«Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Dieses Sprichwort trifft meine finanzielle Situation ziemlich genau», sagt Rentnerin Vesna F.* aus Rapperswil-Jona. Die 71-Jährige muss mit ihrer kleinen AHV-Rente und Ergänzungsleistungen durch den Monat kommen.
1746 Franken erhält Vesna von der AHV, weitere 1214 Franken an Ergänzungsleistungen (EL). Macht total: 2960 Franken. Damit habe sie definitiv nicht viel, aber immer noch mehr als 20 Prozent der Rentnerinnen in der Schweiz. Denn laut Pro Senectute ist im Land jeder fünfte Pensionierte arm oder armutsgefährdet mit einem Alterseinkommen unter 2506 Franken.
«Wie es diesen Menschen geht, kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich selbst habe schon riesige Mühen, mit der Rente auszukommen», erklärt Vesna. Wie sehr sie jeden Monat finanziell hadert, legt die Seniorin im Gespräch mit watson schonungslos ehrlich offen. Sie hofft, damit anderen aufzeigen zu können, wie vielen Pensionierten es gleich ergehe wie ihr. Doch dafür müsse man ihre Geschichte verstehen.
Vesna F. lebt seit über 50 Jahren in der Schweiz, seit über 40 Jahren in der Rosenstadt am oberen Zürichsee. Mit 21 Jahren kam sie im Januar 1972 vom kroatischen Teil Jugoslawiens in die Schweiz und arbeite zunächst als Hilfsarbeitskraft in einer Küche. Es folgten diverse andere Jobs und Weiterbildungen. Sogar die höhere kaufmännische Fachprüfung habe sie abgelegt, sagt sie stolz.
Mit 50 gründete sie ihre eigene Firma und brauchte dafür ihre Pensionskassengelder auf. Neun Jahre später musste sie die Firma schliessen und ihre drei Mitarbeiter entlassen – es kamen zu wenig Aufträge rein. Das Geld aus ihrer Pensionskasse (PK) aber war weg. Die letzten fünf Jahre bis zur Pension arbeitete sie wieder zu 100 Prozent angestellt. In diesem Pensum sei sie immer berufstätig gewesen, seit sie in der Schweiz ankam.
Eine Arbeitspause machte sie einzig nach der Geburt ihrer zwei Kindern. «Ich hatte ein Monat frei, nachdem mein Sohn auf die Welt gekommen war, und zwei Monate nach der Geburt meiner Tochter», erinnert sich die 71-Jährige. Ansonsten habe sie – abgesehen von den gesetzlichen Ferien – all die Jahre Vollzeit gearbeitet.
Das Resultat dieses Arbeitslebens: eine Rente von 2960 Franken pro Monat. «Ohne die Ergänzungsleistungen würde ich gar nicht leben können», sagt Vesna. Von der Sozialversicherung bezahlt werde ebenfalls ihre Krankenkassen-Grundversicherung sowie die Franchise und den Selbstbehalt. Der einzige Nachteil sei, dass man dadurch nicht zusätzlich arbeiten dürfe, um noch einen Zustupf zu verdienen. Denn jeder verdiente Franken wird an die Ergänzungsleistungen angerechnet.
Die Rentnerin muss ihr Einkommen deswegen klar budgetieren, um finanziell über die Runden zu kommen. Der grösste Ausgaben-Punkt seien die Mietkosten für ihre 3-Zimmerwohnung.
1340 Franken koste diese jeden Monat. «Ich wohne schon lange hier, deshalb lohnt sich ein Umzug nicht», sagt Vesna. Mittlerweile bezahlt man für eine 2- bis 2,5-Zimmerwohnung in Rapperswil-Jona durchschnittlich 1448 Franken, wie das Vergleichsportal Immomapper auf ihrer Website schreibt.
Ein anderer hoher Budgetpunkt sei ihr Auto. Garage, Versicherung, Service und Benzin koste sie monatlich knapp 340 Franken. Dabei braucht die Rentnerin das Auto nie für Ausflüge oder lange Fahrten. «Wegen der hohen Benzinpreise», erklärt die 71-Jährige.
Für sie sei das Auto immer wichtiger, je älter sie werde. «Ich habe ein operiertes Knie und habe vor allem Mühe damit, Einkaufstaschen nach Hause zu tragen. Sobald ich etwas Schweres transportieren muss, nehme ich das Auto.»
