Was halten Sie von der Europaallee, dem umstrittenen neuen Quartier beim Zürcher Hauptbahnhof?
Die Europaallee hat vor allem mit Unterhaltung und Shopping zu tun.
Nicht nur. Google hat – gefühlt – die Hälfte der Räume angemietet. Und die Europaallee ist weder ein Schlaf- noch ein Industriequartier. Ist dies nicht genau die Mischung, die Sie fordern, wenn das Gewerbe in der Stadt einen Platz haben soll?
Mich interessiert die produktive Stadt. Unser Büro hat beispielsweise für die Gebrüder «freitag» in Oerlikon die Fabrik «Noerd» gebaut. Jetzt bauen wir auf dem Kochareal das «MACH», ein modernes Gewerbegebäude, wo Dinge hergestellt werden.
Wie hat man sich das konkret vorzustellen? Werden dort Schreiner, Bäcker etc. tätig sein? Oder, was derzeit sehr im Trend ist, Chocolatiers und Kaffeeröster?
Das sind die gängigen Vorurteile. Dabei wird übersehen, dass es in der Stadt immer noch sehr viel traditionelles Gewerbe gibt. Ich denke da an das Bau-Nebengewerbe, Schreiner, Sanitäre etc., aber auch Drucker. Diese brauchen Showrooms in der Stadt, damit sie ihre Produkte auch verkaufen können. Wir brauchen Gewerbe, das hauptsächlich von der Stadt lebt, oder das – wie «freitag» – eine Marke für die Stadt geworden ist.
Es gibt ja immer noch Gewerbe in der Stadt Zürich, im Binz-Quartier beispielsweise. Reicht das nicht?
Mir gefällt die Binz sehr, viel besser als die Europaallee, wenn ich ehrlich sein darf. Auch in Altstetten sind gute Projekte entstanden.
Altstetten hat lange ein bisschen als bünzlig gegolten. Jetzt wollen Sie dort auf dem ehemaligen Koch-Areal das super schicke Gewerbegebäude MACH realisieren. Ist das ein erfüllter Hipster-Traum?
Wer als Gewerbler in der Stadt Erfolg haben will, muss sorgfältig arbeiten. Wer Ramsch in einer Wellblech-Baracke anfertigen will, muss tatsächlich raus aus der Stadt. Wenn das Gewerbe hingegen in einem Gebäude untergebracht ist, das dem Stand der modernen Baukunst entspricht, dann passt dies bestens in ein urbanes Quartier. So ist es auch nicht mehr nötig, bei offenem Fenster im Innenhof zu hämmern.
Traditionell gelten Gewerbler als konservativ. Die SVP hiess früher einmal Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei. Das Gewerbe, das Sie anziehen wollen, ist eher alternativ angehaucht. Oder nicht?
Ich bin ja neben meiner Funktion bei Senn auch bei der Initiative «Made in Zürich» dabei. Wir kommen eher vom kreativen Gewerbe, das leugne ich nicht. Und ja, dieses Gewerbe ist tendenziell alternativ. Ich glaube jedoch nicht, dass man Kreative mit Hipster gleichsetzen darf.
Hipster ist keine Beleidigung.
Ich weiss, aber es ist ein Label, mit dem eine gewisse Altersgruppe in einer gewissen Zeit bezeichnet wird. Wenn man das nutzen will, ist «freitag» seit 30 Jahren Hipster. Kreativ ist dagegen eine Qualität, die immer bleibt. Es gibt ein Gewerbe, das erfinderisch tätig ist, und es gibt ein Gewerbe, das abwickelnd tätig ist. Die einen kümmern sich um Freiräume, die anderen um Parkplätze.
Wie ist das Verhältnis von «Made in Zürich» zum Gewerbeverband?
Immer besser. Zuerst haben sie sich über «Made in Zürich» geärgert. Inzwischen kennen und schätzen wir einander und verfolgen auch gemeinsame Projekte.
Werden traditionelle Gewerbler ebenfalls im MACH-Gebäude willkommen sein, wenn es denn einmal steht?
Sicher. Dieses Haus ist nicht nur für Kaffeemaschinen-Hersteller oder Chocolatiers gedacht, sondern für diejenigen, die sich um Parkplätze Sorgen machen.
Sind Cargo-Velos somit nicht obligatorisch?
Keineswegs, wir haben eine ausgewachsene Lastwagenanlieferung und sogar eine Tiefgarage, in der auch kleine Sattelschlepper Platz haben. Derzeit wissen wir noch gar nicht, wer einziehen wird. Die Ausschreibung hat erst begonnen. Wenn wir Glück haben, entsteht ein guter Mix aus klassischem und kreativem Gewerbe. Gern hätten wir auch noch ein bisschen digitale Produktion. Aber nicht jeder, der eine Powerpoint-Präsentation zusammenschustern kann, ist ein digitaler Produzent.
Woran denken Sie dann?
Ich denke etwa an eine junge Frau, die kürzlich ein erfolgreiches Game international lancierte. Und sollte tatsächlich vieles, das heute von Google für das Metaverse hergestellt wird, aus Zürich stammen, dann finde ich auch das super.
Gehört das nicht eher in den Technopark?
