In der amerikanischen Pharmaindustrie zeichnen sich zwei grosse Deals ab: AbbVie will sich für 54 Milliarden Dollar mit dem irischen Unternehmen Shire PLC vermählen, Mylan für 5,3 Milliarden Dollar mit dem holländischen Generika-Hersteller Abbott Laboratories. Das Merkmal beider Deals ist es, dass sie in keiner Weise betriebswirtschaftlich begründet sind. Es geht weder darum, neue Märkte zu erschliessen, noch darum, Synergien zu gewinnen. Es handelt sich um sogenannte «Inversions»-Geschäfte, deren einziger Zweck darin besteht, Steuern zu sparen.
Inversions-Deals sind derzeit ein Mega-Trend. Angefangen hat es vor zwei Monaten mit dem Übernahmeangebot von Pfizer an AstraZeneca. Zwar hat sich der britisch-schwedische Konzern bisher einer Heirat verweigert, doch Pfizer hat noch nicht aufgegeben. Experten rechnen mit weiteren Angeboten im kommenden Herbst.
Die neue Übernahmewelle hat zwei Gründe: Einerseits hat ein neues Gesetz die Steuerlücken für US-Unternehmen auf den Bermudas und Cayman Islands geschlossen. Andererseits haben viele dieser Unternehmen grosse Cashreserven im Ausland, die sie versteuern müssten, wenn sie das Geld nach Hause transferieren würden. Pfizer beispielsweise würde nach einer Heirat mit AstraZeneca rund eine Milliarde Dollar Steuern sparen, jährlich wohlverstanden.
Die Inversions-Übernahme-Welle beschränkt sich nicht auf die Pharmaindustrie. Das «Wall Street Journal» spricht von insgesamt 19 solcher Deals, «14 davon sollen noch dieses Jahr über die Bühne gehen». Für den US-Fiskus zeichnet sich ein grosser Verlust ab. Gegen 20 Milliarden Dollar Steuerausfälle sollen die Inversionsgeschäfte in den nächsten zehn Jahren verursachen.
Wie dreist diese Deals abgewickelt werden, zeigt das Beispiel der Drogeriekette Walgreen. Das hauptsächlich rund um Chicago tätige Unternehmen liebäugelt damit, sich vom britischen Unternehmen Boots übernehmen zu lassen, das seinerseits seinen Hauptsitz aus steuerlichen Gründen in die Schweiz verlegt hat. Dies wäre gleich doppelt pervers: Walgreen hat viele Jahre lang von Steuervergünstigungen im Staat Illinois profitiert. Die Firma ist nur in diesem Markt tätig. Wenn sie sich von Boots übernehmen lässt und damit in der Schweiz steuerpflichtig wird, spart sie jährlich hunderte von Millionen Dollar Steuern.
Manager werden aus bestimmten Gründen vaterlandslose Gesellen: Einerseits hat die Globalisierung den Charakter der Unternehmen grundlegend verändert. Früher waren sie vertikal integrierte Konzerne, will heissen: Alles, was möglich war, wurde in-house produziert. Bei River Rouge, dem legendären Mutterwerk von Henry Ford beispielsweise, wurden vorne Stahl und Holz angeliefert und hinten fuhren fertige Autos heraus. Alle Zwischenschritte wurden im Werk selbst erledigt. Heute sind sie rund um den Globus verteilt. Die Wirtschaft hat sich in eine weltumspannende Supply Chain verwandelt.
Auch die Anreizsysteme für Manager haben sich gewandelt. Früher war der Bonus das Rahmtüpfchen auf der Torte, heute ist er fast die ganze Torte. Bei vielen Topmanagern beträgt er inzwischen mehr als die Hälfte des Einkommens. Der Bonus ist in der Regel abhängig vom Aktienkurs. Daher haben die Manager ein grosses Interesse an steigenden Kursen. Am einfachsten können sie dies erreichen, indem sie die Aktien ihres eigenen Unternehmens zurückkaufen. So verknappen sie das Angebot und treiben die Preise in die Höhe. Um nochmals Pfizer als Beispiel heranzuziehen: Das Unternehmen hat in den letzten Jahren mehr Geld in Aktienrückkäufe investiert als in Forschung und Entwicklung.
Wer früher in einer Schweizer Bank Karriere machen wollte, musste Offizier sein, am besten vom Hauptmann an aufwärts. Die Banken übernahmen damit einen nicht unbeträchtlichen Teil der Kosten der Armee: Sie stellte das Führungspersonal gratis zu Verfügung und einen Teil der Verwaltung. Viele Banksekretärinnen mussten so nebenbei den Papierkram ihrer Milizoffizierschefs bewältigen. Heute ist das undenkbar geworden. Jungbanker werden auf einschlägige Business Schools geschickt, nicht mehr in die Zentralschule der Schweizer Armee.
Nicht mehr vorstellbar ist es auch, dass ein Chef von Generalmotors wie Charles E. Wilson in den 1950er Jahren sagen würde: «Was gut ist für GM, ist gut für Amerika». Heute ist gut, was Kosten spart und den Gewinn erhöht. In den Shareholder Value getriebenen Konzernen haben vaterländische Sentimentalitäten keinen Platz mehr. Es gilt, jedes Steuerloch auszunützen und jeden Minimallohn auszureizen.
Adam Smith hat die Theorie der Marktwirtschaft in Edinburgh gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt. Damals war die «unsichtbare Hand» eingebettet in eine lokale Gemeinschaft. Heute entfaltet sie ihre Wirkung in einer globalen Supply Chain und nimmt keine Rücksicht mehr auf soziale Kollateralschäden oder nationale Gefühle.
Das führt zu Gegenreaktionen: Während die Wirtschaft immer globaler wird, wird die Politik neuerdings wieder nationalistischer. In der Schweiz stimmen die Wähler einer Initiative gegen die Masseneinwanderung zu im vollen Bewusstsein, damit der Wirtschaft zu schaden. In Frankreich wenden sich die Arbeiter enttäuscht von der sozialistischen Partei ab und suchen ihr Heil beim faschistoiden Front National, ebenfalls im Wissen um die fatalen wirtschaftlichen Konsequenzen. In den USA kann der Präsident keine Freihandelsabkommen mehr abschliessen, weil ihm der Kongress die Gefolgschaft verweigert.
Dabei müsste es umgekehrt laufen, die Politik müsste globaler, nicht nationaler werden. Nur so lassen sich die beiden dringendsten Probleme des 21. Jahrhunderts bewältigen: Die Klimaerwärmung kann – wenn überhaupt – nur mit internationalen Abkommen gestoppt werden. Das immer bedrohlicher werdende Wohlstandsgefälle kann nur mit einer globalen Kapitalgewinnsteuer abgebaut werden, wie der Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch «Das Kapital im 21. Jahrhundert» stichhaltig nachweist.
Die Wirtschaft ihrerseits müsste wieder nationaler werden. Eine zu einer Hyperglobalisierung gewordene Globalisierung erzeugt inzwischen für die Mehrheit der Menschen mehr Schaden als Nutzen. Von einer Stärkung lokaler und regionaler Kreisläufe würden Mensch und Umwelt weit mehr profitieren. Was wir daher bräuchten sind Manager, die ihr Vaterland wieder lieben – und Politiker, die fähig sind, global zu denken.
Nach langem Rückgang ist Logitech wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt: Zwischen Januar und März legte der Umsatz wieder zu. Auch den Gewinn konnte der Hersteller von Computerzubehör markant verbessern.