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Kartengebühren erhitzen die Gemüter: Verteuert Visa das Gipfeli?

Interview

Kartengebühren erhitzen die Gemüter: Verteuert Visa das Gipfeli?

Der Chef von Visa Schweiz verteidigt im Interview die ungeliebten Kartengebühren sowie die Milliardengewinne seines Konzerns. Und er verrät, warum er Potenzial für ein globales «Twint» sieht.
30.03.2024, 19:40
Pascal Michel / ch media
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Es ist eines der bekanntesten Alltagsgeräusche der digitalen Welt: jenes kurze Piepen, das beim Bezahlen per Karte oder Handy ertönt und signalisiert, dass der Kauf erfolgreich war.

Welche Prozesse allerdings im Hintergrund ablaufen, bis der Piep den Kaufvorgang bestätigt, bleibt für die breite Öffentlichkeit undurchschaubar. Interchange-Gebühr? Acquirer? Händlermarge?

Dass diese Begriffe für viele ein Rätsel sind, spürt auch Santosh Ritter, Chef von Visa Schweiz. «Es ist viel Halbwissen über unser digitales Zahlungsnetzwerk im Umlauf», sagt er. Zeit also für ein paar Klärungen - zu Kartengebühren, die Milliardengewinne von Visa und dazu, was das Gipfeli tatsächlich teurer macht.

Steht im juristischen und politischen Gegenwind: Visa-Schweiz-Chef Santosh Ritter.
Bild: Severin Bigler
Zur Person
Santosh Ritter, 45, ist Chef von Visa Schweiz und Liechtenstein. Zuvor führte er als Mitglied der Direktion vier Jahre lang das operative Risikomanagement des Kartengeschäfts der Viseca (ehemals Aduno-Gruppe). Bei Aduno war er seit 2012 in verschiedenen Funktionen tätig, unter anderem leitete er das Operations Center des Acquiring- & Terminal-Geschäfts am Standort Tessin. (mpa)

Ein Kunde kauft beim Beck ein Gipfeli für 1.50 Franken und bezahlt mit einer Debitkarte. Was läuft in diesem Moment im Hintergrund ab?
Santosh Ritter: Es sind vier Parteien involviert (siehe Grafik). Wenn der Kunde seine Karte ans Terminal hält, versendet es eine Autorisationsanfrage an den Zahlungsdienstleister, genannt Acquirer. Dieser leitet die Anfrage an Visa weiter. Wir prüfen dann bis zu 500 Risikomerkmale in Echtzeit. Die Bank ihrerseits prüft als Nächstes, ob genügend Geld auf dem Konto liegt. Die Bank schickt ihre Bestätigung über Visa und den Zahlungsdienstleister zurück ans Terminal. Dann erfolgt die Bestätigung: Zahlung genehmigt. Wichtig ist: Hier ist noch kein Geld geflossen.

Bild

Wie kommt der Bäcker also an sein Geld?
Alle erfolgreich autorisierten Transaktionen des Bäckers werden beim Acquirer gebündelt und ins Visa-Netzwerk eingespeist. Wir nehmen dann das sogenannte Clearing vor und schauen, wer wem wie viel Geld schuldet. Als letzter Schritt erhalten die Banken die Zahlungsinstruktionen.

Das heisst beim Gipfeli-Kauf?
Die Bank, die ihrem Kunden die Karte ausgestellt hat, bezahlt dem Zahlungsdienstleister 1.50 Franken. Der Acquirer zahlt dann den Bäcker aus. In der Regel erfolgt das am nächsten Tag.

Für diese Abwicklung bezahlt der Bäcker auf jede Kartenzahlung Gebühren. Wo fallen diese an?
Der Bäcker bezahlt eine sogenannte Händlergebühr. Diese handelt er mit dem Acquirer aus, der ihm nicht nur die nötige Infrastruktur, zum Beispiel Kartenterminals, zur Verfügung stellt, sondern neben weiteren Dienstleistungen auch dafür garantiert, dass der Gipfelipreis tatsächlich beim Beck ankommt.

Diese Gebühren variieren stark. Sie reichen von Sätzen zwischen 0,95 bis 1,7 Prozent. Zusätzlich können je nach Angebot Mindestgebühren von 10 Rappen anfallen. Im Falle des Gipfelis liegt die Händlergebühr also bei insgesamt 2 bis 10 Rappen. Das ist nicht wenig, gerade für einen kleinen Bäcker.
Vergleichen lohnt sich. Was das individuell beste Angebot ist, kann je nach Händler von verschiedenen Kriterien abhängen. Hat ein Händler überwiegend niedrige Einkaufsbeträge, ist vielleicht ein Angebot ohne Fix- oder Mindestbetrag vorteilhaft. Tatsächlich zahlen Händler bei einem niedrigen Einkaufsbetrag heute nach Einführung der Visa-Debitkarten oft viel weniger als früher mit Maestro-Karten. Da wurden bis zu 26 Rappen fällig. Wichtig ist generell: Visa ist bei der Verhandlung dieser Preise nicht involviert. Das wäre aus wettbewerbsrechtlicher Sicht auch nicht zulässig.

