Wirtschaft
Interview

«Künftig hat die Macht, wer die Telekommunikations-Verbindungen beherrscht»

Telecom-Antenne. Die 5G-Technologie ist ein entscheidender Faktor in der Geopolitik geworden.
Telecom-Antenne. Die 5G-Technologie ist ein entscheidender Faktor in der Geopolitik geworden. bild: upsplash.
Interview

«Künftig hat die Macht, wer die Telekommunikations-Verbindungen beherrscht»

Der Streit zwischen den USA und China eskaliert. Es geht nicht nur um das Handelsdefizit, es geht auch um nationale Sicherheit. Daryl Liew, Portfolio-Manager der Schweizer Bank Reyl in Singapur, beleuchtet den Konflikt aus asiatischer Sicht und erklärt, warum er noch keine Rezession befürchtet.
15.06.2019, 14:3815.06.2019, 16:01
Mehr «Wirtschaft»

Was glauben Sie, was ärgert Präsident Xi Jinping derzeit mehr: Donald Trump oder die Proteste in Hongkong?
Die Proteste in Hongkong irritieren ihn höchstens. Ihn ärgert allenfalls, dass Hongkong zu einem Hafen für chinesisches Schwarzgeld geworden ist.

Aber auch zu einem politischen Widerstandsnest.
Das spielt ebenfalls eine Rolle. Denken Sie an den Fall des Buchhändlers, der seinen Laden schliessen musste. Oder an den chinesischen Milliardär, der auf mysteriöse Art und Weise verschwunden ist.

Werden die Demonstranten Erfolg haben?
Langfristig kaum. Es sind vor allem junge Menschen, die auf die Strasse gehen. Die älteren hätten lieber Ordnung, um ungestört ihren Geschäften nachgehen zu können.

Daryl Liew
Daryl Liew ist Portfolio-Manager der Schweizer Bank Reyl in Singapur.

Sind die Demonstrationen eine Gefahr für die Wirtschaft?
Nicht wirklich. Sollten sie länger anhalten, könnten sie allerdings die Pläne von Präsident Xi durchkreuzen. Er hat vor ein paar Monaten angekündigt, Hongkong, Macao und Teile von Südchina zu einem Wirtschaftszentrum zusammenzuschliessen.

Die aktuellen Vorfälle in Hongkong sind ein Beweis mehr, dass China unter Xi zu einem immer autoritäreren Staat wird.
China ist eine sehr alte Zivilisation, die eine schwere Zeit hinter sich hat. Präsident Xi setzt alles daran, den alten Glanz Chinas wiederherzustellen. Dabei schreckt er auch vor harten Massnahmen nicht zurück.

Ist die Art und Weise, wie derzeit die Uiguren behandelt werden, nicht ein Zeichen einer neuen Diktatur? Man spricht gar von modernen Konzentrationslagern.
Konzentrationslager? Davon habe ich noch nie etwas gehört.

Hunderttausende von Uiguren werden in Lagern gewaltsam umerzogen?
Ethnische Minderheiten sind überall in Asien eine heikle Angelegenheit, nicht nur in China. Denken Sie an die Rohingya in Myanmar oder die Muslime in Indien. Anders als im Westen steht bei uns das Kollektiv im Mittelpunkt. Wir kümmern uns weniger um die Rechte von Minderheiten und individuelle Neigungen. Ich sage nicht, dass das in Ordnung ist. Ich stelle bloss fest, dass dies die asiatische Betrachtungsweise ist.

Gegen ein chinesisches Auslieferungsgesetz demonstrieren in Hongkong mehr als eine Million Menschen. Das Gesetz würde es erlauben, auf Ersuchen chinesischer Stellen Verdächtige an die Volksrepublik au ...
Massenproteste in Hongkong. In Peking ist man davon wenig beeindruckt.Bild: AP

China wird nicht nur autoritärer, es wird auch nationalistischer. Weshalb?
Weil es zu einer Supermacht aufgestiegen ist. China kann zwar militärisch mit den USA noch nicht mithalten…

…aber es hat seine Rüstungsausgaben massiv erhöht.
Ja, mittlerweile sind es – nach den amerikanischen – die zweithöchsten auf der Welt. China erhebt nun den Anspruch, gehört zu werden.

