Die Affäre um den gescheiterten Beschattungsversuch des abtrünnigen Credit-Suisse-Managers Iqbal Khan, 43, schlägt hohe Wellen. Sie beflügelt die Fantasien von Wirtschaftsjournalisten weit über die Schweiz hinaus. Der Detektiv mit dem (angeblichen) Schlägergesicht und den vielen Tätowierungen, seine Verfolgungsjagd durch Zürich, Khans Fehde mit seinem vormaligen Chef und Hausnachbarn, dem Credit-Suisse-CEO Tidjane Thiam, der Streit in dessen Villa am Zürichsee, der Zank um Thiams Bäume, die den Khans die Sicht auf den See verstellen – was lächerlich klingt, könnte weitreichende Folgen haben.
Der CS-Aktienkurs ist diese Woche stärker gefallen als derjenige anderer Banken. Und CS-Chef Thiams Stuhl wackelt bedenklich: Sollte sich bestätigen, dass er den Spitzel-Auftrag erteilt oder zumindest davon gewusst hat, könnte er seinen Job schon kommende Woche verlieren.
Sachlich gesehen kann man sich darüber nur wundern. Denn die Vorgänge sind eigentlich läppisch. Khan – seine Mutter ist Schweizerin, sein Vater Pakistaner – gilt zwar als junges Ausnahmetalent in der mit begnadeten Managern nicht überdotierten Bankenbranche.
Doch ebenso wenig, wie der Abgang des 43-Jährigen die Credit Suisse in ein Loch reissen wird, kann er seine neue Arbeitgeberin, die UBS, aus Stagnation befreien. Ursächlich für den Vorfall sind nach den bisherigen Erkenntnissen bloss verletzte Eitelkeiten zwischen Khan und Thiam.
Der in den nächsten Tagen erwartete Bericht einer vom Credit-Suisse-Verwaltungsrat angeordneten internen Untersuchung der Zürcher Anwaltskanzlei Homburger wird vielleicht klären, wer Khans Überwachungsauftrag und das PR-Debakel verantwortet. Aber die Juristen werden nicht erklären können, wie sich die kleine Episode zu einem medialen Blockbuster entwickeln konnte, der dem guten Ruf des ganzen Finanzplatzes schadet. Offensichtlich lebt das Bankgeheimnis auch zehn Jahre nach seiner offiziellen Beerdigung weiter, und mit ihm die Erzählung der übermächtigen Grossbanken.
Diese Banken haben ihr Bild in den vergangenen Jahrzehnten entsprechend gepflegt und dazu, einem Mantra ähnlich, gegenüber der Öffentlichkeit und der Politik die eigene Bedeutung herausgestrichen. So erlangten sie den politischen Einfluss, den sie lange Zeit zum eigenen Vorteil zu nutzen verstanden.
Gemeinsam brachte man unerwünschte Volksinitiativen zu Fall, etwa jene gegen das Bankgeheimnis. 1984 stimmten 73 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gegen dessen Abschaffung. Erfolgreich verteidigte man bis 1993 ein nationales Gebührenkartell.
Und als das Bankgeheimnis 2009 dennoch fiel, war dafür nicht die heimische Politik und schon gar nicht das Schweizer Volk verantwortlich, sondern der Druck der USA und anderer G20-Staaten. Die Macht der Banken – insbesondere der Grossbanken – ist ein neueres Phänomen.
In den Anfängen des Schweizer Wirtschaftswunders bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges setzte sich die Wirtschaftselite nebst einigen alten patrizischen Geschlechtern vor allem aus den Familien von Industriepionieren wie Sulzer, Bally, Rieter, Schmidheiny, von Moos, Geigy, Sandoz oder Boveri zusammen. Die Kreditwirtschaft und die Bankiers waren bloss Ausführungsgehilfen jener Grossindustrie.
Die Rolle der Banken änderte sich mit der Kriegszeit. Plötzlich wurden sie von den Industriellenfamilien gebraucht, um ihre Interessen vor ausländischen Einflüssen zu schützen. Nach und nach wurden die Banken so zum Schaltzentrum der «Alpenfestung», wie es Wissenschafter der Universität Lausanne in einem Buch bezeichnen.
