035 werden sie nach Angaben der Internationalen Energieagentur rund 90 Prozent ihres Bedarfs importieren müssen. Das dürfte die Geopolitik der Zukunft massiv beeinflussen.
Unklar ist, wie Russland mit den neuen Verhältnissen klarkommen wird. Der wirtschaftliche Aufstieg seit der Jahrhundertwende ist fast ausschliesslich die Folge des steigenden Ölpreises. Russlands Staatseinkünfte stammen zu mehr als der Hälfte aus dem Geschäft mit Öl und Gas. Die russische Zentralbank besitzt noch Devisenreserven in der Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar. Doch die Wirtschaft befindet sich in einer schweren Rezession – und Putin wird sich etwas einfallen lassen müssen.