Sie profitieren dennoch von jeder Transaktion. Der Acquirer muss nämlich pro Zahlung einen Betrag an Visa abliefern.
Beim Gipfeli für 1.50 Franken beträgt unsere Gebühr in der Regel viel weniger als 1 Rappen. Bei einer Transaktion über 45 Franken ist es rund 1 Rappen.

Für hitzige Debatten sorgt eine weitere Gebühr, die sogenannte Interchange-Gebühr. Wie hoch ist sie beim Gipfeli?
Sie beträgt ebenfalls viel weniger als 1 Rappen oder durchschnittlich 0,2 Prozent. Die Interchange-Gebühr fliesst vom Acquirer zur Bank. Sie deckt einen Teil der Kosten, die bei der Kartenherausgabe anfallen. So haben die Banken einen Anreiz, Bezahlkarten anzubieten. Für mich ist klar: Die Interchange-Gebühr macht das Gipfeli nicht teurer, auch wenn das immer wieder behauptet wird.

Wieso nicht? Schliesslich wird der Acquirer dem Bäcker diese Mehrkosten verrechnen.
In der Regel macht der Acquirer eine Mischrechnung. Es ist fast nie der Fall, dass die Interchange-Gebühr direkt überwälzt wird. Eine Ausnahme sind sehr grosse Händler, die entsprechende Verträge haben.

Die Interchange-Gebühr beschäftigt auch die Wettbewerbshüter. Die Wettbewerbskommission (Weko) hat eine Untersuchung eröffnet. Sie fordert, dass die Gebühr auf 0,12 Prozent sinkt, aktuell sind es bei Visa 0,2 Prozent. Warum wehren Sie sich dagegen?
Visa hat die Gebühr im Juli von durchschnittlich etwa 0,28 auf durchschnittlich 0,2 Prozent gesenkt. Das ist der regulierte europäische Wert. Dass die Weko sich nun auf einen massiv tieferen Satz eingeschossen hat, ist nicht nachvollziehbar. Schliesslich hat die Schweiz die zweithöchsten Arbeitskosten in Europa. Und ich muss hier nochmals betonen: Visa verdient keinen Rappen am Interchange.

Dennoch haben Sie verlangt, dass bis zum Abschluss einer Untersuchung der aktuelle Satz als zulässig angesehen wird. Warum so störrisch?
Heute profitieren erst ganz wenige Händler von unserer jüngsten Interchange-Senkung. Die Acquirer haben Zehntausende Verträge, die sie anpassen müssen. Sie müssen erst wissen, ob diese Rate nun anerkannt wird. Bis dahin geben sie die Senkung nicht weiter. Das Ziel, insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen zu entlasten, ist so schwierig zu erreichen. Da ein Weko-Verfahren Jahre dauern kann, wollten wir Rechtssicherheit schaffen. Leider hat die Weko bisher darauf verzichtet, unseren Satz von 0,2 Prozent anzuerkennen.

Deshalb haben Sie vor Bundesverwaltungsgericht geklagt. Dort sind Sie nun kürzlich abgeblitzt.

Ja. Dabei ging es um unsere Forderung, die 0,2 Prozent zuzulassen, bis die Weko ihre Untersuchung beendet hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat unseren Antrag abgelehnt, sich aber nicht zur Höhe der Gebühren geäussert.

Ziehen Sie das Urteil weiter?
Wir prüfen das schriftliche Urteil und werden dann entscheiden.

Das heisst also, solange der gerichtliche Streit läuft, bezahlen die Händler mit alten Verträgen weiterhin die höhere Interchange-Gebühr, weil die Acquirer abwarten werden?
Richtig. Die Händler profitieren nicht von unserer gesenkten Interchange-Gebühr. Denn sie vereinbaren ihre Gebühren mit ihrem Acquirer, der die Interchange in der Regel in seine Mischrechnung miteinpreist. Es steht zu befürchten, dass die Senkung so lange nicht einkalkuliert wird, wie Rechtsunsicherheit besteht.

Warum ist die Höhe der Interchange-Gebühr wichtig?
Wenn sie zu tief ist, entwickeln die Banken die Karten nicht weiter. Denken Sie an die alten Maestro-Karten: Da gab es 20 Jahre lang praktisch keine Innovation. Wenn aber die Gebühren zu hoch sind, akzeptieren die Händler Karten nicht mehr. Deshalb ist es mein Job, sicherzustellen, dass die Interchange-Gebühr sich in der Balance befindet.

