Den November hat der Rubel mit einem historischen Absturz beendet, innerhalb von fünf Arbeitstagen verlor die russische Währung rund zehn Prozent des Wertes. Und doch spricht am Montag in Moskau kaum jemand über die vergangene schwarze Woche. Denn der Dezember hat noch dramatischer begonnen: Die Ausschläge des Rubelkurses werden immer grösser, am Montag verlor er zwischenzeitlich über sechs Prozent.
Der Kursverfall steht in starkem Kontrast zu dem Selbstbewusstsein und der Aggressivität, mit der Moskau in diesem Jahr auftrumpft. Aussenpolitisch sieht sich der Kreml auf Augenhöhe mit dem Westen, in Syrien und der Ukraine bietet Wladimir Putin Amerikanern und Europäern die Stirn. Daheim aber reissen die Wirtschaftsprobleme den Rubel in die Tiefe, mehr als 40 Prozent hat die Währung seit Jahresbeginn an Wert verloren.
Der Absturz trifft auch Prestigeprojekte des Kreml. So legt die Raumfahrtbehörde Roskosmos Satellitenprojekte erstmal auf Eis, «aufgrund von Kurschwankungen», meldet die Tageszeitung «Iswestija». 90 Prozent der Bauteile stammten aus dem Ausland, angesichts der Rubelkrise aber sei es unmöglich, derzeit die Kosten zu kalkulieren.
Der Absturz ruft bei vielen Russen Erinnerungen wach an die letzte grosse Krise: 1998 verlor der Rubel innerhalb weniger Tage 75 Prozent, Millionen Bürger ihre bescheidenen Ersparnisse – der russische Staat schlitterte in die Zahlungsunfähigkeit.
Ist die Rubelabwertung das Vorzeichen einer neuen Russlandkrise? Langfristig vielleicht. Kurzfristig jedoch hilft der Währungsverfall Putin sogar, die Auswirkungen des ebenfalls abgestürzten Preises für Rohöl zu mildern.
«Der Rubelverfall sichert den Staatshaushalt gegen den sinkenden Ölpreis ab», sagt der in Moskau ansässige Analyst Chris Weafer. Russland bekommt auf dem Weltmarkt zwar weniger Dollar pro Barrel Rohöl. Für jeden Dollar bekomme das Land aber mehr Rubel, um Renten und Beamtengehälter zu bezahlen. Die Währungskrise lässt die Öleinnahmen mitunter sogar steigen: Ein Barrel brachte Russland zuletzt 3600 Rubel ein, hat die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins «Forbes» ausgerechnet, 2012 waren es dagegen nur 3200 Rubel.
Die Staatsverschuldung ist zudem gering, sie liegt bei gerade einmal 13 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. «Die Zahlungsunfähigkeit muss der Kreml deshalb nicht fürchten, noch nicht einmal eine besonders scharfe Rezession», sagt Analyst Weafer.
Brenzlig könnte die Lage für die Konzerne werden. Russlands Unternehmen und die grossen Banken stehen im Ausland tief in der Kreide, allein 130 Milliarden Dollar an Krediten müssen 2015 zurückgezahlt werden, und zwar nicht in Rubel, sondern in Devisen. Der Kreml könnte die Firmen aber mit Milliardenhilfen aus seinen Währungsreserven stützen. Sie belaufen sich noch immer auf mehr als 400 Milliarden Dollar und werden grösstenteils in ausländischer Währung gehalten. Dem Devisenschatz des Kreml kann der Rubelverfall also wenig anhaben.
Die Abwertung des Rubel ist allerdings nicht nur Folge der Turbulenzen auf dem Ölmarkt und der Sanktionen des Westens. Sie ist das Symptom eines schleichenden Verfalls der russischen Volkswirtschaft.
Seinen Anfang hat der Sinkflug des Rubel bereits im vergangenen Jahr genommen. Im Sommer 2013 verlor er rund zehn Prozent, obwohl der Ölpreis noch weit über 100 Dollar lag und der Moskau genehme Präsident Wiktor Janukowytsch in Kiew noch fest im Sattel sass. Bis zum 20. Februar 2014 – dem Vorabend des Sieges der Maidan-Revolution – verlor der Rubel noch einmal rund zehn Prozent.
In der Abwertung spiegelte sich das Misstrauen der Märkte in Russlands Wirtschaftspolitik wieder. Die Investitionen in die russische Wirtschaft sinken seit Jahren, das Wachstum ist gering, die Wirtschaft stagniert. «Nötige Reformen sind ausgeblieben», sagt Experte Weafer.
Die Währungskrise dürfte die Investitionsschwäche noch verstärken. Jedes westliche Unternehmen wird sich nun zweimal überlegen, Dollar oder Euro in Russland anzulegen, solange der Rubelabsturz nicht gestoppt ist. Auch die Russen stehen vor härteren Zeiten: Die meisten Waren werden aus dem Ausland importiert, die Preise werden massiv steigen.
Eine tiefe Rezession wird der Kreml zwar wohl vermeiden können. Dank Devisenreserven und Öleinnahmen kann er Sozialausgaben erhöhen und mehr Geld für Staatsaufträge ausgeben. Damit verstärken sich aber auch die strukturellen Probleme der russischen Ökonomie: Der Staat spielt in der Wirtschaft eine immer wichtigere Rolle, der private Konsum und die Investitionen leiden.
Der akute Absturz des Rubel sei ein «Zeichen für den Total-Kollaps des Vertrauens in die russische Wirtschaft», sagt Weafer. Alexej Kudrin, bis 2012 Finanzminister und Putin-Vertrauter, sieht das ähnlich: Das Vertrauen der Investoren in Russland und den Rubel wieder herzustellen werde nur durch «sieben bis zehn Jahre Wachstum gelingen».