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Yasmine Motarjemi: Der Kampf einer Frau gegen Gigant Nestlé

Yasmine Motarjemi bringt Nestlé wegen Mobbings vor Gericht.
Yasmine Motarjemi bringt Nestlé wegen Mobbings vor Gericht.
Bild: KEYSTONE

Yasmine Motarjemi vs. Nestlé: 11 mutige Menschen, die wie diese Frau gegen ihre mächtigen Arbeitgeber vorgingen

Heute beginnt in Lausanne der Prozess Motarjemi gegen Nestlé. Die 60-jährige Ex-Managerin soll vom Lebensmittelmulti gemobbt worden sein, weil sie Missstände im Konzern anprangerte.
16.12.2015, 12:1116.12.2015, 12:47
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Yasmine Motarjemi war Expertin für Nahrungsmittelsicherheit bei Nestlé, eine ranghohe Managerin. Zehn Jahre lang verbrachte sie ihr Berufsleben im Innersten des mächtigen Multis am Genfersee. 2010 wird sie fristlos entlassen. Gebrochen, gedemütigt, entmutigt. Bis heute hat Motarjemi keinen neuen Job gefunden.

Dabei war die Managerin von Nestlé angeworben worden, um die Lebensmittelsicherheit im Konzern zu verbessern. Sie sollte ein Kontrollsystem aufbauen, damit falsche Zutaten und gefährliche Inhaltsstoffe nicht in die Nahrungsmittel gelangten. Besonders im Visier hat sie dabei einen Fall mit Biskuits, an denen Kinder zu ersticken drohten. Doch Nestlé versucht stets, alles unter den Teppich zu kehren.

Ab 2006 beginnt ihr Vorgesetzter, Motarjemi zu diskreditieren und bewusst auszugrenzen. Man entzieht ihr Abteilungs-Personal, überträgt ihr immer weniger Verantwortung, schliesst sie aus Meetings aus. 2010 wird sie fristlos entlassen. So zumindest lauten die Schilderungen der geschassten Managerin.

Motarjemi fordert nun von Nestlé symbolisch einen Franken Genugtuung sowie 2.1 Millionen Franken für ihre Verfahrenskosten und Einkommensausfälle.

Wie David gegen Goliath

Yasmine Motarjemi wird heute praktisch alleine ihre Position vor Gericht verteidigen müssen. Vermutlich wird kein einziger Zeuge auf ihrer Seite aussagen. Ihr gegenüber hingegen wird eine Reihe ranghoher Nestlé-Manager stehen: CEO Paul Bulcke, der ehemalige Generaldirektor José Lopez, der ehemalige Personalchef und heutige Direktor von Nespresso, Jean-Marc Duvoisin, sowie der ehemalige Verwaltungsleiter Francisco Castañer.

Ob Motarjemi je Genugtuung bekommt, ist offen. Gleichzeitig zeigt sich, dass Leute, die aus dem Innersten eines Unternehmens oder einer anderen mächtigen Instanz heraus kämpfen, um zu ihrem Recht zu kommen oder Missstände anzuprangern, sich in den Köpfen der Menschen festsetzen. Das zeigt die Liste von elf Vorbildern im Kampf Motarjemi gegen Nestlé:

Snowden vs. FBI

Snowden erscheint im Februar 2015 auf einem Gross-Bildschirm an einer Veranstaltung in Honolulu.
Snowden erscheint im Februar 2015 auf einem Gross-Bildschirm an einer Veranstaltung in Honolulu.
Bild: AP

Angeführt wird diese Liste natürlich vom Whistleblower und Staatsfeind Nummer 1 – Edward Snowden. Der ehemalige CIA- und NSA-Agent gibt hochgeheime Informationen über die Überwachungstätigkeit im Internet an die Filmemacherin Laura Poitras sowie an den «Guardian»-Journalisten Glenn Greenwald weiter.

