Seit fünf Jahren steht Gary Nagle an der Spitze des Rohstoffriesen Glencore. Im Juli 2021 löste er den langjährigen Chef und Architekten des integrierten Bergbau- und Handelsunternehmens, Ivan Glasenberg, ab. Dieser dürfte als nach wie vor grösster Aktionär mit einem Anteil von fast 10 Prozent in den strategischen Entscheidungen des Konzerns aber immer noch ein gewichtiges Wort mitreden.
Nagle hatte sich bei seiner Wahl zum CEO den wenig schmeichelhaften Übernamen Mini-Ivan erworben. Der 50-jährige Südafrikaner teilt nicht nur die Herkunft als Gemeinsamkeit mit seinem mächtigen Vorgänger. Den beiden wird auch die gleiche Vorliebe zum Kohlegeschäft nachgesagt.
Geht man nach den offiziellen Zahlen, hat sich das bis dato nicht verändert. Statt das Kohlegeschäft «verantwortungsvoll herunterzufahren», wie dies Nagle nach seiner Wahl zum Glencore-Chef in Interviews öffentlich angekündigt hatte, ist der Konzern just in diesem Bereich gewachsen. 2021 hatte Glencore in seinen Minen in Australien, Kolumbien und Südafrika noch 103 Millionen Tonnen von dem fossilen Energieträger gefördert. Ende 2024 waren es knapp 120 Millionen Tonnen gewesen.
Grossen Investoren wie dem norwegischen Staatsfonds Norges ist die in hohem Mass klimaschädliche Kohleproduktion von Glencore schon lange ein Dorn im Auge. Nicht nur für Norges sind Glencore-Aktien deshalb tabu. Seit dem letzten Höhepunkt von 576 britischen Pence im Januar 2023 haben die Glencore-Aktien 50 Prozent ihres Wertes verloren. Schlechter war kaum eine andere Bergbauaktie.
Nun sieht sich Glencore gezwungen, die Kohleförderung zu drosseln. So etwa in der Mine Cerrejón im kolumbianischen La Guajira, die bis 2034 ganz stillgelegt werden soll. Das Herunterfahren der Kohleproduktion könnte Glencore noch weit über die Zeit von Nagle und Glasenberg hinaus beschäftigen. Auf der Generalversammlung von Ende Mai bekam das Management zum wiederholten Mal die Kritik von Vertretern von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zu hören, die ein verantwortungsvolles Verhalten des Konzerns über den Tag der Schliessung hinaus einfordern.
Inzwischen dürften sich aber auch Glasenberg und seine getreuen Mitaktionäre ihre Gedanken über den ökonomischen Sinn des Kohlegeschäfts machen. Der starke Anstieg der Kohlepreise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist längst in eine Baisse übergegangen. Nach einem astronomischen Gewinn von 17,3 Milliarden Dollar im Jahr 2022 resultierte 2024 ein Verlust von 1,6 Milliarden.
«Gary Nagle steht heftig unter Druck», sagt ein langjähriger Glencore-Mitarbeiter, der damals lieber den Briten Kenny Ives an der Spitze des Konzerns gesehen hätte. Ives stand als seinerzeitiger Chef der Nickel-Sparte für eine Zukunft von Glencore als zentrale Akteurin im Geschäft mit jenen Nichteisen-Metallen, die zur Herstellung von Akkumulatoren und Batterien oder generell zur Bewältigung der Energiewende benötigt werden.
Der langjährige Glencore-Trader wechselt zu IXM nach Genf, der Metallhandelsabteilung des chinesischen Bergbaukonzerns CMOC, wo er inzwischen in die für Nichtchinesen höchstmöglichen Sphären des Managements aufgestiegen ist. Die Chinesen bauen das Geschäft mit den strategischen Metallen stetig aus. Zu schlagen gilt es den langjährigen Dominator Glencore.
Auch andere Rohstoffhandelsfirmen, die ihr Geld lange Zeit zum allergrössten Teil mit fossilen Energieträgern gemacht haben, sind in der jüngeren Zeit auf das Metallgeschäft umgeschwenkt. Die Branchenpublikation Global Trade Review berichtete im Januar vom Unternehmen Mercuria, das sein Metallhandelsdesk in wenigen Monaten von 5 auf über 40 Leute ausgebaut habe. Der Bericht zitierte andere Adressen wie die Genfer Gunvor oder deren Nachbarin Vitol, die sich ebenfalls mit voller Kraft in den Kampf um Kupfer und ähnliche Metalle eingeschaltet haben.
Auch Gary Nagle versuchte es im April 2023 mit einer Übernahme des kanadischen Bergbauunternehmens Teck Resources, das mit einer grossen Kupferproduktion und noch viel grösseren Kupferreserven lockte. Doch der Übernahmeversuch scheiterte. Statt die Sache bleiben zu lassen und das Ziel auf anderen Wegen anzustreben, liess sich Nagle mit dem Trostpreis abspeisen. Glencore übernahm für 7 Milliarden Dollar die kanadischen Teck-Minen, in denen Kokskohle für die Stahlproduktion gefördert wird. Kokskohle ist zwar ökonomisch und ökologisch die bessere Variante als Kraftwerkskohle. Doch der Deal hat Glencore nicht weitergebracht.
Im Gegenteil: Andrea Hotter, langjährige Branchenanalystin in der US-Fachpublikation Fastmarkets, schrieb im Januar in einer Kolumne über das Scheitern der in der Gerüchteküche ruchbar gewordenen Fusionsgespräche zwischen Glencore und dem Bergbauriesen Rio Tinto: Die im Konkurrenzvergleich niedrigere Börsenbewertung von Glencore könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Kohleaktivitäten von Glencore «für einige Investoren ein unüberwindliches Hindernis» darstellen.
Hotter hat noch eine andere mögliche Erklärung: Der Wert des Handelsgeschäfts von Glencore (dem zweiten Standbein neben dem Bergbaugeschäft) werde im Finanzmarkt entweder gründlich missverstanden oder sei vielleicht eben doch weniger werthaltig, als Glencore dies selber glauben möchte. Auch diese Erklärungsvariante der schwachen Börsenperformance liesse sich indirekt als Folge von Nagles Fixierung auf das Kohlegeschäft auslegen. Immerhin hätte er fünf Jahre Zeit gehabt, das Handelsgeschäft auf Kosten der Kohle und auf eine für die Glencore-Aktionäre vorteilhafte Weise auszubauen.