Bahnhofstrasse Zug, Donnerstag kurz nach Mittag. Am Ende der Treppe erscheint eine Mitarbeiterin im schwarzen Blazer und öffnet die Tür. Ob die Swiss Chamber of Commerce for Digital & Blockchain Finance hier ihren Sitz hat? Das habe sie. Ob jemand vom Verein zu sprechen ist? Da müsse sie schnell nachschauen. «Wollen Sie reinkommen?» Das will man - und findet sich kurz darauf erneut im Treppenhaus wieder. Und zwar mit gleich vielen offenen Fragen wie zuvor. Vom Verein ist niemand da, der Auskunft hätte geben können.
Das ist schade. Denn aus dem im Dezember 2021 erfolgten Eintrag ins Handelsregister und der Website des Vereins wird man nicht recht schlau. . Klar ist lediglich: Der Verein «verfolgt keine gewinnorientierten Zwecke». Doch sein eigentlicher Zweck bleibt schwammig. Laut ihrer Website ist die Chamber of Commerce ein führender privatwirtschaftlicher Verband. Doch wer sind die Mitglieder? Die entsprechende Rubrik auf der Website bleibt leer.
Im Handelsregistereintrag ist von «technologischer Innovation» und der «Kreativität der Menschen» die Rede, von «Strategien und Chancen», von «gemeinsamen Entwicklungszielen», auf der Website von einer «positiven Infrastruktur für die Gestaltung der Zukunft ». Inhaltlich geht es um die Blockchain-Technologie und das digitale Finanzwesen. Hier will der Verein den «Handel und die Geschäftsbeziehungen zwischen der Schweiz und anderen Ländern» fördern. In der Zuger Kryptowelt jedenfalls ist er kein Begriff, sagt ein Szenekenner gegenüber «CH Media».
Aufhorchen lässt die Zusammensetzung des Vorstands. Präsident ist Filippo Lombardi (66), Mitglied der Stadtregierung von Lugano, Präsident des HC Ambrì-Piotta, langjähriger Ständerat und CVP-Fraktionschef. Seine Abwahl aus der kleinen Kammer 2019 war eine politische Sensation. Der Tessiner gilt als machtbewusster, mit allen Wassern gewaschener Politiker. Nicht nur während seines Amtsjahres als Ständeratspräsident 2013 begab sich Lombardi gerne und häufig auf offizielle und semi-offizielle Auslandreisen. Besonders enge Beziehungen pflegte er nach Russland und in andere Ex-Sowjetstaaten - und pflegt sie weiterhin.
Dabei stets an seiner Seite: Die Russin Alla Ramilova (56), die manche unter der Bundeshauskuppel als Lombardis «Schatten» bezeichnen. Sie erlangte im Jahr 2000 in Moskau ein Doktorat in Volkswirtschaft und war fünf Jahre für ein Forschungsinstitut des russischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung tätig. Danach forschte sie zwei Jahre im Auftrag des italienischen Finanz- und Wirtschaftsministerium und nahm schliesslich an einem Förderprogramm des US-Aussenministeriums teil. Seit 2007 lebt sie in Lugano.
Ramilova führte das Sekretariat mehrerer parlamentarischer Freundschaftsgruppen, bei denen Lombardi im Präsidium sass. Diese Gruppen dienen der Bundesversammlung zur Kontaktpflege mit ausländischen Parlamenten. Seit Lombardis Abwahl 2019 führt Ramilova über den Verein «Alpine Arena for Friendship» weiterhin das Sekretariat der Freundschaftsgruppen Schweiz-Kasachstan und der – zurzeit sistierten – Freundschaftsgruppe Schweiz-Russland.
Die «Alpine Arena for Friendship» hatte Lombardi 2014 gemeinsam mit dem ägyptischen Investor Samih Sawiris, dem Dorfmetzger von Andermatt sowie Alla Ramilova gegründet. Sie fungiert heute als Direktorin des Vereins. Dieser will die Gotthardregion als Ort für den internationalen politischen Dialog fördern – und begrüsste dabei überdurchschnittlich oft Delegationen aus dem ehemaligen Sowjetraum.
Ein Höhepunkt in der Vereinsgeschichte war die internationale Konferenz in Andermatt im September 2019. Unter Schirmherrschaft der Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE – deren prägender Kopf über viele Jahre Filippo Lombardi war – organisierte der Verein eine dreitägige Konferenz. Als Co-Gastgeberin trat die «Unterstützungsgruppe Seidenstrasse» der OSZE-Parlamentsversammlung auf.
Zur illustren Gästeliste gehörten Parlamentarier aus mehreren Ländern, darunter aus Russland und vielen zentralasiatischen Staaten, Chinas Botschafter in Bern, Aussenminister Ignazio Cassis oder der damalige UBS-CEO Sergio Ermotti. Alla Ramilova organisierte in ihrer Funktion für die «Alpine Arena» die Konferenz massgeblich mit. Das Mandat dafür hatte die Schweizer OSZE-Parlamentsdelegation erteilt, die auch ein Viertel der Kosten übernahm.
Jetzt gehört Ramilova gemeinsam mit Lombardi und zwei Tessiner Krypto-Spezialisten zu den Gründungs- und Vorstandsmitgliedern der «Chamber of Congress for Digital & Blockchain Finance». Am Telefon will sie keine Auskunft geben und verweist an Lombardi weiter. Dieser zeigt sich genervt. Per E-Mail schreibt er, die regelmässigen Medienanfragen zu Ramilovas Rolle seien ärgerlich. Sie lebe – mittlerweile mit einer C-Bewilligung – seit 15 Jahren in Lugano und habe «wie jeder Mensch das Anrecht auf ein privates und berufliches Leben in der Privatwirtschaft».
Mindestens ein weiteres Vorstandsmitglied der Digital-Handelskammer hat einen Bezug zum ex-sowjetischen Raum: Luca Moretti, der sich als Krypto-Anwalt bezeichnet, sitzt wie Lombardi im Vorstand der Joint Chambers of Commerce. Diese Handelskammer will den Austausch zwischen Schweizer Unternehmen und Ländern in Osteuropa, Zentralasien, dem südlichen Kaukasus und Russland fördern.
Auf Anfrage erklärt Lombardi, es gebe «keine institutionelle, statutarische oder formelle Verknüpfung» mit den Joint Chambers of Commerce. «Die ‹Schweizerische Handelskammer für Digital & Blockchain Finance› hat und sucht keine Beziehung zu Russland», schreibt Lombardi. Sie habe bis jetzt bloss eine Absichtserklärung über eine Zusammenarbeit mit dem «Astana International Financial Center» in Kasachstan unterschrieben, die noch keine konkreten Auswirkungen habe: «Die heutige internationale Krise verhindert vorübergehend jede weitere Entwicklung», so Lombardi.
Aktiv werden will die Digital-Handelskammer hingegen in der Schweiz. In Kürze ist laut Lombardi der Umzug nach Lugano geplant. Die Tessiner Geschäftsmetropole will sich als Gegengewicht zu Zug ebenfalls als Krypto-Finanzplatz etablieren. Nach dem Umzug will die Digital-Handelskammer gemäss Lombardi damit beginnen, in Lugano Mitglieder zu akquirieren. Das Ziel sei, Firmen zu vernetzen, eine «Community» zu entwickeln und den Mitgliedern Dienste anzubieten. (aargauerzeitung.ch)