Kauft die NZZ die «Basler Zeitung» und setzt dafür deren Chef Markus Somm an die Spitze? Oder kauft Christoph Blocher der NZZ die «Luzerner Zeitung» und das «St.Galler Tagblatt» ab und verlangt im Gegenzug, dass sein Adlatus Somm inthronisiert wird? Es gibt derzeit kein Gerücht rund um die NZZ, das nicht herumgereicht wird – und das Unheimliche daran ist: Alle wirken sehr plausibel. Was zum Teufel ist an der Falkenstrasse in Zürich los?
Die NZZ ist mehr als eine Zeitung, sie ist eine Institution des Zürcher Bürgertums und der Wirtschaft. Die Eigentumsverhältnisse sind so geregelt, dass eigentlich nichts schief gehen sollte. Aktionär werden kann nur, wer sich als echter Liberaler ausweisen kann. Eine FDP-Mitgliedschaft ist zwar nicht unbedingt nötig, wird aber gerne gesehen. Der Besitz von Aktien ist begrenzt, aber NZZ-Aktien erwirbt man – oder genauer, erwarb man – ohnehin nicht des schnöden Mammons wegen. NZZ-Aktionär wurde man aus liberaler Überzeugung – und weil man an der Generalversammlung die richtigen Leute traf.
Die Eigentumsverhältnisse der NZZ waren so gesehen ein Widerspruch in den Begriffen. Ausgerechnet das Blatt, das wie kein zweites für freien Markt auf allen Stufen plädierte, war selbst durch vinkulierte Aktien und nicht gerade liberale Zutrittsbedingungen vor den Stürmen des Kapitalismus geschützt. Unfreundliche Übernahmen waren ausgeschlossen.
Gefahrlos konnte man deshalb innerhalb der Festung an der Falkenstrasse von der «schöpferischen Zerstörung» im Sinne von Schumpeter schwadronieren. Der ehemalige NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler pflegte jeweils verächtlich abzuwinken, wenn man den Begriff Shareholder Value in Verbindung mit seinem Blatt brachte. Seine Sache war die Publizistik – und sonst gar nichts.
Die seltsamen Eigentumsverhältnisse mögen paradox sein, sie erfüllen – genauer erfüllten – einen guten Zweck: Bei der NZZ musste man nie fürchten, dass der Sohn des Verlegers in jugendlichem Übermut Dummheiten machte, beispielsweise politische Experimente zuliess, die nicht NZZ-like waren. Die alte Tante war dank ihres breit gestreuten Aktionariats und ihres breiten Immobilienbesitzes zu einer sicheren Bank geworden, die eine Zeitung verlegte, die berechenbar war.
Diese Mentalität hat sich auch auf die NZZ-Journalisten übertragen. Sie geniessen – genauer genossen – Freiheiten, die auf anderen Redaktionen undenkbar gewesen wären, aber sie genossen diese Freiheiten, weil man wusste, dass sie diese nicht missbrauchen würden. Die NZZ-Welt war bestens geregelt: Im Ausland und im Feuilleton gab man sich staatsmännisch und weltoffen, im Inland waren gelegentlich linksliberale oder grüne Farbtupfer erlaubt, so lange man nicht über die Stränge schlug. In der Wirtschaft herrschten Disziplin und ordoliberale Grundsätze.
Selbstverständlich ist die NZZ eine engagierte Kämpferin für die Globalisierung. Aus Überzeugung wurde regelmässig das Mantra des Freihandels heruntergebetet. Dabei wurde übersehen, dass man allmählich selbst ein Opfer der neoliberalen Revolution wurde. Topmanager und Spitzenbanker begannen, sich an «Wall Street Journal» und «Financial Times» zu wenden, wenn sie glaubten, etwas zu sagen zu haben. Sie sprechen inzwischen ohnehin meist Englisch. Bundesräte ihrerseits haben begriffen, dass «Blick» und «20 Minuten» und vor allem das Fernsehen für die Wiederwahl sehr viel wichtiger sind als ein etwas steifes Interview in der NZZ. Das Weltblatt fiel zwischen Stuhl und Bank, der Weltblatt-Lack begann zu blättern.
In der digitalen Welt findet die alte Tante ihren Platz nicht mehr. Ausgerechnet das Traditionsblatt hat sich als erste vom Print verabschiedet und lässt bald bei der Konkurrenz drucken. Von den Ausflügen in die Provinz erhoffte man sich einst eine Verbesserung des Cashflows, jetzt werden sie zu Klumpen am Bein.
Die Ausflüge in die digitalen Medien haben bisher zu Crash-Landungen geführt. Auch die neue Führung gibt Rätsel auf: Der neue Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod ist Welscher und an der Limmat kaum bekannt. CEO Veit Dengler gibt Rätsel auf, die Einschätzungen reichen von Genie bis Hochstapler.
Wirtschaftlich gesehen ist der Niedergang der NZZ nicht erstaunlich. Printmedien im Allgemeinen und Tageszeitungen im Speziellen befinden sich in einer Todesspirale. Der Verweis auf «New York Times» und ihre Paywall-Lösung ist eine Illusion. In der Schweiz, ja möglicherweise im ganzen deutschen Sprachraum, spielt niemand in dieser Liga. Und selbst im angelsächsischen Raum sind Spitzentitel wie die «Washington Post» auf Mäzene wie Jeff Bezos angewiesen.
Nachdenklich, um nicht zu sagen traurig, stimmt die Tatsache, dass sich das liberale Zürcher Bürgertum die NZZ nicht mehr leisten will. Die paar Millionen – so meint man – müssten doch an der Limmat und entlang den beiden Seeufern locker einzutreiben sein. Doch der Vormarsch der neoliberalen Globalisierung ist gleichzeitig der Rückzug des liberalen Bürgersinns. Wie sagte doch Maggie Thatcher in Anlehnung an Friedrich von Hayek: «So etwas wie die Gesellschaft gibt es nicht.»
Die Wirren um die NZZ zeigen, dass mittlerweile selbst innerhalb des Bürgertums der Gemeinschaftssinn verloren gegangen ist. Wenn es ums Bezahlen geht, lässt man gerne den anderen den Vortritt. Christoph Blocher ist bereit, auch wenn er weiss, dass er Geld verlieren wird. Im Gegensatz zum liberalen Bürgertum hingegen hat er eines begriffen: Ideen sind Macht.
Eine witzige Metapher twitterte @maxtransparenz
Entreisst Blocher der alten Tante den Rollator?
#NZZ - die Globalisierung frisst ihre Kinder http://t.co/LwB5Y58wac via .@watson_news
— cuirhommeblog (@maxtransparenz) 12. Dezember 2014