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Gemäss Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) haben sich die Erdöl-Lagerbestände in den Industrienationen auf beinahe drei Milliarden Fass erhöht. Das ist der höchste je gemessene Wert, und mit dieser Ölmenge liesse sich der gesamte weltweite Verbrauch einen Monat lang abdecken.
Ein Ende ist nicht abzusehen. Täglich fliessen rund eine Million Fass zusätzlich in die Lagertanks, und vor den bedeutendsten Häfen der Welt warten Öltanker darauf, gelöscht zu werden.
Das Ölangebot übersteigt die Nachfrage bei weitem. Trotzdem wird weiterhin gefördert, als gäbe es kein Morgen. Täglich sind es rund 90 Millionen Fass. Vor allem Saudi-Arabien und der Irak lassen die Produktion auf Hochtouren laufen. Auch Russland kämpft mit Nachdruck um seine Kunden in Europa und Asien.
Früher hat Saudi-Arabien in ähnlichen Situationen die Förderung gedrosselt. Als so genannter «Swing Producer» sorgten die Saudis dafür, dass die Ölpreise nicht allzu stark schwankten. Diesmal ist dies nicht der Fall. Khalid al-Falih, der Vorsitzende der Saudi Arabian Oil Company, erklärte gegenüber der «Financial Times»: «Jetzt überlassen wir es dem Markt, den Job zu machen.»
Der Sinneswandel der Saudis hat mit den veränderten Bedingungen auf dem Ölmarkt zu tun. Amerikanisches Öl aus dem Fracking und das wieder reichlich fliessende Öl aus dem Irak haben den Saudis zugesetzt. Gleichzeitig ist absehbar, dass bald wieder sehr viel Öl aus dem Iran erhältlich sein wird. Die Saudis kämpfen daher um ihren Marktanteil. Das Überangebot – so das Kalkül der Saudis – soll das Öl aus dem Fracking und dem Teersand wieder zum Verschwinden bringen, denn bei einem Preis unter 50 Dollar pro Fass rechnen sich diese aufwändigen Fördermethoden nicht.
Die IEA spricht nicht nur von einem Überangebot. Sie geht davon aus, dass bis 2020 auch die Nachfrage nicht einmal um ein Prozent zunehmen wird. Zwei sind dafür verantwortlich: China – inzwischen der grösste Ölimporteur der Welt – hat seinen Appetit gezügelt. «Wir nähern uns dem Ende der grössten Nachfragezunahme, die es je gegeben hat», erklärt IEA-Direktor Fatih Birol.
Gleichzeitig haben ein wachsendes Umweltbewusstsein und effizientere Technik dazu geführt, dass die Nachfrage in den Industrieländern schrumpft. «Zusammengenommen wird die Nachfrage aus den USA, der EU und Japan bis ins Jahr 2040 um rund zehn Millionen Fass pro Tag zurückgehen», heisst es in einem IEA-Report. Daher geht die IEA davon aus, dass der Ölpreis bis 2020 unter der 80-Dollar-Pro-Fass-Grenze bleiben und auch danach höchstens um fünf Prozent steigen wird.
Aber Vorsicht: Bevor ihr euch jetzt ein Benzin schluckendes Monsterauto anschnallt oder eine neue Ölheizung einbaut – beides ist übrigens ökologisch gesehen schändlich –, müsst ihr euch vor Augen halten, dass die Prognosen in Sachen Ölpreis sehr, sehr heikel sind. So war noch vor weniger als zehn Jahren die Peak-Oil-Theorie weit verbreitet. Sie besagt, dass mehr als die Hälfte des Öls bereits gefördert ist und daher der Ölpreis nur eine Richtung kennt: Nach oben.
Dann kam das Fracking und verwandelte den Ölmangel in eine Ölflut. Trotzdem ging noch vor zwei Jahren niemand davon aus, dass der Preis pro Fass je wieder unter 100 Dollar fallen könnte. Nun ist sogar ein Preis von deutlich unter 40 Dollar in den Bereich des Möglichen gerutscht.
Der Ölpreis könnte jedoch genau so rasch wieder in die Höhe schiessen. Dieser Preis ist – wie es in der Fachsprache heisst – äusserst unelastisch. Will heissen: Eine kleine Veränderung im Verhältnis Nachfrage und Angebot hat grosse Wirkung.
Kommt dazu, dass der Ölpreis geopolitisch eine eminent wichtige Rolle spielt, und zwar gleich doppelt. Eine Verschärfung der Situation im Nahen Osten kann sehr schnell eine Verknappung zur Folge haben und damit zu einer Explosion des Ölpreises führen.
Zudem haben Länder wie Saudi-Arabien und Russland ein existenzielles Interesse daran, dass der Ölpreis sich bald wieder der 100-Dollar-Marke nähert. Daher ist es denkbar, dass auch die Saudis nach Mittel und Wegen suchen, wie man den Markt wieder austricksen kann.