Ende Oktober veröffentlichte das SRF einen Dok mit dem Titel «Das Protokoll – Die unbekannte Geschichte der zweiten Säule». Dass im Film die Lebensversicherer angegriffen werden, lässt schon der erste Satz der Dok-Beschreibung durchschimmern.
«Das System unserer Altersvorsorge wurde ausgerechnet von den Schweizer Lebensversicherungsgesellschaften selbst entworfen. Das sogenannte Drei-Säulen-Prinzip sollte nicht zuletzt deren eigenen Interessen dienen. Bis heute sind die Folgen spürbar», steht auf der Website.
Die Produzenten schreiben, dass sie im 50-minütigen Film aufzeigen wollen, wie «die Lebensversicherungsgesellschaften über Jahre hinweg Milliarden (Überschüsse) anhäufen konnten, die den Versicherten kaum zugutekamen. Obwohl sie laut Gesetz davon hätten profitieren müssen.» Zentral ist dabei die sogenannte «Legal Quote» der beruflichen Vorsorge BVG, bei der in der Politik anscheinend einige Fehler gemacht wurden, wie das SRF im Film zeigt.
«Wir haben es verpasst, Ertrag zu definieren», sagt im Dok alt FDP-Nationalrätin Christine Egerszegi, die damals in der behandelnden Kommission zur Legal Quote sass. Ähnliches kommt von ihrem einstigen Ratskollegen alt SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner: «Wir sind erst später aufgewacht, als man uns klargemacht hat, dass 10 Prozent vom Überschuss faktisch 10 Prozent vom Umsatz sind.»
Schuld an dieser Überverteilung seien die einflussreichen Versicherer, welche auf die verschiedenen Gremien eingewirkt hätten, sagt der SP-Politiker.
Einen «veritablen Skandal» darin gesehen hat SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen, als sie sich den Film anschaute. Dies bemerkte sie kürzlich in der SRF-«Arena» zur BVG-Revision.
Gegenüber watson sagt Wasserfallen: «Ich war befremdet, festzustellen, wie erfolgreich Lebensversicherer Einfluss nehmen können.» Mit dem BVG-Geschäft hätten diese seit der Einführung der Legal Quote acht Milliarden Franken Gewinn anhäufen können.
Für Wasserfallen ist klar, dass sich etwas ändern muss: «Wir haben in der laufenden BVG-Revision einen Antrag eingereicht, um die Legal Quote auf 7 Prozent zu beschränken.» Doch dieser wurde bereits von der beratenden Kommission versenkt. Denn: «Die Mehrheit im Parlament schützt die Interessen der Lebensversicherer», sagt die Politikerin und fügt an: «Es geht um viel Geld und um Verstrickungen im Parlament.»
Dies zeige sich laut Wasserfallen auch im SRF-Dok: «Es hinterlässt schon einen schalen Beigeschmack, wenn es die Lebensversicherer nicht einmal für nötig halten, sich zu den Recherchen von SRF zu äussern, oder ihre Aussagen im letzten Moment zurückziehen», sagt Flavia Wasserfallen.
Tatsächlich wollte keiner der sechs grössten Lebensversicherer im Film «Das Protokoll» vor laufender Kamera etwas sagen.
watson hat darum bei den sechs grössten Lebensversicherern nachgefragt, warum sie dem SRF nicht Rede und Antwort stehen wollten – und erhielt prompt von allen Rückmeldungen. Die teils mit dem Finger auf das SRF zeigen.
So schrieb die Swiss Life: «Wir haben alle Fragen – auch jene zur Legal Quote – schriftlich beantwortet. Aufgrund der ‹fragwürdigen Vorgehensweise› der Filmproduzenten haben wir uns gegen einen Auftritt vor der Kamera entschieden. Die Behauptung, dass wir ‹ohne jegliche Erklärung› Interviews abgelehnt hätten, ist unzutreffend.»
Der grösste Lebensversicherer der Schweiz verteidigt die Legal Quote und rät von einer Senkung ab. Zudem betrage die Ausschüttungsquote per Gesetz 90 Prozent der Erträge, nicht der Umsätze, wie es im SRF-Film heisse.
Ähnlich tönt es von der Pax: «Bei der SRF-Anfrage wurde auf eine Art und Weise vorgegangen, die für uns wenig vertrauenerweckend war: Es wurde ein Fragenkatalog nachgeschoben, der vorgefasste Meinungen zur Rolle von Lebensversicherern in der beruflichen Vorsorge durchscheinen liess.»
Wie Swiss Life hat auch Pax in den letzten Jahren die in der Legal Quote definierten 10 Prozent nie ausgeschöpft. «Im Jahr 2021 betrug die Ausschüttungsquote der Erträge an die Versicherten 93,4 Prozent, im Jahr 2020 94,6 Prozent und im Jahr 2019 96,2 Prozent», teilt der Lebensversicherer mit.
Eine Senkung der Legal Quote lehnt Pax dennoch ab. «Dies würde bedeuten, dass die Versicherer eine defensivere Anlagestrategie verfolgen müssen, was zu weniger Anlageerträgen führt.» Die Versicherten würden somit weniger erhalten.
In das gleiche Horn bläst die Baloise: «Der Beitrag beleuchtet die Entwicklung des schweizerischen Dreisäulensystems und vertritt dabei teils sehr einseitige Ansichten.» Deshalb habe man sich gegen eine Teilnahme entschieden.
Für die Axa war klar, dass «eine fundierte, faire und ausgewogene Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen des Films nicht zu erwarten war, weshalb wir auf eine Mitwirkung verzichteten.»
Zurückhaltender formulieren es die Allianz Suisse und Helvetia. Weil es «ein Branchenthema» war, hätten sie kein Interview gegeben.
Nicht verstehen kann diese Vorwürfe seitens der Lebensversicherer das SRF. Auf eine Anfrage bei der offiziellen Medienstelle antwortet der freie Mitarbeiter und Autor des SRF-Doks Pietro Boschetti.
Die Kritik der Swiss Life über eine «fragwürdige Vorgehensweise» könne er nicht verstehen. So beschreibt Boschetti, dass man nie eine Antwort auf die letzte E-Mail erhalten habe. Ähnlich tönt es zu den Vorwürfen der anderen Versicherer. Seitens des SRF gibt es keine Eingeständnisse, etwas falsch gemacht zu haben.
Der SRF-Autor verweist zudem auf die Schweizerische Gesellschaft für Geschichte (SGG). Diese habe bestätigt, der Dok zeige einen «empirischen, fundierten Beitrag zur Geschichte der Pensionskassen in der Schweiz. Dadurch habe die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) beschlossen, die Finanzierung des Projekts zu übernehmen. «Es gibt kaum eine bessere Garantie für Seriosität», schreibt der Dok-Autor.