Am 9. Juni 2013 gibt Snowden in Hongkong seine Identität gegenüber der Öffentlichkeit preis. Seit diesem Zeitpunkt steht er beim FBI auf der Fahndungsliste. Seit Snowden Hongkong verlassen hat, befindet er sich in Moskau, zuerst im Transitbereich des internationalen Flughafens, seit dem 1. August 2013 hat er Asyl in Russland. Das europäische Parlament empfahl diesen Herbst seinen Mitgliedstaaten, alle Vorwürfe gegen Snowden fallen zu lassen und ihm als Menschenrechtler Schutz zu gewähren.

Christoph Meili vs. Bankgesellschaft

Christoph Meili (mit Ex-Frau Giuseppina) am 14. Januar 1998 in New York.
Christoph Meili (mit Ex-Frau Giuseppina) am 14. Januar 1998 in New York.
Bild: AP

Der wohl bekannteste Wachmann der Schweiz und einer der ersten «Whistleblower» aus Bankenkreisen ist Christoph Meili. Der Security-Mitarbeiter beobachtet 1997, wie Bankakten aus der Nazi-Zeit der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) zur illegalen Vernichtung bereitgestellt werden. Er rettet die Akten und übergibt sie der Polizei. Danach flüchtet er in die USA.

Nazi-Kläger-Anwalt Ed Fagan reicht im Namen Meilis Klage gegen die SBG ein und fordert 2.56 Milliarden US-Dollar. Damit löst er eine weltweite Prozesslawine aus.

Meili selber konnte davon kaum profitieren: Zuerst wurde er zwar in den USA als Held gefeiert. Später geht seine Ehe in die Brüche, er verliert viel Geld und kehrt 2009 in die Schweiz zurück.

Margrit Zopfi und Esther Wyler vs. Sozialdepartement der Stadt Zürich

Esther Wyler und Margrit Zopfi im September 2009 nach dem Freispruch der Amtsgeheimnis-Verletzung in Zürich. 
Esther Wyler und Margrit Zopfi im September 2009 nach dem Freispruch der Amtsgeheimnis-Verletzung in Zürich. 
Bild: KEYSTONE

Verräterinnen oder Heldinnen? Margrit Zopfi und Esther Wyler, beide Mitarbeiterinnen des Sozialdepartements der Stadt Zürich, prangern den systematischen Sozialhilfebetrug an. Sie werden schweizweit bekannt, als sie im Jahr 2007 die «Weltwoche» mit Unterlagen zu schweren Sozialhilfebetrugsfällen versorgen. Intern seien ihre Bedenken auf taube Ohren gestossen, lautet ihre Begründung dafür.

Gegen die beiden Frauen wird Anklage wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses erhoben und sie werden fristlos entlassen.

Nachdem sie vom Zürcher Obergericht wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verurteilt werden, ziehen Zopfi und Wyler 2011 vors Bundesgericht, das ihre Beschwerde abweist. Die beiden Frauen hätten vor dem Gang an die Öffentlichkeit externe Stellen ansprechen sollen, etwa die Ombudsstelle, die Sozialbehörde oder die Geschäftsprüfungskommission, befindet das Gericht. Ihr Gang an die Öffentlichkeit löst eine politische Debatte aus und führt zu einem neuen System der Betrugsbekämpfung bei Sozialbehörden.

Rudolf Elmer vs. Bank Julius Bär

Rudolf Elmer im Januar 2015 vor dem Bezirksgericht Zürich.
Rudolf Elmer im Januar 2015 vor dem Bezirksgericht Zürich.
Bild: KEYSTONE

Der Wirtschaftsprüfer Rudolf Elmer will das Geschäftsgebaren der Schweizer Banken bei der Steuerhinterziehung anprangern und gibt Bankdaten an Wikileaks weiter. Elmer hatte zuvor bei der Bank Julius Bär, unter anderem im Offshore-Geschäft auf den Cayman Islands, gearbeitet.

Elmer kann als Whistleblower jedoch kaum einen Erfolg verbuchen: Die Daten, die er herausgegeben hatte, werden nie verwertet, er wird zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Elmer zieht nach seiner Untersuchungshaft vorübergehend nach Mauritius, seit Januar 2010 lebt er im Kanton Zürich.

