«Ich zeige den Bären die Stirn», sagte Jim Cramer in der CNBC-Sendung «Squawk Box», als er von Moderator Andrew Ross Sorkin auf seine Meinung zur CS angesprochen wurde: «Die haben genügend Eigenkapital.»
Als Bären werden in der Finanzsprache Spekulanten bezeichnet, die auf einen sinkenden Aktienpreis wetten. Mit seinem Spruch deutete Jim Cramer an, dass er an eine Kurserholung der CS glaubte. Das war letzten Oktober. Und die CS-Aktie hatte da noch einen Wert von 3.76$.
Pressure is mounting on Jim Cramer to get something right, so he decides to back Credit Suisse! R.I.P. $CS ⚰️ pic.twitter.com/BsWpcf6oy1
— Tony Stonk ™ (@DickTugging) March 14, 2023
Jim Cramer ist der Klaus Zaugg unter den amerikanischen Finanzjournalisten: Bestens informiert, unterhaltsam, polemisch. Und er liegt trotz dezidierter Meinung nicht immer richtig. Doch es gibt einen Unterschied: Während Klaus Zaugg sich um Eishockey kümmert, gibt Cramer Investment-Tipps. Und Millionen von Amerikanern hören ihm zu. Mit seinen kernigen Aussagen hat er sich längst Kultstatus erarbeitet. Doch seine Aussagen werden unterschiedlich interpretiert – je länger, je mehr auch gegenteilig.
Jim Cramer is literally the kiss of death. How does he keep doing this? He recommended $CS a few months ago $SJIM pic.twitter.com/6fQtMD7UHJ
— Big Glutes GPT (@elwalvador) March 15, 2023
Im Fall der CS geschah, was im Jargon der «Cramer»-Bounce genannt wird: Der Kurs der CS erholte sich nach Cramers Empfehlung kurzfristig – wie so viele Aktien, über die sich der Star-Analyst positiv äussert. Doch dann setzte die Aktie ihre Talfahrt fort – bis zum gestrigen Tiefpunkt von 1.70$. Auch wenn sich der Kurs bis heute Mittag leicht erholte: Wer bei 3.76$ Cramers Rat befolgte, verlor massiv.
Weiter daneben kann man fast nicht liegen? Cramer schon: Anfang Februar präsentierte er in seiner Sendung «Mad Money» eine Auswahl von 10 Aktien, die sich in Zukunft lohnen dürften. Und welches Papier schaffte es in diese Auswahl? SVB – Silicon Valley Bank, das Finanzinstitut, das die aktuelle Bankenkrise lostrat und letzte Woche in Konkurs ging. Cramers herrlichste Fehlprognose liegt aber schon etwas weiter zurück.
Jim Cramer said Silicon Valley Bank was a buy last month at $320
— Inverse Cramer (Not Jim Cramer) (@CramerTracker) March 10, 2023
Today it is being closed by California regulators pic.twitter.com/x1xMBTrQTS
2012 riet er seinen Zuschauern in verschiedenen Sendungen, sich von den Wertpapieren der Firmen Hewlett Packard, Best Buy, Netflix und Green Mountain zu trennen. Er wählte damit ausgerechnet die vier Firmen, deren Aktien sich im nächsten halben Jahr von sämtlichen 749 des Wilshire-U.S.-Large-Cap-Index am besten entwickelten. Alle legten über 100 Prozent zu, Netflix gar 160 Prozent.
CBS News rechnete daraufhin die Wahrscheinlichkeit aus, die Top 4 aus 749 derart punktgenau zu treffen: Sie beträgt 1 zu 13,1 Milliarden – und ist damit kleiner als die Chance auf einen Lottogewinn.
Legendär ist auch Jim Cramers Unterstützung im Jahr 2008 für die Bank Bear Sterns. Am 24. Januar riet er als Gast einer TV-Show: «Ich empfehle allen Zuschauern den Kauf von Bear-Sterns-Aktien.» Die Aktie hatte damals einen Wert von 70 Dollar. Fünf Wochen später doppelte Cramer in seiner eigenen Sendung nach: «Ich glaube an die Franchise Bear Stern. Weisst du was, 69 Dollar, ich gebe dieses Ding nicht auf.» Elf Tage später war der Konkurs von Bear Stern perfekt und die Bank wurde für 2 Dollar pro Aktie von Goldman Sachs übernommen.
Die Liste von Jim Cramers Fehlprognosen ist lang – und sie wächst in den letzten Jahren gefühlt immer schneller. Deshalb hat sich in gewissen Kreisen ein Cramer-Gegenreflex entwickelt: der «Inverse Cramer». Und es gibt ihn sogar als Anlageprodukt: Der Inverse Cramer Tracker ETF (ISIN: US66538H1462) wettet stets auf das exakte Gegenteil von Cramers Empfehlungen.
Cramers Ruf als unheilvoller Prophet hat mittlerweile die Grenzen des Finanzsektors verlassen. Als der TV-Star vor dem Super Bowl in einem Shirt der Philadelphia Eagles gesichtet wurde, war die Furcht der Philly-Fans gross. Und wieder schlug der Inverse-Cramer zu. Philadelphia ging mit hängenden Köpfen als Verlierer vom Platz.
Fairerweise muss erwähnt werden, dass der Harvard-Absolvent und ehemalige Goldman-Sachs-Banker jahrelang erfolgreich einen Hedge Fund leitete. Seit seiner Zeit als TV-Analyst empfahl er tausende Aktien zum Kauf – und oft lag er damit auch richtig. Doch wer sich derart weit aus dem Fenster lehnt, muss auch Gegenwind ertragen.
DerRabe