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Du willst nur das Beste? Voilà:
Der
Kapitalismus ist nicht tot, aber er riecht ein bisschen komisch, könnte man in
Anlehnung an ein berühmtes Zitat des Musikers Frank Zappa sagen. Trifft dies
zu?
Giacomo Corneo: Dass der Kapitalismus tot oder fast tot ist, hört man
schon seit hundert Jahren. Täglich kündigt irgendein Intellektueller irgendwo
auf der Welt den Untergang des Kapitalismus an.
Keine
besonders originelle Aussage, also.
Nein, wirklich nicht. Es gibt allerdings Fakten, die
einem Sorgen bereiten. Vor allem die rasante Zunahme der Ungleichheit.
Entsteht
ein neuer Geldadel, wie das Thomas Piketty in seinem Bestseller «Das Kapital
des 21. Jahrhunderts» beschrieben hat?
Vor allem für die USA gibt es inzwischen fundierte
Belege, die zeigen, dass an dieser Entwicklung etwas dran ist. Heute ist der
Anteil des reichsten Promilles der Amerikaner am gesamten Wohlstand von acht Prozent
in den 1970er Jahren auf aktuell über zwanzig Prozent angestiegen.
Was
ist schlimm daran, wenn einige wenige sehr reich sind, und es den anderen auch
besser geht?
Die Vermögenskonzentration führt zu Problemen. Sie
führt beispielsweise zu einer ebenfalls starken Ungleichheit der Renditen, die
aus dem Sparkapital erzielt werden können. Der normale Sparer hat grösste Mühe,
überhaupt eine Rendite zu erzielen, bei den Superreichen hingegen beträgt die
Rendite nach wie vor durchschnittlich bis zu zehn Prozent.
Werden
die Superreichen nicht primär für ihre herausragenden Leistungen belohnt?
Keineswegs. Die meisten grossen Vermögen werden heute
nicht erwirtschaftet, sondern geerbt. Die so wichtige Vorstellung für eine
Marktwirtschaft – «Leistung lohnt sich» – stimmt heute nur noch bedingt.
Hat
dies politische Konsequenzen?
Die riesigen Vermögen werden immer öfters dazu
benutzt, um politischen Einfluss zu gewinnen und so wiederum Privilegien zu
erhalten.
Mit
anderen Worten: Die Demokratie gerät in Gefahr, käuflich zu werden?
Ja, es führt
dazu, dass der neue Geldadel seinen Reichtum nicht durch Leistung mehrt, sondern durch so genanntes «Rent seeking», dem Abschöpfen von ungerechtfertigten
Privilegien.
VW
manipuliert Abgaswerte, Banken Zinssätze: Muss man heute ein Betrüger sein,
wenn man im Kapitalismus noch Erfolg haben will?
Das Prinzip des Kapitalismus ist die
Gewinnoptimierung. Diese kann auf zwei Arten erfolgen: Auf eine produktive und
eine destruktive. Idealerweise gelingt es einem Unternehmer, ein bisher
unentdecktes Bedürfnis der Gesellschaft zu befriedigen. Das ist die produktive
Art des Erfolges. Destruktiv ist es,
wenn man den Wettbewerb drosselt oder sogar unterbindet.
Was
heisst das konkret?
Was Sie erwähnt haben: Banken manipulieren Zinssätze
oder waschen Geld von Diktatoren aus Entwicklungsländern. Oder Autofirmen
erzielen übermässige Gewinne, indem sie Umweltnormen verletzen. Oder
multinationale Konzerne erpressen von den Staaten Steuerprivilegien.
Leider
ist der destruktive Kapitalismus sehr viel rentabler als der produktive. Ein
ehrlicher Unternehmer muss sich mit einer einstelligen Gewinnmarge zufrieden
geben. Wer betrügt, kann mit deutlich mehr rechnen.
Der Kapitalismus weckt die Gier, und diese Gier kann
nur schlecht mit Moral in Zaum gehalten werden. Damit der Wettbewerb dem
Allgemeinwohl dient, braucht es faire und strikte Rahmenbedingungen. Wenn es
dem Geldadel gelingt, seinen Reichtum politisch umzusetzen, dann werden auch
die Rahmenbedingungen zugunsten der Gier gelockert. Die Verstrickung von
wirtschaftlicher und politischer Macht hat fatale Konsequenzen. Das kann man
immer wieder in Entwicklungsländern beobachten, aber auch etwa in meinem
Heimatland Italien.
Sie wollen
trotzdem das Herzstück des Kapitalismus, die Börse, erhalten und fordern einen
Aktienmarkt-Sozialismus. Ist das nicht ein Widerspruch?
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Tatsache,
dass wir die zunehmende Vermögenskonzentration nicht mit Steuern in den Griff
bekommen, wie das beispielsweise Piketty mit einer Kapitalsteuer vorschlägt. Deswegen
gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir resignieren, oder wir suchen nach
neuen Möglichkeiten. Ich will nicht resignieren und bin auf die naheliegende
Möglichkeit gestossen, über eine andere Verteilung der Kapitaleinkommen zu mehr
Gerechtigkeit zu gelangen.
Wie
soll dies nun geschehen?
Grundsätzlich erwirbt der Staat Aktien, bildet ein
diversifiziertes Portfolio und verteilt die Dividenden an die Bürgerinnen und
Bürger. So kann jede und jeder – unabhängig von seinen persönlichen
Vermögensverhältnissen – von den Renditen der Unternehmen profitieren.
Nehmen
wir ein konkretes Beispiel: Nestlé. In Ihrem Modell übernimmt der Staat die
Aktienmehrheit, eine Minderheit bleibt im privaten Besitz und würde wie bisher
an der Börse gehandelt werden. Die Dividenden würde der Staat an seine Bürger
ausschütten. Verstehe ich das richtig?