Das spielt keine Rolle. Wir sehen uns nicht als Konkurrenten.
Was ist dann besonders an Ihrem Gewerbehaus?
Es entsteht eine Mischung aus Industrie und Park, und zwar mitten in der Stadt. Wer dort arbeitet, der wohnt vielleicht in der Nähe. Das schafft eine grosse Verbundenheit mit der Stadt.
Haben Sie mit Senn bereits weitere Projekte?
In Basel bauen wir auf 50'000 Quadratmeter den Innovationspark der Basel Area. Das wird uns noch einige Jahre beschäftigen. In Zürich ist das nächste Gewerbeprojekt noch nicht bekannt. Ich habe gerade gelesen, dass der Schlachthof aus Zürich verschwinden wird und dort auch Freiräume für das Gewerbe entstehen sollen. Das interessiert uns natürlich.
Wollen Sie auch Gewerbe von ausserhalb nach Zürich locken?
Nein, das geht nicht. Ein Ortswechsel ist für das Gewerbe schwierig. Wir müssen die Betriebe fördern, die in Zürich gegründet worden sind. Diese wollen bleiben.
Oft müssen diese jedoch Zürich verlassen, weil es schlicht zu teuer geworden ist. Die Wertschöpfung pro Mitarbeiter bei Google oder bei der UBS beträgt ein Mehrfaches von dem eines Gewerblers.
Man muss tatsächlich ein bisschen verrückt sein, wenn man in der Stadt Zürich ein produzierendes Gewerbe betreiben will. Zum Glück haben wir genügend solche Spinner. Denken Sie nur an eine Bierbrauerei an der Badenerstrasse, oder die Foodies, die sich rasant vermehrt haben. Wenn diese wegziehen, dann nicht wegen der zu geringen Wertschöpfung, sondern weil sie keine geeigneten Räume finden. Sie müssen ständig mit der Angst leben, dass ihr Vermieter ihnen verkündet, dass er ihre Werkstatt in eine Wohnüberbauung verwandeln will.
Heute hat es sich aber auch bis nach Zürich durchgesprochen, dass reine Schlafquartiere nicht mehr gewünscht sind.
Sicher, aber was kann die Stadt tun, um das zu verhindern? Sie verfügt bloss über eine beschränkte Anzahl von Gebieten, auf denen sie so etwas wie das MACH verwirklichen kann. Deshalb dürfen sich die Gewerbler auch nicht in die Tasche lügen. In der Stadt werden sie nicht die günstigen Räume finden, die es ausserhalb noch gibt.
Es gibt sie also doch, die Verdrängung?
Man muss nicht Google sein, um in der Stadt operieren zu können. Aber man muss clever sein. Die Mieten im MACH-Gebäude werden nicht billig sein. Aber die Räume sind so hoch, dass man mit einer geschickten Aufteilung die Kosten auf ein Vorstadt-Niveau senken kann. Zudem hoffen wir auf den Schau-Käserei-Effekt.
Was ist damit gemeint?
Der Kunde kann zuschauen, wie ein Produkt entsteht, und hat Vertrauen. Der Hersteller hat keine Transportkosten und kann zudem auch höhere Preise verlangen.
Besteht nicht die Gefahr, dass in der Stadt ein Gewerbe entsteht, dass nicht in erster Linie rentieren muss? Ein reicher Bankier, der sich mit 50 den Traum erfüllt, Baguettes zu produzieren, oder seiner 20 Jahre jüngeren Trophy-Wife eine Boutique finanziert?
Die Leute, die bei «Made in Zürich» mitmachen, sind alles andere als das. Das sind Überzeugungstäter. Und wenn die Stadt stolz auf ihre Tech-Start-ups ist, dann sollte sie es auch auf die Gewerbe-Start-ups sein. Wenn man diese in der Stadt behalten kann, beispielsweise den sehr erfolgreichen Seifen-Hersteller Söder, dann ist das auch ein Image-Gewinn.
Monopolisierung gibt es auch in der Schweiz. Besteht nicht die Gefahr, dass erfolgreiche Start-ups von grossen Konzernen aufgekauft werden?
Das trifft hauptsächlich auf die Tech-Start-ups zu. Deshalb ist es sinnvoll, dass sich die Stadt Zürich nicht nur auf die ETH und ihre Start-ups konzentriert. Es gibt auch im Gewerbe innovative Menschen. Und diese gründen ihr Unternehmen nicht, um es zu verkaufen, sondern weil sie ein gutes Produkt machen wollen. Damit diese nicht weggehen, muss man ihnen geeignete Räume zur Verfügung stellen. Nicht jede Innovation muss zwangsläufig aus Amerika kommen. Auch wir haben uns eine Reputation erarbeitet.
Oft der grösste Kritikpunkt: wir verursachen Lärm und teilweise auch Dreck, das passt einfach nicht mehr in unsere Zeit. Selbst auf dem Lande, werden wir aus dem Kern verdrängt.
Posersalami würde ich entgegnen: ohne uns gäbe es keinen Verkehr, kein Haus, kein Strom, keine Wasserleitung, keine Möbel, keine Maschinen, welche die Bank und google zuerst einmal benötigen, damit sie arbeiten können. Es braucht eben beide.