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Rudolf Strahm: «Ein Schweizer Heizungstechniker ist besser qualifiziert als ein deutscher Ingenieur»

Ökonom Rudolf Strahm: Bundesrat sendet positives Signal zur Berufsbildung in der Schweiz.
Ökonom Rudolf Strahm: Bundesrat sendet positives Signal zur Berufsbildung in der Schweiz.Bild: KEYSTONE

Rudolf Strahm: «Ein Schweizer Heizungstechniker ist besser qualifiziert als ein deutscher Ingenieur»

Wieso die Stelle des Heizungsmonteurs gefährdet ist und was der Bundesrat via Bildungsmassnahmen hätte unternehmen können, erklärt alt Nationalrat Rudolf Strahm (SP) im Interview. 
01.04.2015, 10:2101.04.2015, 10:46
anna wanner / aargauer zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Herr Strahm, bei seinem Auftritt erklärte Bundesrat Johann Schneider-Ammann zusammen mit Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern, dass die Berufsbildung gestärkt werde. Das sollte in Ihrem Sinne sein.
Rudolf Strahm: Ja. Es ist es ein positives Bekenntnis zur Berufsbildung und zur höheren Berufsbildung, auch wenn die ganze Übung mehr deklamatorisch war.

Mit anderen Worten: Das Bekenntnis ist unnütz.
Nein, es ist nicht unnütz. Am Bekenntnis wurde zwei Jahre lang gearbeitet – und es fällt sehr positiv aus.

«Ich würde immer noch unterschreiben, dass ein Schweizer Heizungstechniker mit höherer Berufsbildung besser qualifiziert ist als ein deutscher Ingenieur.»
Rudolf Strahm

Viel Neues beinhaltet es aber nicht. Dass 95 Prozent der Jugendlichen einen Sek-II-Abschluss machen, ist beispielsweise ein bekanntes Ziel.
Genau. Die damalige Wirtschaftsministerin Doris Leuthard hat vor zehn Jahren das Ziel zusammen mit den Kantonen vereinbart. Und es ist heute bei all jenen Jugendlichen erreicht, die in der Schweiz geboren sind, bei Ausländern und Schweizern. Nur bei den neu zugewanderten Jugendlichen ist die Quote tiefer. Grundsätzlich finde ich es positiv, wenn sich der Bundesrat weiterhin zu diesem Ziel bekennt. 

Was ist also neu am gemeinsamen Bekenntnis?
Neu ist das Anforderungsprofil, das für die einzelnen Berufe erstellt werden soll. So wissen die Jugendlichen, was hinter den Berufen steckt. Wiederholt wurde auch das Bekenntnis zur Erfahrung in der Arbeitswelt, also dem Praxisjahr für Gymnasiasten, die an eine Fachhochschule wollen. Leider ist keine Entscheidung gefallen zur Aufwertung der Titel der höheren Berufsbildung. Das ist ein Problem, weil gut ausgebildete Arbeitskräfte aus der Schweiz den ausländischen Konkurrenten unterliegen. Wegen des Titels werden Absolventen von ausländischen Massenuniversitäten vorgezogen.

Sie sagten einmal, dass ein Schweizer Heizungstechniker mit höherer Berufsbildung in Wärmetechnik besser qualifiziert sei als ein deutscher Ingenieur.
Das würde ich immer noch unterschreiben. Wenn ein Schweizer vier Jahre Heizungsmonteur gelernt hat, macht er dann möglicherweise mit 30 Jahren eine Höhere Fachschule oder eine Höhere Fachprüfung – die frühere Meisterprüfung. Er spezialisiert sich beispielsweise auf Solartechnik, Wärmepumpentechnik, Sensortechnik oder Gebäudeautomation. Der weitergebildete Heizungsmonteur kennt nicht nur die Praxis von der Pike auf, sondern kennt auch die neuesten Technologien. Er trägt dann vielleicht einen Titel eines Technikers HS, steht jedoch in Konkurrenz mit einem Bachelor einer deutschen Hochschule.

Wirtschaft
«Wer den Weg der Berufslehre geht, dem muss ein äquivalenter Titel zum Bachelor und Master in Aussicht gestellt werden.»
Rudolf Strahm

Wenn der Monteur den Titel Bachelor tragen würde, würde er die Stelle eher erhalten?
Im Kampf zwischen Gymnasium und Berufslehre muss man den Jugendlichen und den Eltern konkrete Karrierewege und Titel anbieten können. Wer den Weg der Berufslehre geht, dem muss ein äquivalenter Titel zum Bachelor und Master in Aussicht gestellt werden.

Immerhin stellt der Bundesrat eine «finanzielle Entlastung» für die Absolventen von eidgenössischen Prüfungen in Aussicht.
Ja. Die Finanzierung der Berufsbildung ist sehr teuer. Das Gewerbe hat dafür 400 Millionen Franken verlangt. Der Bundesrat hat nun 100 Millionen Franken versprochen. Gewerkschaften, Arbeitgeber und der Bundesrat haben ein Bekenntnis abgegeben. Der kleinste gemeinsame Nenner ist aber so klein, dass es kaum Platz für konkrete Massnahmen gibt. Es handelt sich nicht um Massnahmen; es sind Appelle an die Wirtschaft. Appelle, mehr Lehrlinge auszubilden zum Beispiel. Wobei man dem Bundesrat auch zugutehalten muss: In der Bildung kann man keine Blitz-Massnahmen ergreifen. Denn selbst wenn ein Bildungsweg speziell gefördert wird, dauert eine Ausbildung immer noch drei bis vier Jahre.

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«Wobei man dem Bundesrat auch zugutehalten muss: In der Bildung kann man keine Blitz-Massnahmen ergreifen.»
Rudolf Strahm

Sie erwarten also keine konkreten Massnahmen mehr?
Ich erwarte, dass wie angekündigt im Sommer endlich konkrete Massnahmen zu den Ärzten, zum Pflegepersonal, zum Betreuungspersonal, zur Mint-Ausbildung und zur Titeläquivalenz erlassen werden. Aber das war nicht Inhalt des gestern präsentierten Papiers zur Berufsbildung.

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Romeo
01.04.2015 10:49registriert Januar 2014
Titel sind Blender. Erfahrung und die Möglichkeit diese im aktiven Berufsleben machen zu können soll mehr gewichtet werden.

The only source of knowledge is Experience. Albert Einstein
Rudolf Strahm: «Ein Schweizer Heizungstechniker ist besser qualifiziert als ein deutscher Ingenieur»
Titel sind Blender. Erfahrung und die Möglichkeit diese im aktiven Berufsleben machen zu können sol ...
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jtk
01.04.2015 11:27registriert Januar 2015
Geschätzter Herr Strahm mit einer Berufslehre ist es auch in der Schweiz möglich einen Master- oder Bachelorabschluss zu machen.
Ich habe Zimmermann gelernt, ein paar Jahre gearbeitet und anschliessend über die Berufsmaturität den Bachelor und den Master gemacht. Die gesamte Ausbildung nahm 6.5 Jahre in Anspruch. Wenn jetzt der Heizungstechniker nach 4 Semestern den Bachelor erhält, komme ich mir etwas doof vor. Wir habe ein tolles Bildungssystem mit dem jeder der will etwas erreichen kann.
Dem was Sie vorschlagen sage ich Bildungsinflation.
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