China nähert sich Russland an. Entsteht hier eine neue Front gegen den Westen?
China und Russland hatten historisch gesehen stets enge Beziehungen. So haben sie etwa im Korea-Krieg gemeinsam die Amerikaner bekämpft, auch wenn Stalin das nie zugegeben hat. Wenn heute die USA Sanktionen gegen Russland verhängen und China mit Strafzöllen überziehen, ist es nicht verwunderlich, dass die beiden sich wieder näher kommen nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Chinese President Xi Jinping, right, and Russian President Vladimir Putin attend the ceremony of presenting Xi Jinping degree from St. Petersburg State University at the St. Petersburg International E ...
Beste Freunde: Wladimir Putin und Xi Jinping.Bild: AP/AP POOL

Lange hat niemand ernsthaft an einen Handelskrieg zwischen den USA und China geglaubt. Jetzt hat er sich massiv zugespitzt. Glauben Sie, dass es beim G20-Gipfel in ein paar Tagen noch zu einem Deal kommen wird?
Ich denke, die beiden Präsidenten werden sich in Osaka die Hände schütteln und sagen: Lasst uns weiter verhandeln. Doch wir sollten uns keine Illusionen machen. Selbst wenn es zu einem Deal kommen sollte, werden die Probleme nicht verschwinden.

Weshalb nicht?
Nehmen wir den Fall Huawei. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieser Konflikt gelöst werden kann. Vor einem Jahr wurde der chinesische Hi-Tech-Konzern ZTE von den USA mit Sanktionen belegt, weil er verbotenerweise seine Produkte in den Iran geliefert hat. Präsident Trump hat diese Sanktionen schliesslich wieder aufgehoben.

Aus persönlichen Interessen, wie es gerüchteweise heisst.
Das weiss ich nicht. Doch der Fall von ZTE war nicht sehr kompliziert. Es hat gereicht, dass das Management der Firma ausgewechselt wurde. Die aktuelle Situation mit Huawei ist weit komplexer.

Weil es die nationale Sicherheit betrifft?
Genau. Die USA behaupten, dass die Chinesen Huawei für Spionage-Zwecke missbrauchen.

Zu Recht? Oder haben die Amerikaner schlicht die 5G-Technologie verschlafen?
Huawei ist auf dem Gebiet von 5G führend. Die Amerikaner wollen das Unternehmen deshalb stoppen und so die Chinesen daran hindern, Marktführer zu werden. Was 5G betrifft, haben die Amerikaner keinen Player. Nebst Huawei gibt es noch die beiden skandinavischen Hersteller Ericsson und Nokia und ZTE.

Wird es den Amerikanern gelingen, Huawei in die Knie zu zwingen?
Wohl kaum. Huawei ist zu gross und zu mächtig. Das Unternehmen wird einen Weg finden, die Sanktionen der USA zu umgehen. Zudem ist Huawei im Westen schon äusserst präsent. Ich komme gerade aus London. In Grossbritannien arbeitet man seit Jahren eng mit Huawei zusammen.

Wie wird der Konflikt zwischen den USA und Huawei ausgehen?
Ich vermute, dass es zu einer Balkanisierung des Internets kommen wird. Das bedeutet, dass wir dereinst ein westliches und ein chinesisches Internet haben werden.

epa07586409 A view shows a Huawei logo next to a Huawei store in a shopping mall in Beijing, China, 20 May 2019. According to media reports on 20 May 2019, the US based multinational technology compan ...
Fordert die USA heraus: Der IT-Konzern Huawei.Bild: EPA/EPA

Angenommen, es kommt am G20-Gipfel zu einem Deal zwischen Trump und Xi. Ist das mehr als eine Art Waffenstillstand?
Leider nein. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir in einer Welt leben werden, in der Strafzölle, Sanktionen und andere Handelshemmnisse die Regel werden. Die Ära des Freihandels und der Globalisierung ist vorbei.

Könnte es gar zu einem heissen Krieg kommen?
Dieses Risiko ist derzeit noch klein.

Es gibt jedoch die These der sogenannten Thukydides-Falle, die besagt, dass es zwischen einer bestehenden und einer aufstrebenden Supermacht zwangsläufig zu einem Krieg kommen muss.
Ich glaube nicht, dass die Amerikaner scharf sind auf einen heissen Krieg. Das Gerangel um 5G zeigt einen Wandel auf: Früher hatte die Macht, wer die Weltmeere beherrschte. Zuerst waren das die Briten, dann die Amerikaner. China wird noch viele Jahre brauchen, bis es diesbezüglich den USA die Stirne bieten kann. Aber vielleicht ist das auch gar nicht mehr nötig. Vielleicht hat künftig die Macht, wer die Telekommunikations-Verbindungen beherrscht. Genau das ist das Ziel von China. Und deshalb haben die USA beschlossen, zurückzuschlagen.

epa07621420 The Australian and Chinese flags are seen onboard the Luoma Lake (936) Fuchi II Class replenishment ship of the People's Liberation Army Navy, after it arrives at Garden Island Naval  ...
Kriegsschiff der chinesischen Streitkräfte.Bild: EPA/AAP

China hat jedoch auch sehr handfeste Interessen. Das zeigt die «Belt and Road»-Initiative. Da geht es um Strassen, Eisenbahnen und Häfen.
Die Chinesen wollen damit ihre riesigen Dollarreserven vernünftig anlegen. Zu diesem Zweck haben sie auch die Asiatische Infrastruktur Investmentbank (AIIB) gegründet, ein Gegenstück zum westlich dominierten Internationalen Währungsfonds. Sie schaffen so eine Infrastruktur, in der Peking im Zentrum steht, und handeln nach der Devise der alten Römer: Alle Wege führen nach Rom.

