Wirtschaft
Schweiz

CO2: Schweizer Industrie reduziert Ausstoss schneller verlangt

Schweizer Industrie reduziert CO2-Ausstoss schneller als die Politik es vorschreibt

Die hiesige Industrie zeigt – gezwungenermassen - viel guten Willen zur Reduktion von CO2-Emissionen über die ganze Wertschöpfungskette. Aber sie kämpft mit Umsetzungsproblemen.
13.03.2023, 07:3507.05.2024, 10:35
Florence Vuichard / ch media
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Emissionen eindämmen: Das ist das Ziel vieler Schweizer Industriefirmen – und zwar entlang der ganzen Wertschöpfungskette.Bild: TI-PRESS

Jeder sollte vor seiner eigenen Tür kehren, besagt eine alte Weisheit. Und das hat die Schweizer Industrie auch getan. Oder jedenfalls zu einem beachtlichen Teil. So haben seit 1990 allein die Mitgliedsfirmen des Verbands der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) ihren Emissionsausstoss in den eigenen Fabriken und Büros um 55 Prozent reduziert und damit mehr als halbiert.

Doch damit ist es nicht getan. Die Firmen müssen mittel- bis langfristig die Emissionen aus allen Quellen reduzieren, entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das heisst: nicht nur im eigenen Unternehmen (Scope 1) und bei den eingekauften Energieträgern wie Strom, Wärme oder Kälte (Scope 2), sondern sie müssen auch den Ausstoss der sogenannten Scope-3-Emissionen senken, das heisst jener CO2-Emissionen, die durch die Zulieferer erzeugt werden oder jener, die durch den Energieverbrauch ihres Produkts bei den Kunden anfallen.

Es reicht also nicht mehr, nur vor der eigenen Türe zu kehren. Und das wissen die Schweizer Industrieunternehmen, wie Swissmem-Vizedirektor Jean-Philippe Kohl betont. «Unsere Mitgliedfirmen haben eine hohes Bewusstsein für den Klimaschutz - und das über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.» Das zeigt eine neue Umfrage bei den Swissmem-Firmen, die der Verband zusammen mit dem Beratungsunternehmen Roland Berger gemacht hat und die CH Media vorliegt.

An der Umfrage beteiligt haben sich 167 Swissmem-Mitgliedsfirmen, viele von ihnen sind in der Metallverarbeitung sowie in der Herstellung von Präzisionswerkzeugen und Werkzeugmaschinen tätig. Sie beliefern die Medizinaltechnik, die Autoindustrie, das Bauwesen, die Luftfahrt oder auch die Konsumgüterindustrie.

Mehr Ambitionen und mehr Tempo

Die Umfrage zeigt: Praktisch alle Firmen haben Reduktionspläne, wobei gut drei Viertel diese bis 2030 umgesetzt haben wollen. Je 11 respektive 13 Prozent der Unternehmen wollen sich bis 2040 oder gar bis 2050 Zeit lassen. Doch auch diese werden sich noch umbesinnen, zeigt sich Sven Siepen von Roland Berger überzeugt. Er geht davon aus, dass auch diese Unternehmen bei ihren CO2-Reduktionsabsichten beim Tempo zulegen werden.

Auch bei der Frage, um wie viel die Firmen ihren CO2-Ausstoss entlang der ganzen Wertschöpfungskette reduzieren wollen, erwartet Sven Siepen Korrekturen – und diesmal nach oben. Er geht davon aus, dass sich bald das Gros der Firmen auf ein Minus von 20 bis 49 Prozent einpendeln werden – im Vergleich zu heute. Derzeit entspricht dies dem Zielband von gut einem Viertel, wie die Swissmem-Umfrage zeigt. 60 Prozent geben sich mit einer Reduktion von bis zu 20 Prozent zufrieden. Eine kleine, äusserst ambitionierte Gruppe will mehr und gibt Werte von bis Minus 79 Prozent oder gar bis Minus 100 Prozent an.

Investoren und Kunden machen am meisten Druck

Der Reduktionswille ist nicht ganz freiwillig entstanden, wie Siepen betont. Er ist die Folge des Drucks, der von aussen auf die Unternehmen trifft – von den Investoren, den Kunden und den Mitarbeitenden. «Ein nicht zu unterschätzender Treiber ist der Wunsch, aus der Not eine Tugend zu machen», sagt Siepen. Oder anders gesagt: Um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und weiterhin im Geschäft zu bleiben, das heisst, um auch in Zukunft bei Investoren Geld zu finden und die Kunden bei Stange zu halten, müssen die Unternehmen aktiv werden, müssen die Transparenz in ihrer Lieferkette steigern. Davon wiederum erhoffen sie sich nicht nur mehr Umweltschutz (79 Prozent), sondern auch die Stärkung der eigenen Marke oder Reputation (73 Prozent), mehr Attraktivität bei der Suche nach Arbeitnehmenden (53 Prozent) und höhere Kundenzufriedenheit (51 Prozent).