Hans A. Pestalozzi vs. Migros

Heinrich Pestalozzi 2002 in seinem Bauernhaus im Toggenburg.
Heinrich Pestalozzi 2002 in seinem Bauernhaus im Toggenburg.
Bild: KEYSTONE

Zuerst ist er persönlicher Sekretär von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler, nach dessen Tod 1962 wird er gar Vizedirektor des Konzerns. Dann aber macht Hans A. Pestalozzi eine Kehrtwende und wird zum grössten Kritiker des «Konsumimperiums» Migros. Als er immer mehr dem Anarchismus das Wort spricht und sein Buch «Nach uns die Zukunft» publiziert, wird er vom orangen Riesen 1979 fristlos entlassen.

Danach kämpft Pestalozzi in der Demokratisierungs-Bewegung «M-Frühling» gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber. Er plädiert für die Abschaffung der Schweizer Armee und solidarisiert sich mit der Jugendbewegung. Im Alter zieht er sich auf seinen Bauernhof zurück, lebt autark als Selbstversorger. 75-jährig begeht er Suizid.

Chelsea (Bradley) Manning vs. US-Army

Bradley Manning als Soldat der US-Armee in einer Aufnahme von 2013.
Bradley Manning als Soldat der US-Armee in einer Aufnahme von 2013.
Bild: Patrick Semansky/AP/KEYSTONE
Das Bild, das Manning von sich als Frau verbreitete.
Das Bild, das Manning von sich als Frau verbreitete.
Bild: AP/U.S. Army

Chelsea Manning ist als Angehörige der US-Streitkräfte und als IT-Spezialist (damals noch als Bradley Manning) tätig. In dieser Position spielt Manning Wikileaks vertrauliche Dokumente zu, darunter Videoaufnahmen, die die Erschiessung irakischer Zivilisten durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber in Bagdad zeigen sowie Dokumente von 303 Fällen von Folter durch ausländische Einheiten im Irak im Jahr 2010. Manning wird im Mai 2010 verhaftet und schliesslich zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Am 22. August 2013 gibt Manning bekannt, eine Frau zu sein und in der Gefangenschaft eine Hormonersatztherapie beginnen zu wollen.

Jean-Marc Bosman vs. Fussballwelt

Jean-Marc Bosman.
Jean-Marc Bosman.
Bild:

Als der belgische Fussball-Profi Jean-Marc Bosman 1990 vom RFC Lüttich zum französischen Zweitligisten USL Dunkerque wechseln will, scheitert der Deal an der gigantischen Ablösesumme von 800'000 Dollar. Bosman zieht vor Gericht – und gewinnt. Dank dem Bosman-Urteil am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg fallen in der EU alle Schranken: Ausländerbeschränkungen gelten plötzlich nicht mehr. Und für Spieler, deren Verträge auslaufen, muss seither keine Ablösesumme mehr bezahlt werden. 

Das Urteil gilt als das bedeutendste Gerichtsurteil mit Bezug auf den Sport. Bosman selber kann davon jedoch kaum profitieren: Das Arbeitslosengeld, das er 1992 beantragen muss, wird abgelehnt. Erst neun Jahre nach Prozessbeginn bekommt er rund 780'000 Euro Entschädigung für sein vorzeitiges Karriereende zugesprochen. Heute lebt er völlig verarmt am Existenzminimum.

Jeffrey Wigand vs. Tabakindustrie

Jeffrey Wigand (l.) und sein Anwalt Scott Motley 1997 in Washington.
Jeffrey Wigand (l.) und sein Anwalt Scott Motley 1997 in Washington.
Bild: AP

Jeffrey Wigand ist Vize-Präsident der Abteilung für Forschung und Entwicklung der British-American-Tobacco-Tochter Brown&Williamson. In dieser Rolle ist er für die Entwicklung einer vermeintlich «gesünderen» Zigarette verantwortlich.

Am 4. Februar 1996 gelangt Wigand zu nationaler Bekanntheit, als er in der Sendung 60 Minutes öffentlich macht, wie die Tabakindustrie und insbesondere sein Arbeitgeber Brown&Williamson systematisch das Gesundheitsrisiko der von ihnen hergestellten Zigaretten verheimlicht. Das anschliessende Verfahren führt zu einem Vergleich: Die Tabakkonzerne müssen die Rekordsumme von 246 Milliarden Dollar Entschädigung zahlen.