Der Nationalrat hat kürzlich zwei Motionen überwiesen. Darin heisst es, die Interchange-Gebühr sei abzuschaffen. Was sagen Sie dazu?
Das ist bedauerlich. Ich hoffe, dass der Ständerat hier als «chambre de réflexion» korrigierend eingreift. Interessant ist, dass die Motion im Titel «Interchange verbieten» trägt. Im Text wird dann aber darauf verwiesen, dass in Europa der Höchstsatz von 0,2 Prozent gilt. Das ist genau der Wert, an dem wir uns als Durchschnitt schon letztes Jahr orientiert haben.Die meisten Parlamentarier wissen, dass die Interchange nicht das Problem ist. Der Begriff wird fälschlicherweise immer öfter als Chiffre für jegliche Gebühren verwendet. Vermutlich wollte die Politik mit den Vorstössen auch ein Zeichen setzen, um zu zeigen, dass ein gewisser Unmut bei den Gebühren, die eben der kleine Bäckereibetrieb je nach Acquirer bezahlen muss, vorherrscht.

Eine Studie der Universität St.Gallen zeigte kürzlich, dass Bargeld mehr Kosten verursacht als Kartenzahlungen …
… und in einer Befragung der Nationalbank gab kürzlich eine Mehrheit der befragten Firmen an, Bargeld sei das günstigste Zahlungsmittel. Das zeigt mir, dass die Firmen unterschätzen, welche Aufwände Bargeldzahlungen generieren: Transport, Versicherungen, Wechselgeldbeschaffung, Einzahlungen und natürlich Arbeitsstunden für die Abrechnung. Ich verstehe auch, warum das so ist: Bei den Kartenzahlungen erhält man eine Abrechnung, wo die Kosten genau aufgeführt sind. Das ist beim Bargeld nicht der Fall.

Die Gebühren beim Gipfeli wirken zwar klein. In der Summe verdient Visa als global tätiger Konzern trotzdem massiv mit. 2023 erzielte Visa einen Reingewinn von 17 Milliarden Dollar – und das bei einer Traum-Marge von netto über 50 Prozent. Verstehen Sie, dass bei solchen Gewinnen die Gebühren emotional diskutiert werden?
Ich sehe das so: Uns geht es nur gut, wenn es unseren Kunden und deren Kunden gut geht. Wir sind sehr erfolgreich, das stimmt. Aber wir investieren auch sehr viel in Innovation und Sicherheit.

Wie viel verdient Visa in der Schweiz?
Dazu kommunizieren wir keine Zahlen. Aber klar, wir investieren massiv in unser Netzwerk und sorgen dafür, dass Bezahlen schneller, einfacher und sicherer wird. In den letzten fünf Jahren haben wir weltweit 10 Milliarden Franken in Cybersicherheit und die Stabilität unseres Netzwerks investiert. Und wir betreiben ein eigenes globales Telekommunikationsnetzwerk. Es umfasst 16 Millionen Kilometer Leitungen. Davon profitieren auch Konsumenten, Handel und Banken in der Schweiz.

Wo investiert Visa sonst noch?
Unsere Infrastruktur ist jeden Tag das Ziel von 2 Millionen Cyberangriffen. Hier haben wir in den letzten Jahren massiv aufgerüstet und beschäftigen mittlerweile 1000 Cybersecurity-Spezialisten. Bei Sicherheit machen wir keine Kompromisse. Oder bei unserer Risikoüberprüfung bei Zahlungen in Echtzeit: Hier setzten wir seit über 30 Jahren auf Künstliche Intelligenz. Zudem bieten wir eine Technologie, die unter anderem Peer-to-Peer Zahlungen ermöglicht.

Was muss man sich darunter vorstellen?
Die Idee ist, dass zwei Personen mit Visa-Karten einander direkt Geld überweisen können. Ähnlich wie bei Twint, nur international. Das ist ein Bedürfnis: Laut Weltbank belegt die Schweiz bei den Auslandsüberweisungen weltweit den dritten Platz. Viel Geld fliesst beispielsweise Richtung Balkan. Menschen, die hier arbeiten, möchten so ihre Familien unterstützen. Solche Überweisungen sind heute oft noch mühsam und teuer. Hier möchten wir eine Lösung anbieten. Diese bringen wir allerdings nicht selbst auf den Markt, sondern unsere Partner, also beispielsweise Banken.

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49 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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@t.
30.03.2024 22:50registriert April 2020
Acquirer Gebühren vergleichen lohnt sich, habe für mein Geschäft fast 1% Gebühr für Debitkarten bezahlt, dann mal Offerten eingeholt und gewechselt, jetzt sind es nur noch 0.5% (Nexi) und damit sind Debitkarten im Vergleich mit meinen Kosten, die für Bargeld anfalllen deutlich das günstigste Zahlungsmittel
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closer2edit
30.03.2024 22:36registriert September 2023
Wenn ich von 1000.- CHF Tagesumsatz 1-3% abgeben muss, ist dies immer noch deutlich weniger als die Stunden für die Handhabung des Bargeldes kosten...
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