Wirtschaft
Interview

«Die grüne Wirtschaft ist ein Wunschtraum»

Jason Hickel bei seinem Vortrag am Gottlieb Duttweiler Institut in Rüeschlikon.
Jason Hickel bei seinem Vortrag am Gottlieb Duttweiler Institut in Rüeschlikon.bild: sandra blaser.
Interview

«Die grüne Wirtschaft ist ein Wunschtraum»

Das Buch «Weniger ist Mehr» gilt als Bibel der Klimajugend. Sein Autor, Jason Hickel, plädiert darin für eine Wirtschaftsordnung ohne Wachstumszwang. Aber wie soll das in der Praxis funktionieren?
13.03.2022, 15:3813.03.2022, 17:03
Mehr «Wirtschaft»

Die Banken verkaufen ESG-Fonds, die Unternehmen legen Pläne vor, wie sie ihren CO₂-Ausstoss verringern wollen. Alle sprechen derzeit davon, die Wirtschaft müsse grün werden. Nun kommen Sie und sagen: Vergessen wir es. Eine grüne Wirtschaft gibt es nicht. Erklären Sie uns das?
Die Idee einer grünen Wirtschaft ist mittlerweile rund 50 Jahre alt. Seit Jahrzehnten haben wir damit experimentiert. Jetzt zeigt es sich, dass dieses Konzept nicht funktioniert. Die grüne Wirtschaft ist ein Wunschtraum.

Was läuft denn schief?
Unser Energie- und Ressourcen-Verbrauch steigt nach wie vor an. Wir wissen auch, dass folgende Gleichung nach wie vor stimmt: Je mehr Energie unsere Wirtschaft verbraucht, desto schwieriger wird es, sie zu dekarbonisieren. Die Verschwendung der Ressourcen hat zur Folge, dass ein ökologischer Zusammenbruch immer wahrscheinlicher wird. Das geht in der aktuellen Diskussion um die Klimaerwärmung leider oft unter.

In den letzten Jahren hat jedoch ein merklicher Stimmungswandel bei Managern und bei Konsumenten stattgefunden. Denken Sie bloss an den Ausdruck «Green New Deal». Er wurde erst vor ein paar Jahren geprägt, heute kennt ihn jedes Kind.
Ich leugne nicht, dass es eine wichtige Trendwende in der öffentlichen Wahrnehmung gegeben hat.

Aber…
Unsere Wirtschaft ist nach wie vor auf Wachstum und Profit ausgerichtet. Es reicht nicht, dass wir uns eine grüne Wirtschaft wünschen. Wir müssen konkrete Schritte unternehmen, um unser Wirtschaftssystem zu verändern.

Es gibt solche konkreten Schritte. Wir sprechen heute von «Kreislaufwirtschaft» und von «frugaler Innovation». Der Druck auf die Unternehmen, grüner zu werden, hat sich massiv verstärkt. Gleichzeitig ist die «dreckige» Industrie auf dem Rückzug. Der Anteil der Dienstleistungen an der gesamten Wirtschaft beträgt inzwischen rund 70 Prozent.
Trotzdem verbrauchen wir nach wie vor immer mehr Energie und andere Ressourcen. Das ist kein Zufall. Nehmen wir das Beispiel des Tourismus: Hotels und Kreuzfahrtschiffe werden den Dienstleistungen zugerechnet. Aber sind sie wirklich grün? Der Wandel hin zu den Dienstleistungen hat keineswegs zu den Resultaten geführt, die wir nun dringend brauchen.

epa09721555 A tourist cruise ship arrives at the port of Cartagena, Colombia, 01 February 2022. The relief of sanitary measures in Colombia allows the return of tourist cruises to Cartagena from 01 Fe ...
Nicht gerade unweltfreundlich: Kreuzfahrtsschiffe.Bild: keystone

Was wir brauchen, ist die Abschaffung des Kapitalismus, lautet Ihre Botschaft. Korrekt?
Wir müssen uns vor allem vom Wachstumszwang lösen. Er ist die Triebfeder des Kapitalismus. Nur so können wir den steigenden Energieverbrauch eindämmen. Alle wissenschaftlichen Analysen zeigen, dass wir unsere Probleme nur lösen können, wenn wir den Wachstumszwang überwinden.

Bei Kapitalismus und Wachstumszwang verhält es sich wie mit dem sprichwörtlichen Velofahren: Hört er auf zu treten, fällt er um. Wie also wollen Sie den Wachstumszwang überwinden, ohne dass die gesamte Wirtschaft kollabiert?
Der Vergleich ist falsch gewählt. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir ein Wirtschaftssystem entwickeln müssen, das ohne diesen Wachstumszwang auskommt.

