Bei den Friedensgesprächen zwischen einer russischen und einer ukrainischen Delegation am Dienstag in Istanbul erblickte man im Hintergrund ein vertrautes Gesicht: Roman Abramowitsch, der wohl bekannteste und schillerndste aller russischen Oligarchen, sass in der zweiten Reihe. Er ist mit Einverständnis beider Seiten in die Verhandlungen involviert.
Abramowitsch garantiere «gewisse Kontakte zwischen der russischen und der ukrainischen Seite», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Er sei aber kein offizielles Delegationsmitglied. Der ukrainische Verhandlungsführer David Arachamija lobte die positive Rolle des Oligarchen. Er sei «sicher neutraler als die offizielle Seite der Verhandlungen».
Ins Rampenlicht geriet Abramowitschs Rolle durch die Berichte des «Wall Street Journal» und der Enthüllungsplattform Bellingcat über eine angebliche Vergiftung des Oligarchen nach ersten Gesprächen mit den Ukrainern Anfang März in Kiew. Die Umstände sind nebulös. Die Ukrainer und ein Vertreter der US-Regierung dementierten die Vergiftung.
Der Bellingcat-Journalist Christo Gorev erklärte mit Berufung auf Experten, Abramowitsch sei möglicherweise mit Chloropikrin vergiftet worden, das im Ersten Weltkrieg als Kampfstoff eingesetzt wurde. Der Oligarch selbst hat sich nicht geäussert. In einer Mitteilung bestätigte er, die Ukrainer hätten ihn «um Hilfe bei der Suche nach einer friedlichen Lösung» gebeten.
Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte in einem Interview mit russischen Journalisten, Abramowitsch und andere hätten Hilfe angeboten, auch beim Wiederaufbau nach dem Krieg. «Wir sind bereit, Geld zu geben und Geschäftszweige in die Ukraine zu verlegen», hätten sie erklärt. Als Gegenleistung wollten sie von Sanktionen verschont werden.
Im Fall von Roman Abramowitsch scheint dies teilweise geklappt zu haben. Das «Wall Street Journal» berichtete, dass Selenskyj in einem Telefongespräch mit US-Präsident Joe Biden gebeten habe, Abramowitsch wegen seiner Vermittlerrolle nicht zu sanktionieren. Tatsächlich befindet sich sein Name auf der EU-Liste, nicht jedoch auf jener der USA.
Damit ist klar, dass sich Roman Abramowitsch nicht nur aus Selbstlosigkeit an den Friedensgesprächen beteiligt. Es geht dem 55-Jährigen auch um sein Geld und seinen Ruf. Der Sohn jüdischer Eltern gehört zu jenen reichen Russen, die in den chaotischen 1990er Jahren unter teilweise fragwürdigen Umständen zu einem beträchtlichen Vermögen kamen.
In die Wiege wurde ihm dies nicht gelegt. Roman war erst 18 Monate alt, als seine aus der Ukraine stammende Mutter offenbar an den Folgen einer illegalen Abtreibung starb. Mit drei Jahren war er Vollwaise. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach dem Ende der Sowjetunion entdeckte Roman Arkadjewitsch Abramowitsch sein Talent für «Biznes».
Der Legende nach begann er mit dem Verkauf von Plastikspielzeug aus seiner Moskauer Wohnung. Durchstarten konnte er laut dem «Guardian», nachdem er Boris Beresowski getroffen hatte, einen anderen berüchtigten Oligarchen. Gemeinsam gründeten sie unter Vermittlung von Präsident Boris Jelzin 1995 den Ölkonzern Sibneft.
Den Machtwechsel zu Wladimir Putin überstand Abramowitsch anders als Beresowski oder Michail Chodorkowski unbeschadet, weshalb ihm heute das Image eines Putin-Vertrauten anhaftet. Es wurde verstärkt durch die Tatsache, dass er von 2000 bis 2008 Gouverneur von Tschuchotka war, einer entlegenen Region in Sibirien mit nur 50’000 Einwohnern.
Im Westen wurde Roman Abramowitsch 2003 bekannt durch die Übernahme des Londoner Fussballklubs Chelsea, der dank seinen Milliarden die Premier League und die Champions League gewann. Er liess sich in London mit einem «Goldenen Visum» nieder. Einen Antrag auf Erneuerung zog er 2018 zurück, seither liess er sich kaum noch dort blicken.
Heute besitzt Abramowitsch neben der russischen auch die israelische und seit letztem Dezember die portugiesische Staatsbürgerschaft. In beiden Fällen half ihm seine Herkunft. So behauptete er, von jenen Juden abzustammen, die im 15. Jahrhundert von der iberischen Halbinsel vertrieben wurden, weil sie nicht zum Christentum konvertieren wollten.
Zwischenzeitlich versuchte Abramowitsch auch, sich in der Schweiz niederzulassen. 2016 beantragte er mit Unterstützung der Walliser Regierung eine Aufenthaltsbewilligung in Verbier, doch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) legte sein Veto ein. Es bezeichnete den Oligarchen als Sicherheits- und Reputationsrisiko, was einiges über sein Image aussagt.
Dabei habe sich sein Verhältnis zum Putin-Regime seit dem Ende der 2000er Jahre abgekühlt, sagte der im Exil lebende Oppositionspolitiker Gennadi Gudkow dem Fernsehsender Al Jazeera. Abramowitsch habe «sich von anderen Oligarchen distanziert und versucht, sich im Ausland einen Namen und ein eigenes Image zu schaffen».
2005 verkaufte er Sibneft für 13 Milliarden Dollar an den Gazprom-Konzern. Das bewahrte ihn nicht davor, als einer der ersten Oligarchen von Grossbritannien und der EU sanktioniert zu werden. Den FC Chelsea will er verkaufen und mit dem Erlös Opfer des Ukraine-Kriegs unterstützen. Faktisch befindet sich der Klub unter Kontrolle der britischen Regierung.
Bedroht ist auch sein üppiger Lebensstil mit Schlössern, Villen und Privatjets – einer ist auf dem Flughafen Basel-Mulhouse beschlagnahmt worden. Seine beiden Megayachten Eclipse und Solaris hingegen brachte er in die Türkei in Sicherheit. Sie hat sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen und vermittelt nun zwischen den Kriegsparteien.
Roman Abramowitschs Rolle bleibt schwer durchschaubar. Selbst Kritiker wie Boris Jelzins einstiger Sicherheitschef Alexander Korschakow attestieren ihm jedoch Verhandlungsgeschick, wie er 2018 gegenüber Al Jazeera sagte: «Unter Geschäftsleuten wurde Abramowitsch immer respektiert. Er hat sein Wort gehalten und nie jemanden über den Tisch gezogen.»