Grundsätzlich schon. Mein Vorschlag ist ausführlicher
und besteht aus zwei Schritten: Der Aktienmarkt-Sozialismus muss vorsichtig und
in kleinen Schritten eingeführt werden. Beim ersten Schritt spielt das
öffentliche Kapital bei den Unternehmen eine rein passive Rolle. Es verhält sich also wie ein kollektiver
Rentier. Dabei sind aber seine Anlageentscheidungen ethisch gebunden, ähnlich
wie beim heutigen Staatsfond Norwegens.
Allerdings
verwendet er die Dividende anders.
Ja. Sie dient der Finanzierung einer sozialen
Dividende, also einer einheitlichen Transferleistung, die jeder Bürger
regelmässig auf sein Konto erhält. Wenn dieser Fond gut funktioniert, dann
erfolgt der zweite Schritt, die Überführung der Mehrheit des Aktienkapitals in
die öffentliche Hand.
Ist
das nicht einfach eine Verstaatlichung durch die Hintertür?
Nein, es bedeutet, dass diese Unternehmen im Sinne
einer produktiven Gewinnmaximierung geführt werden. Gleichzeitig wird auch die
Mitbestimmung in den Unternehmen gefördert. Gewerkschaften, Konsumentenschutz-
und Umweltschutzverbände werden als Wachhunde fungieren. Die Dividenden aus dem
Staatsfond werden nun als soziale Dividende an alle Steuerzahler zurückverteilt.
Zurück
zu Nestlé. Heute schon liegt die Mehrheit indirekt bei der öffentlichen Hand,
bei den Pensionskassen und anderen institutionellen Anlegern. Die müssten sie
enteignen und würden dann den Rentner bestrafen und den Steuerzahler belohnen.
Die bisherigen Aktionäre werden nicht enteignet. Der
Staatsfond kauft die Mehrheit am Markt sukzessive auf. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass dieser
Staatsfonds nicht in ethisch zweifelhafte Bereiche investiert, beispielsweise
in Waffenhersteller oder ökologisch unverantwortliche Unternehmen. Wenn der
Staatsfond die Mehrheit von Nestlé erworben hat, dann wird er auch seine
Vertreter in den Verwaltungsrat schicken. Sie werden dafür sorgen, dass das
Unternehmen sozial verantwortlich geführt wird, also beispielsweise keine
überrissenen Boni an das Management bezahlt.
Wie
wollen Sie dann erreichen, dass diese Unternehmen auch effizient arbeiten?
Mit mehr Mitbestimmung der Angestellten und mehr
Transparenz. Das erhöht die Loyalität der Mitarbeiter, das wiederum die
Produktivität des Unternehmens und so könnten höhere Löhne bezahlt und mehr
Gewinne ausgeschüttet werden.
Auch
beim Aktienmarkt-Sozialismus müssen die Unternehmen stetig wachsen. Wie
verträgt sich das mit dem Gedanken der nachhaltigen Entwicklung?
Die Umweltorganisationen sollen, wie erwähnt, als
Wachhunde eingesetzt werden, und sie sollen erleichterten Zugang zu den
relevanten Informationen erhalten.
Das
wiederum könnte eine Verminderung des Gewinnes zur Folge haben.
Nein, immer mehr Konsumenten achten darauf, dass die
Produkte, die sie kaufen, auch ökologisch hergestellt werden. Deshalb muss jetzt VW mit einem riesigen
Verlust rechnen. Nachhaltigkeit wird zu einem Erfolgsfaktor auf dem Markt.
Generell würde der Aktienmarkt- Sozialismus bedeuten, dass kapitalistische
Dominanz aufgehoben wird und Konzerne demokratisch gesteuert werden. Dies würde
zur Folge haben, dass der rein materielle Aspekt in Wirtschaft und Gesellschaft
nicht mehr so dominant wäre wie heute.
Könnte
man das nicht viel einfacher mit anderen Mitteln erreichen, mit
Genossenschaften beispielsweise, oder einer Sharing Economy, die auf Tausch
beruht?
Es hat viele Versuche gegeben, den Kapitalismus von
unten zu verändern, sei es mit Genossenschaften, anderen Geldsystemen, und
ähnlichem. Sie sind alle gescheitert. Ich bin aber hoffnungsvoll, dass wir
allmählich unseren Lebensstil verändern.
Weshalb?
Weil wir heute genug für alle produzieren. Der
Berlusconi-Kapitalismus, die Vorstellung, dass man immer mehr von allem braucht
und dass man alles kaufen kann – minderjährige Mädchen, Richter und Politiker –
ist ein Anachronismus geworden. Diesem Kapitalismus müssen wir mit einer
demokratischen Steuerung einen Riegel schieben.
Was
halten Sie von der These, wonach sich
der Kapitalismus mit seiner Gratiskultur selbst zerstört?
Das ist bloss eine neue Version des alten Liedes vom
Untergang des Kapitalismus, das wir seit hundert Jahren jeden Tag hören. Ich
würde mich niemals auf ein natürliches Absterben des Kapitalismus verlassen.
(Gestaltung: Anna Rothenfluh)
Und der Aktienmarkt-Sozialismus ist immerhin eine erwägenswerte Option, da die Kapitalsteuer kaum je einen veritablen Durchbruch schaffen wird. Allerdings wird die Risikofrage für das staatliche Engagement im Falle von hohen Verlusten weder gestellt noch beantwortet. Könnte immerhin auch gewisse Unwägbarkeiten beinhalten.