Heisst dies auch, dass wir massive Verluste unseres Wohlstandes in Kauf nehmen müssen?
Nein, es ist möglich, einen hohen Lebensstandard ohne Wachstumszwang zu erhalten.

«Es reicht nicht, dass wir uns eine grüne Wirtschaft wünschen. Wir müssen konkrete Schritte unternehmen, um unser Wirtschaftssystem zu verändern.»

Und wie wollen Sie diese Wirtschaftsordnung errichten, ohne dass das gesamte bestehende System zusammenbricht?
Das kapitalistische System bricht ja bereits derzeit in regelmässigen Abständen zusammen. Rund alle zehn Jahre haben wir eine Rezession oder gar eine Depression. Das zeigt doch auch, dass der bestehende Kapitalismus den meisten Menschen nicht dient. Daher brauchen wir eine fundamental andere Wirtschaftsordnung, eine, die gleichzeitig die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, ohne dabei die Umwelt zu zerstören.

In der Theorie werden Ihnen viele zustimmen, in der Praxis weniger.
Vielen Menschen flösst diese Vorstellung Angst ein. Für sie ist der Kapitalismus das einzige System, das sie kennen. Irgendwie ist das paradox, denn gleichzeitig loben wir Innovation und unkonventionelles Denken. Nur wenn es um das Wirtschaftssystem geht, sind wir vollkommen fantasielos. Alles andere als der bestehende Kapitalismus ist unvorstellbar.

Zumindest für meine Generation, der Generation der Babyboomer, gab es eine Alternative: den Sozialismus. Hat leider nicht geklappt. Wie unterscheidet sich Ihre neue Gesellschaftsordnung vom alten Sozialismus des letzten Jahrhunderts?
Der traditionelle Sozialismus und der Kommunismus waren ebenfalls von einem Wachstumszwang geprägt. Die UdSSR und die USA haben sich ja ein Wettrennen geliefert, wer schneller wächst. Die Sowjetunion war deshalb auch eine ökologische Katastrophenzone.

Wie sieht dann Sozialismus ohne Wachstumszwang aus?
Er orientiert sich nicht am Profit, sondern an den menschlichen Bedürfnissen. Also an genügend Wohnraum für alle, einem funktionierenden Gesundheitssystem, gesunder Nahrung, genügende Freizeit, einem öffentlichen Verkehrssystem, etc. Diese Ziele können von einer Wirtschaftsordnung auch ohne Wachstumszwang erreicht werden.

epa01472481 A Marviva handout picture dated November 2007 and made available on 31 August 2008 shows an aereal view of Coco Island, Costa Rica. Coco Island is one of five Central America natural sites ...
Coco Island in Costa Rica gilt als Naturparadies.Bild: EPA

In Ihrem Buch führen Sie Costa Rica als ein Beispiel für eine solche Wirtschaftsordnung an.
Das stimmt so nicht. Costa Rica ist für mich beispielhaft, was die Ökologie betrifft. Der Energieverbrauch und der Ressourcenverschleiss in diesem Land sind vorbildlich, aber der Wirtschaft ist es nicht gelungen, sich vom Wachstumszwang zu lösen. Die Ungleichheit ist auch deutlich geringer als beispielsweise in den USA. Costa Rica zeigt einen Weg auf, wie eine Gesellschaft ohne Wachstumszwang aussehen könnte, es ist jedoch noch lange nicht am Ziel.

Weniger Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft und unter den Nationen ist gemäss Ihrer These der Schlüssel zu einer Gesellschaft ohne Wachstumszwang. Ohne Verzicht lässt sich diese nicht machen. Wie wollen Sie diese Ziele erreichen? Glauben Sie, dass die reichen Länder und die reichen Menschen freiwillig auf ihren Wohlstand verzichten und teilen werden?
Als Erstes müssen wir festhalten: Die bestehenden Produktionskapazitäten reichen aus, um allen Menschen ein Leben auf hohem Niveau zu ermöglichen. Es ist schlicht ein Verteilungsproblem. Selbst in reichen Ländern wie den USA oder Grossbritannien gibt es nach wie vor Armut.

«Der traditionelle Sozialismus und der Kommunismus waren ebenfalls von einem Wachstumszwang geprägt.»

Das ist hinreichend bekannt. Trotzdem war es bisher nicht möglich, diese Ungleichheit zu reduzieren. Sie nimmt nach wie vor zu.
Die Ungleichheit zu bekämpfen, ist politisch sehr herausfordernd. Es gibt massiven Widerstand dagegen von den Kreisen, die vom bestehenden System profitieren. Doch dieser Kampf lässt sich nicht vermeiden. So sagt etwa der berühmte Ökonom Thomas Piketty, dass der Kampf gegen die Ungleichheit das wirksamste Mittel gegen den Ressourcenverschleiss darstellt. Es ist wirklich so banal: Man muss die Superreichen stärker besteuern.