Ein anderer Punkt, der einige Kosten verursache, sei ihr Hund «Snow». Der Weisse-Schäferhund/Husky-Mischling braucht pro Monat Futter für rund 250 Franken. Zusätzlich hat Vesna 25 Franken budgetiert für Tierarztbesuche, unter anderem wenn eine Impfung fällig ist. «Für einige ist ein Hund Luxus, für mich ist er eine Notwendigkeit», erklärt die Rentnerin.
Denn sie habe festgestellt: Je länger man lebe, desto mehr Zeit verbringe man allein. «Der Freundeskreis wird kleiner. Die Leute, mit denen man viel unternommen hat, sterben oder man verliert den Kontakt zu ihnen», sagt Vesna aus Erfahrung. Ihr Hund gebe ihr neue Lebenskraft, er bringe sie an die frische Luft und gleichzeitig bewege sie sich durch ihn mehr. Und: «Auch wenn es oftmals oberflächlich ist, durch meinen ‹Snow› bekomme ich soziale Kontakte. Ich treffe andere ‹Hündeler› auf der Strasse und wechsle ein paar Worte mit ihnen. Das tut mir gut».
Ihr Hund sei auch ihr Hobby, und zwar ihr einziges. «Ich würde gerne ins Fitnessstudio gehen, um aktiv zu bleiben, oder ein Abo im Hallenbad machen. Aber das kann ich mir nicht leisten», sagt die 71-jährige Seniorin. Freizeit-technisch seien die Möglichkeiten eingeschränkt.
Auch Tagesausflüge seien zu teuer. Das Budget für das benötigte Benzin und einen Restaurant-Besuch habe sie nicht. Einzig an Geburtstagen und speziellen Feiertagen geht sie gerne mit ihren Kindern in ein Restaurant. Dafür hat Vesna monatlich 20 Franken budgetiert. Nicht, weil sie das jeden Monat verbraucht, sondern damit sie zu seltenen Anlässen genug zusammen hat.
Ansonsten isst die Rentnerin nur das, was sie für sich kocht. 280 Franken pro Monat hat sie für Lebensmittel budgetiert, das macht 70 Franken pro Woche. «Wenn ein Monat schwer ist, wird oft bei den Lebensmitteln gespart und ich gebe nur noch 40 Franken pro Woche aus», erklärt sie.
Essenziell sei beim Wocheneinkauf, dass sie hauptsächlich Produkte erwerbe, welche Aktion seien. Denn der Normalpreis sei für sie zu teuer. Die aktuellen Preiserhöhungen würden der Seniorin zusätzlich zu schaffen machen. Am besten sei es, kurz vor Ladenschluss einzukaufen, weil dann viele Lebensmittel reduziert angeboten würden. «Auf diese Weise boxe ich mich so durch den Monat», sagt die Rentnerin.
Alle budgetierten Ausgaben zusammen machen bei Vesna ein Total von 2907 Franken pro Monat. Ihr bleiben also rund 53 Franken übrig – theoretisch. In der Praxis sei die Fünfziernote schnell aufgebraucht. Unvorhergesehene, hohe Rechnungen bringen Vesna zudem leicht in eine aussichtslose Situation.
«Wenn etwas mehr als 300 Franken kostet, geht das nur mittels Ratenzahlung», erklärt sie. Als vor etwa sieben Jahren ihre untere Zahnreihe festgebohrt werden musste, kostete das knapp 15'000 Franken. «Diesen Betrag musste ich sechs Jahre lang in 200 Franken-Raten abzahlen». Auch die obere Zahnreihe werde irgendwann noch folgen.
Der Betrag, den sie in Raten zahlen wird, fehle dann jedoch in ihrem Monatsbudget. «Gürtel enger schnallen», heisse die Devise während dieser Zeit. Vesna F. erwartet finanziell keine bessere Zukunft mehr. «Es ist, wie es ist», sagt die Rentnerin. «Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.»
* Name der Redaktion bekannt
Unabhängig davon, ich sehe die Situation vieler Pensionäre und es ist tatsächlich zum Heulen. Doch bedenkt, die ersten Jahrgänge, die das Berufsleben lang PK einzahlten, sind erst jetzt pensioniert (ab1985).
Diese Geschichte zeigt aber auch mMn das grösste Problem mit den schweizer Renten auf. Die AHV reicht schlicht nicht zum Leben und es gab und gibt zu viele Möglichkeiten die 2.Säule anzugreifen. Dies sollte mMn dringend noch weiter eingeschränkt werden, um solche und ähnliche Fälle in Zukunft zu vermeiden.