Die vollständige Entfaltung der wirtschaftlichen Macht der Grossbanken erfolgte aber erst Jahre später im Zug der Globalisierung, die 1972 mit der Neuordnung des globalen Währungssystems ihren Anfang nahm und 1986 mit der Liberalisierung des Finanzsektors in Grossbritannien (Big Bang) ihrem Höhepunkt zustrebte.
Von da an nahmen auch die Rivalitäten zwischen den Grossbanken schlagartig zu. Während die Institute ihre Auslandexpansion vorantrieben, intensivierte sich auch der Kampf um die Position im Heimmarkt. Dabei zeigte vor allem die Credit Suisse ihre Zähne.
Die Bank, die 1856 vom legendären Zürcher Politiker und Unternehmer Alfred Escher zur Finanzierung der Gotthardbahn gegründet wurde, wähnte sich in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem «hohen Ross», wie in den Schriften ihres Haushistorikers Joseph Jung nachzulesen ist.
In den Führungsetagen des noblen Instituts habe man erst spät realisiert, dass man sich schon in den 1960er-Jahren von der erst 1912 aus der Fusion der Bank in Winterthur und der Toggenburger Bank entstandenen «Bauernbank» UBS überholen liess. Im Bestreben, den Rückstand aufzuholen, schnappte die Credit Suisse 1993 der UBS die Schweizerische Volksbank vor der Nase weg.
Die Übernahme der damaligen Berner Grossbank war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, die zu einer argen Trübung des Verhältnisses zwischen den beiden Zürcher Rivalen führte. Ähnlich stach die Credit Suisse ein Jahr später die UBS auch bei der Übernahme der Neuen Aargauer Bank NAB aus, der damals grössten Regionalbank der Schweiz.
Es gingen zwei weitere Jahre ins Land, bis der seinerzeitige Credit-Suisse-Chef (und aktuelle Ehrenpräsident) Rainer E. Gut seinem Antipoden Nikolaus Senn von der UBS per Telefon die Idee einer Fusion unterbreitete. Guts Vorstoss erfolgte just in einer Zeit, als sich die UBS in einem schwierigen Abwehrkampf gegen den Financier Martin Ebner befand.
Senn nutzte die Gunst der Stunde und liess den Zürcher «Tages-Anzeiger» flugs die Geschichte verbreiten, die Credit Suisse greife nach der Macht über die SBG/UBS und nutze dabei deren Schwächung durch den in der breiten Öffentlichkeit unbeliebten Angreifer Ebner aus.
Die Episode artete in einer emotionalen PR-Schlacht aus, mit der die Beschützerinstinkte in der Bevölkerung und in der Politik über die heimischen Grossbanken geweckt werden sollten. Senns Strategie ging allerdings nur teilweise auf. 1998 muss die Bank in die Fusion mit dem kleineren und finanziell weit schwächeren Basler Bankverein zur heutigen UBS einwilligen, der dann auch Schlüsselpositionen besetzte.
Diese Geschichten liegen weit zurück und die Rivalitäten haben sich stark verändert. Für jedermann sichtbar wurde dies, als der frühere Credit-Suisse-Chef und CS-Veteran Oswald Grübel 2009 an die Spitze der schwer gezeichneten UBS berufen wurde – ein Wechsel, der bis dahin undenkbar gewesen war.
Doch seither kommen sich UBS und Credit Suisse auf dem Heimmarkt wieder stärker in die Quere. Beide Banken wurden durch die Finanzkrise gezwungen, ihre Auslandexpansion zu stoppen. Vor diesem Hintergrund ist auch die emotionsgeladene Publicity der Khan-Affäre zu verstehen.
Nun geht es den Grossbanken nicht mehr um Machtgewinn – sondern um Besitzstandwahrung. Die Verlustangst ist so gross geworden, dass ein einziger Transfer eines Jungbankers den Paradeplatz erschüttern kann, zum Vergnügen und zur Schadenfreude ausländischer Finanzmedien. (aargauerzeitung.ch)