Im Zweiten Weltkrieg und danach kam es zum letzten Mal zu einer Reduktion der Ungleichheit. Braucht es wieder einen Krieg?
Um Gottes Willen, nein! Es war nicht der Krieg, der die Ungleichheit reduziert hat, es war die neue Macht der sozialen und der Bürgerrechtsbewegungen.

Sind heute Bewegungen wie Fridays for future und Extinction Rebellion die neuen treibenden Kräfte?
Es sind wichtige politische Bewegungen, und sie haben viel dazu beigetragen, die öffentliche Diskussion über den Klimawandel in Gang zu bringen. Wenn sie auch eine politische Kraft werden wollen, müssen sie sich mit der Arbeiterbewegung zusammenschliessen. Das kann nur gelingen, wenn sie aufzeigen können, wie der Kampf gegen die Klimaerwärmung auch ihr Leben verbessern kann.

Wie das Beispiel der Gelbwesten in Frankreich gezeigt hat, wird dies nicht einfach sein. Dort haben die Arbeiter gegen höhere Benzinpreise rebelliert.
Das stimmt so nicht. Die französischen Arbeiter haben gegen eine sehr repressive Politik rebelliert. Sie befürworten sehr wohl eine gerechte und faire Klimapolitik, aber nicht die Klimapolitik der Regierung Macron.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Aufforstungs-Potential in der Schweiz und weltweit
1 / 18
Aufforstungs-Potential in der Schweiz und weltweit
In der Schweiz befinden sich die für Aufforstung geeigneten Flächen vornehmlich im Mittelland, in den Voralpen und im Jura. Das zeigt sich deutlich in diesen Screenshots der Landesteile. Hier ist die Nordostschweiz zu sehen. (karte: crowther lab / eth zürich)
quelle: crowther lab / eth zürich
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Ich achte auf die Umwelt – und werde dafür blöd angemacht!»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
118 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
pumpkin42
13.03.2022 16:42registriert Januar 2015
Immer wenn's spannend wird hören die Artikel von Herrn Löpfe auf. Ich vermisse die konkreten nächsten Schritte. Es ist ja nicht so, dass sich nur die Superreichen gegen Veränderungen wehren, sondern regelmässig auch 50% oder mehr des Stimmvolkes, und das ist ja beileibe nicht nur das rechte Spektrum. Wie kann es also gelingen, das Stimmvolk von diesen notwendigen Änderungen zu überzeugen? Das wünschte ich mir in so einem Artikel weiter ausgeführt. Sich vor der Bank anzuketten hilft nicht, damit hat man schon verloren
818
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tobias W.
13.03.2022 18:33registriert Januar 2017
Die Wirtschaft ist nicht ein unlösbares Problem! Das Problem ist unser verdammter Konsum, von oftmals total unnötigem Billigzeugs aus China.

Wenn wir genau so konsumieren würden, wie von 60 Jahren - jedoch die ganzen Innovationen hätten, die wir heute haben. Dann wäre unsere Welt viel, viel grüner.

Aber die Leute bestellen sich Abfall wie zB. AirPods für 12 Franken - die können gar nicht gut sein! Muss man das wirklich bestellen, nur weil sonst das Leben zu langweilig ist??

Gegen Wohlstand und gewissen Luxus und Konsum wende ich nichts ein. Aber man könnte ja auch mal nachdenken!
5615
Melden
Zum Kommentar
avatar
Snowy
13.03.2022 21:08registriert April 2016
„Es ist wirklich so banal: Man muss die Superreichen stärker besteuern.“

Genau so ist es!

TAX THE RICH!

Man kann es gar nicht oft genug betonen…!
Und alle anderen Probleme lassen sich danach lösen

Alle Milliärdäre müssen sich nun entscheiden, ob sie lieber weiterhin Philantrophie, Stiftungen und Charity betreiben wollen (Team Bill Gates) oder sich aktiv für ein gerechtes Steuersystem für (sehr) reiche Menschen einsetzen (Team Warren Buffet)

Wer als Milliardär - wie B.Gates, Koch Brothers, Blocher u.a. sich weiterhin aktiv gegen höhere Steuern ausspricht, gehört sozial geächtet!
247
Melden
Zum Kommentar
118
Waffenindustrie, Goldpreis, Franken: Die Profiteure (und Verlierer) einer Krisen-Welt
Eine Krise hat auch immer Auswirkungen auf die Märkte, die Aktienkurse oder den Goldpreis. Ein Blick auf die Daten zeigt, wer von der aktuellen Weltlage profitiert – und wer nicht.

Ein Krieg zieht immer Konsequenzen mit sich, auf dem Aktienmarkt, beim Ölpreis, bei den Waffenunternehmen, beim Gold.

Zur Story