Trump ist derweil im Begriff, die Wege, die nach Washington führen, zu zerstören. So hat er TPP, das bereits verhandelte Freihandelsabkommen mit Asien, wieder abgeblasen. Hat er damit den Chinesen in die Hände gespielt?
Ich denke schon. Er hat das im Wahlkampf versprochen und sich so eine Falle gestellt, aus der er nicht mehr entkommen konnte.

Im besten Fall kommt es im Handelskrieg zu einem Waffenstillstand. Darüber sind sich die Politologen weitgehend einig. Die Märkte hingegen scheint dies nicht zu kümmern. Weshalb?
Das stimmt für die US-Börsen. Die asiatischen Märkte hingegen, beispielsweise die südkoreanische Börse, haben sehr heftig reagiert. Zudem ist der Welthandel derzeit stark rückläufig.

Trotzdem vertrauen die amerikanischen und die europäischen Märkte nach wie vor darauf, dass die Fed sie retten wird. Zu Recht?
Das trifft nur für die Aktienmärkte zu. Für Trump ist der Aktienindex S&P das Mass aller Dinge. Deshalb fühlt er sich in seinem Handeln ermutigt. Die Zahl der Ökonomen, die vor einer Rezession warnen, nimmt jedoch zu. Die sinkenden Zinsen der Staatsanleihen sind ein deutliches Zeichen dafür. Die Obligationenmärkte rechnen offensichtlich mit einer baldigen Rezession.

Optimismus an den Aktien-, Pessimismus an den Obligationenmärkten. Wer hat Recht?
Normalerweise sind die Obligationenmärkte smarter. Doch diesmal habe ich das Gefühl, dass die Aktienmärkte Recht bekommen. Zu einer Rezession wird es nur dann kommen, wenn bezüglich Freihandel alles schief gehen wird. Ich glaube jedoch, dass Trump und Xi zu irgendeinem Deal kommen werden.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
35 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
raues Endoplasmatisches Retikulum
15.06.2019 16:05registriert Juli 2017
"Anders als im Westen steht bei uns das Kollektiv im Mittelpunkt. Wir kümmern uns weniger um die Rechte von Minderheiten und individuelle Neigungen."
Das verspricht ja eine rosige Zukunft zu werden....
Das Kollektiv über das Individium zu stellen, hatten wir das so nicht schon mal?
17719
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ökonometriker
15.06.2019 15:32registriert Januar 2017
Das Internet in China ist heute schon extrem abgeschottet. Die grosse Firewall um das Land verwendet eine künstliche Intelligenz um zu erkennen, wer durch ein VPN mit dem Ausland kommuniziert und verlangsamt die Verbindung. An wichtigen Tagen wird sie gar unterbrochen.
Klar kann man das wenn man sich mit der Materie auskennt innert weniger Stunden nachhaltig umgehen. Aber die meisten können das nicht und surfen extrem langsam, wenn sie ausländische Dienste nutzen wollen.
774
Melden
Zum Kommentar
avatar
Supermonkey
15.06.2019 15:50registriert Juni 2017
Ein Portfolio Manger einer Bank in Singapur... Ok... Diverse Aussagen sind doch kompletter Humbug. Wer 5G Produkte baut hat nicht zwangsweise die Macht über Kommunikationsnetze... Was wäre dann mit den Node-Lieferanten für zb Glasfaser und Kupfernetze? Haben die bereits die Macht? Da hat jemand Grundsätzliches über Kommunikations-Technologien nicht verstanden...
8628
Melden
Zum Kommentar
35
Nur 9 Monate im Amt: UBS-Boss Ermotti streicht Monster-Bonus für 2023 ein
UBS-Chef Sergio Ermotti hat mit seiner Rückkehr zur Grossbank ordentlich mehr Lohn kassiert. Für neun Monate 2023 verdiente er 14,4 Millionen Franken.

Für UBS-Chef Sergio Ermotti hat sich die Rückkehr zur Grossbank auch mit Blick auf den Gehaltscheck gelohnt. Überhaupt verdienten die Top-Kader und Verwaltungsräte der UBS deutlich mehr.

Zur Story