Konkret: 55 Prozent der Firmen wollen die Erwartungen der Investoren erfüllen. Das ist damit der wichtigste Grund für Reduktionsziele bei den Scope-3-Emissionen. Auf Platz 2 und 3 folgen mit je 41 Prozent der Druck von Kundenseite und die Mitarbeiterbindung.

Angezeigt wird der Anteil der Befragten, die den entsprechenden Grund auf die Frage «Warum ist die Emissionsminderung wichtig für Sie?» angegeben haben (Mehrfachnennungen möglich).
Angezeigt wird der Anteil der Befragten, die den entsprechenden Grund auf die Frage «Warum ist die Emissionsminderung wichtig für Sie?» angegeben haben (Mehrfachnennungen möglich).quelle: Umfrage Swisscom/Grafik: az

Unternehmen, welche Scope-3-Ziele formulieren, zwingen wiederum andere Firmen, ihre Scope-1- und Scope-2-Emissionen zu reduzieren, sind doch die firmeneigenen Emissionen auch immer die Lieferketten-Emissionen der anderen. Es sind letztlich die grossen Konzerne, die bei dieser Entwicklung den Takt vorgeben, wie Kohl betont.

Das zeigt etwa das Beispiel von Nestlé: Der Schweizer Nahrungsmittelmulti hat sich zum Netto-Null-Ziel bis 2050 verpflichtet und zwar inklusive der Scope-3-Emissionen – und damit über die ganze Lieferkette hinunter bis zum einzelnen Kaffeebauer. Das heisst aber auch: Schweizer Industrieunternehmen, die auch künftig Nestlé eine Maschine zur Verarbeitung von Nahrungsmitteln verkaufen wollen, müssen ebenfalls die Emissionen entlang ihrer Lieferkette reduzieren, sonst fallen sie als Lieferanten weg. «Je früher sich die Schweizer KMU mit diesen Fragen beschäftigen, desto grösser ihre Chancen, dass sie Teil der internationalen Lieferketten bleiben», sagt Kohl.

Die Einsicht ist also da, aber Siepen stellt einen gewissen «Mangel an Weitsicht» beim Thema fest, was sicherlich auch stark mit den aktuellen Herausforderungen, wie Lieferengpässe oder Energieknappheit zusammenhänge. Die Reduktion der Scope-3-Emissionen steht nur bei einem Viertel ganz «oben auf der CEO-Agenda», bei knapp der Hälfte geniesst das Thema nur zweite Priorität. Und das wiederum stelle ein Risiko dar, sagt der Roland-Berger-Partner. «Die Reduktion des CO2-Ausstosses ist für die Unternehmen die heute strategisch wichtigste Frage überhaupt.» Mittelfristig würden die Endkunden das einfordern – wer das nicht bieten könne, werde keine Abnehmer mehr finden.

Zudem sei es auch eine Chance, sagt Siepen. Beim Lohn habe die Schweizer Industrie einen schweren Stand gegen die vergleichsweise billige Konkurrenz aus China oder Indien. Mit der Reduktion des CO2-Ausstosses hingegen könnte sich die Schweizer Unternehmen einen komperativen Vorteil beschaffen.

Kluft zwischen Theorie und Praxis

In der Theorie ist alles klar, wo es hapert, ist bei der Umsetzung. Auch das zeigt die Umfrage bei den Swissmem-Firmen. Ein grosses Problem hierbei ist die mangelnde Datenbasis: 71 Prozent der Firmen geben an, dass sie über keine Schlüsselkennzahlen verfügen zur Messung von Scope-3-Emissionen. 74 Prozent der Firmen haben auch keine Methodik zur Datenerfassung. 78 Prozent mögen oder können ihre Reduktionsfortschritte nicht extern überprüfen lassen. Aber nicht nur das: Letztlich fehlt ein global anwendbares Regelwerk, wie 62 Prozent monieren, um messbare, praktikable und vergleichbare Ziele abzustecken.

Relativ unwichtig sind beim Zielstecken der Unternehmen die regulatorischen Anforderungen. Nur gerade 29 Prozent nennen diese als Treiber für die avisierten Scope-3-Reduktionen. Das mag auch am Fehlen des besagten Regelwerks liegen.

Die Unternehmen sind bei den Fragen des CO2-Ausstosses weiter als die Politik, sagt Kohl. Und auch weiter als die Schweizer Politik. Das zeigt auch die kommende Abstimmung vom 18. Juni. Mit einem Ja zum Klimaschutzgesetz würde das Netto-Null-Ziel bis 2050 im Gesetz verankert – aber letztlich nur für den direkt und indirekt verursachten CO2-Ausstoss, für die sogenannten Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Die Unternehmen hingegen beschäftigen sich jetzt schon mit ihren Scope-3-Emissionen. So gesehen sei das Netto-Null-Ziel für 2050 möglicherweise schon überholt, sagt Siepen. «Wir werden das vermutlich schon früher erreichen.» (aargauerzeitung.ch)

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