Vor dem Gesetz sind alle gleich. Aber manche mag das Schweizer Gesetz viel lieber als andere. Es sind solche, welche die nötigen Geldmittel haben. Ein unscheinbarer Artikel im Schweizer Ausländergesetz erlaubt es, dass vermögende Ausländerinnen und Ausländer aus Staaten ausserhalb der EU ohne Weiteres in die Schweiz ziehen können. Vermögende können sich hierzulande den Wohnsitz quasi erkaufen.
Insgesamt 362 Personen leben zurzeit mit einer solchen Sonderbewilligung in der Schweiz. Auf Platz eins: die Russinnen und Russen mit insgesamt 172 Personen. Die meisten von ihnen lassen sich in den Kantonen Genf und Tessin nieder, aber auch in Zug, Bern und Waadt.
Das ist manch einem Parlamentarier schon lange ein Dorn im Auge. Doch jetzt, wo sich die Schweiz mit sanktionierten Oligarchen beschäftigt, ist dieses Thema wieder aktuell. SP, Grüne und GLP verlangen in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats, die Ausnahmeregelung für Vermögende ersatzlos zu streichen.
Auch in der Schwesterkommission der kleinen Kammer müsse das Thema früher oder später aufs Tapet kommen, sagt die Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone. Denn die Schweiz trägt die Sanktionsliste der EU mit, auf der sich 874 Russen mit gesperrten Vermögenswerten befinden. Allein in der Schweiz wurden bis jetzt Gelder in der Höhe von 6 Milliarden Franken blockiert, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) meldete. Und die Zahl dürfte noch steigen.
Wie viele russische Staatsbürgerinnen und -bürger, die auf der Sanktionsliste stehen, haben in der Schweiz ein solches Sonderpermis erhalten? Sowohl das Staatssekretariat für Migration (SEM) als auch die Kantone hüllen sich in Schweigen.
Daten- und Persönlichkeitsschutz würden auch für sanktionierte Personen gelten, so die Behörden. Kann die verliehene Aufenthaltsbewilligung rückgängig gemacht werden, wenn ein vermögender Ausländer mit einem Sonderpermis plötzlich auf der Sanktionsliste der Schweiz landet? Nein, heisst es beim SEM. Dafür gebe es im Ausländer- und Integrationsgesetz keine rechtliche Grundlage. Dem widerspricht die Rechtsanwältin Nadja Zink, die im Migrationsrecht spezialisiert ist: Gemäss Artikel 68 des Ausländer- und Integrationsgesetzes sei eine Ausweisung aus staatspolitischen Gründen möglich.
Es bräuchte dafür weder ein rechtskräftiges Urteil noch ein laufendes Strafverfahren. «Gestützt auf Artikel 121 der Bundesverfassung könnte auch der Bundesrat selbst dies tun», sagt Zink.
Jedenfalls halten Bund und Kantone derzeit an der Vergabe von Aufenthaltsbewilligungen an Vermögende fest. Sie sagen auch, warum. Es sind vor allem «fiskalische Gründe». Oder, wie es in der Verordnung heisst: «Wichtige öffentliche Interessen».
Wie das Ganze funktioniert? Vermögende russische Staatsbürger können, gestützt auf Artikel 30 des Ausländer- und Integrationsgesetzes, in die Schweiz kommen. Sie erfahren eine sogenannte Pauschalbesteuerung, das heisst: Während der Otto Normalverbraucher gemäss seinem Einkommen Steuern bezahlen muss, werden vermögende Zuzügerinnen und Zuzüger aufgrund ihres Aufwands besteuert.
Das bedeutet, nicht etwa das Einkommen und Vermögen werden für die Berechnung herangezogen, sondern die Lebenshaltungskosten. Um nach Aufwand besteuert zu werden, muss jemand ausländisch sein, den Wohnsitz in der Schweiz haben und darf nicht in der Schweiz erwerbstätig sein. Sie entrichten dann eine mit dem Amt vereinbarte Steuer pauschal. Diese Steuer fällt in der Regel viel tiefer aus, als wenn sie in der Schweiz ihr Einkommen und Vermögen – wie alle anderen – besteuern liessen.
Christopher Steckel ist Steueranwalt in Zug. Er sagt: «Dieses System ist quasi das Abfallprodukt der Globalisierung. Menschen, Familien und Vermögen bleiben nicht mehr an einem Ort.» Und: Die Staaten stünden in einem Steuerwettbewerb miteinander. «Ein Land profitiert natürlich davon, wenn Vermögende zuziehen, Häuser kaufen, ihre Kinder in Privatschulen schicken, in Restaurants essen gehen und allgemein viel Geld ausgeben.»
Laut Auskunft verschiedener Steuerämter liegt die minimale Bemessungsbasis bei 400’000 oder 500’000 Franken. Je nach Kanton kann sich der Betrag unterscheiden. Ist das viel? Für einen zweifachen Milliardär sind 500’000 Franken Steuern 0.025 Prozent seines Vermögens, also ein Viertausendstel. Ist die Schweiz demnach käuflich? Beat Villiger, Sicherheitsdirektor des Kantons Zug, sagt: «Wie jeder Kanton nutzt auch Zug den Handlungsspielraum, den ihm das Migrationsrecht vorgibt.»
Zug ist einer der Kantone, der noch an der Pauschalbesteuerung festhält. Fünf Kantone haben diese Praxis abgeschafft, darunter auch Zürich. Was zur Folge hatte, dass vermögende ausländische Steuerzahlende aus Zürich wegzogen. Wie zum Beispiel der bekannte russische Milliardär Viktor Vekselberg, der deswegen von Zürich nach Zug ging.
Der Krieg in der Ukraine hat ein Schlaglicht auf die russischen Oligarchen geworfen. Dass diese mit besonderen Aufenthaltsbewilligungen in verschiedenen europäischen Staaten einen Wohnsitz erlangt haben, soll nicht mehr überall und derart einfach möglich sein. Im Europaparlament hat das Thema vor wenigen Wochen die Gemüter erhitzt.
Die Abgeordneten forderten die Mitgliedstaaten auf, alle genehmigten Anträge russischer Staatsangehöriger der letzten Jahre neu zu bewerten und sicherzustellen, dass «keine russische Person mit finanziellen, geschäftlichen oder sonstigen Verbindungen zum Putin-Regime ihre Staatsbürgerschafts- und Aufenthaltsrechte behält.» Einzelne europäische Staaten, wie Lettland oder Grossbritannien, haben dem politischen Druck nachgegeben und vor einigen Tagen angekündigt, die Vergabe von Aufenthaltsbewilligungen für Vermögende zu beenden.