Für seine Äusserungen erhalten Wigand und seine Familie Morddrohungen. Der Skandal wird in «The Insider» verfilmt. Wigand arbeitet heute für seine Non-Profit-Organisation «Smoke-Free Kids Inc.», die Kinder aller Altersstufen zu einem rauchfreien Leben motivieren möchte.

Sherron Watkins vs. Enron

Sherron Watkins schwört am 14. Februar 2002 vor dem Enron-Ausschuss in Washington.
Sherron Watkins schwört am 14. Februar 2002 vor dem Enron-Ausschuss in Washington.
Bild: AP
Bild
Bild: AP TIME MAGAZINE

Sherron Watkins macht die falschen Bilanzen des US-Energieriesen Enron öffentlich und bringt das Unternehmen schliesslich zu Fall. Watkins ist Vizepräsidentin des Dienstleistungs- und Energiekonzerns, als sie 2001 die Konzernführung über Unregelmässigkeiten in den Bilanzen informiert. Eigentlich ist sie die erste, die ihren Chef offen vor der drohenden Pleite gewarnt hat. Später stellt sich heraus, dass der Konzern systematisch Zahlen gefälscht hatte. Enron geht bankrott.

Eine zeitlang gilt Watkins als Heldin, und zusammen mit den beiden Whistleblowerinnen Coleen Rowley (FBI) und Cynthia Cooper (World Com) wird sie vom Time Magazine zur Person des Jahres 2002 gewählt. Heute hat Watkins keinen festen Job mehr.

Julia und Witali Stepanow vs. Russland

Julia und Witali Stepanow mit ihrem Sohn Robert (undatierte Aufnahme).
Julia und Witali Stepanow mit ihrem Sohn Robert (undatierte Aufnahme).
bild: Yuliya und Vitaly Stepanov

Sie gelten als die «mutigsten Menschen des Weltsports»: Julia und Witali Stepanow kämpfen gegen die Dopingpraktiken in der Leichtathletik. Die beiden packen in der ARD erstmals aus und liefern Beweise über ein riesiges Doping- und Korruptionssystem in der gesamten russischen Leichtathletik.

Witali war Kontrolleur bei der russischen Antidopingbehörde Rusada, Julia gedopte 800-Meter-Läuferin. Als sich die beiden mit ihrem Insiderwissen an die Weltantidopingagentur Wada wenden, passiert aber zunächst gar nichts. Schliesslich filmt Julia ihren Trainier sowie andere Athleten, wie sie offen über Doping plaudern. 

Über die deutsche TV-Dokumentation kommt die Sache endlich ans Licht und ins Rollen: Die russischen Anti-Doping-Behörden werden suspendiert, russische Sportler müssen befürchten, nicht an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro oder anderen Grossveranstaltung teilnehmen zu dürfen.

Meier 19 vs. Stadtpolizei Zürich

Kurt Meier in einer Aufnahme von 1997.
Kurt Meier in einer Aufnahme von 1997.
Bild: KEYSTONE

Kurt Meier (polizeiintern bekannt als «Meier 19») ist Detektiv bei der Stadtpolizei Zürich. Er setzt sich in den 60er und 70er Jahren konsequent gegen Missstände bei der Zürcher Polizei und Justiz zur Wehr. Unter anderem hat er Polizeiakten kopiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, um zu belegen, dass ein Oberst und Fabrikdirektor nach Verkehrsdelikten von der Polizei mit Samthandschuhen angegangen wird. «Meier 19» hatte seine Vorgesetzten mehrmals ergebnislos auf diese Unkorrektheiten aufmerksam gemacht.

Im September 1967 wird er wegen Amtsgeheimnisverletzung aus dem Korps der Stadtpolizei Zürich entlassen. 1998 – 31 Jahre später – spricht die Stadt Zürich Kurt Meier eine Genugtuung von 50'000 Franken zu. Weiteren Handlungsbedarf sieht der Stadtrat nicht. Meier stirbt am 2. November 2006.

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