Es ist das Jahr 1440. Der erste Moctezuma wird Herrscher über die aztekische Stadt Tenochtitlán, am Konzil von Basel versucht man eifrig das Papstprimat zu beschränken, während hundert Kilometer weiter der Alte Zürichkrieg tobt. Es ist auch das Jahr, in dem Johannes Gutenberg die beweglichen Lettern für den Buchdruck erfindet.
In Neapel wiederum sitzt der Humanist Lorenzo Valla an seinem Schreibtisch. Der Vesuv hat seit 300 Jahren seine heissen Innereien im Bauch behalten. Glühend rot ist nur Vallas Kopf. Vielleicht ist es die Anstrengung, vielleicht aber auch ein bisschen Wut, die in seine Wangen gestiegen ist.
Valla führt nämlich einen Kampf gegen die Verfehlungen und Laster der Päpste. Einen Kampf für die Wahrheit. Und das Dokument, das vor ihm liegt, wurde von seinem prüfenden Auge gerade als Falsifikat erkannt. Es handelt sich um die Konstantinische Schenkung – eine miserabel gefälschte Urkunde, mit der die Päpste seit einem guten halben Jahrtausend ihre umfassende Führungsstellung in der Christenheit einfordern.
Auf diesem Papier nun wird die Legende des fiesen, christenverfolgenden Kaisers Konstantin (270/288–337) erzählt, der gegen Ende seines Lebens vom Aussatz befallen wird. Die heidnischen römischen Priester raten ihm in herodianischer Manier, Kinder zu töten, um dann ausgiebig in ihrem unschuldigen Blute zu baden. Doch das Herz des Kaisers krampft sich von den Klagen der Mütter mitleidig zusammen und so schickt er sie alle wieder nach Hause.
In der Nacht erscheinen Konstantin die Apostel Petrus und Paulus, die ihn an Papst Silvester verweisen. Dieser wird nun eiligst hinter dem Berg Soracte hervorgeholt, wo er sich vor den römischen Christenschlächtern verbarg, damit er den leprösen Kaiser durch ein mirakulöses Taufbad heile.
In Wirklichkeit wurde Konstantin erst auf seinem Sterbebett in Nikomedia (heutige İzmit, Türkei) getauft – vom dortigen Bischof Eusebius. Doch die Überlieferung wollte es anders: Der Durchbruch des Christentums sollte in Rom geschehen und deshalb selbstredend vollbracht werden vom römischen Bischof und ganz sicher nicht von irgendeinem ostkirchlichen Lump! Verdrängt werden sollte die Tatsache, dass Konstantin seine neue Hauptstadt Byzantion (heutiges Istanbul), die er 330 grosszügig ausbaute und in Nova Roma umbenannte, als christliche Gründung dem «heidnischen» Rom entgegenstellte.
Doch diese Taufverlegung nach Rom in die heilenden Hände Papst Silvesters ist noch nicht der arglistige Teil der Legende. Jener beginnt erst mit der angeblich überschwänglichen Dankbarkeit des nunmehr aussatzfreien Kaisers: Er soll Silvester nämlich den Vorrang über alle anderen Ortskirchen verliehen haben. Doch nicht nur das. Dem Papst gebührt von jetzt an die Herrschaft über Italien und den gesamten Westen, während sich der Kaiser selbst demütig in den Osten zurückzieht, wo er am Bosporus besagte neue Hauptstadt zweiten Ranges gründet.
Die Konstantinische Schenkung ist also das päpstliche Eintrittsticket ins irdische Geschäft um Macht, Ländereien und noch mehr Macht und soll sich im Jahre 315 ereignet haben.
Die Finger Lorenzo Vallas zittern vor Aufregung. Noch immer finden wir den Humanisten über das bedeutende Schriftstück gebeugt. Seine Stirn legt sich in Falten. Abgesehen davon, dass er keinerlei Quellen ausfindig machen konnte, die diese Schenkung bestätigen, stimmt ihn auch der Umstand kritisch, dass ein Kaiser seine Macht einfach so freiwillig an einen Papst abtritt. Ein Kaiser mehrt sein Reich, er verzichtet nicht auf Herrschaft. Lepra hin oder her.
Es ist nicht nur der Inhalt, an dem sich Valla stösst. Sein italienisches Humanistenherz blutet ob der unaussprechlichen Schäbigkeit der Fälschung, diesem vulgären Küchenlatein, das ihm da entgegenspringt, von der verräterisch ungeschickten Wortwahl ganz zu schweigen!
Es ist von einem «Diadem» die Rede, das der kniefällige Kaiser dem Papst überreicht – ein solches Herrschaftszeichen gab es im vierten Jahrhundert nicht. Und weder nannte man die damaligen römischen Bischöfe «papae», noch hiess des Kaisers neue Hauptstadt im Jahr 315 bereits Konstantinopel, wie in der Schenkung behauptet. Dieser taufte Byzantion 330 in Nova Roma um, und erst nach seinem Tode wurde die Stadt offiziell nach ihm benannt.
All dies schrieb Valla in seinem Werk «De falso credita et ementita Constantini donatione» (1440) nieder. Und er schloss es mit einem Appell an den Papst und dessen Nachfolger: Sie möchten sich doch bitte wieder auf ihr geistliches Amt besinnen.
Seine Veröffentlichungen setzten ihn natürlich sofort dem Verdacht der Häresie aus. Doch Valla wusste sich vor dem Inquisitionsgericht geschickt zu verteidigen. Im Dienste des Humanistenpapstes Nikolaus V. stieg er gar zum Kuriensekretär auf. Als solcher beschäftigte er sich fortan vor allem mit der Übersetzung des griechischen Historikers Thukydides – Betrachtungen über den Peloponnesischen Krieg mochten ein weniger verfängliches Thema sein.
Heute datiert man die Entstehung der gefälschten Schenkungsurkunde irgendwo um das Jahr 800. Ein Paar untalentierter Kurienhände muss diesen Frevel fabriziert haben.
Was aber haben die Päpste mit dem lügnerischen Papier so alles getrieben, bevor es als Fälschung entlarvt wurde? Man hört mit Erstaunen, dass alle Zeugnisse bis ins 11. Jahrhundert – also 200 Jahre lang – bloss auf die Bekehrung und die Taufe des Kaisers Bezug nahmen, nicht aber auf die Schenkung.
Dann aber trat Leo IX. (1049-1054) auf die Weltbühne. Der Papst, der erstmals die Konstantinische Schenkung dafür verwendete, dem Patriarchen von Konstantinopel sein angebliches Primat vor den anderen Kirchen unter die Nase zu reiben. Niemand dürfe die Entscheidungen des Papstes anzweifeln, liess er durch seinen ausgefuchsten Kardinal Humbert von Silva Candida verlautbaren. Dieser reiste dann auch nach Konstantinopel, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. Humbert brachte den dortigen Patriarchen, Michael Kerullarios I., gegen sich auf, indem er dessen Titel und die Gültigkeit seiner Weihe bestritt.
Er beschimpfte auch einen Mönch, der die östlichen Bräuche verteidigte, er sei wohl einem Bordell entsprungen. Selbstredend, dass dieser Konflikt ausarten musste: In einem «Anfall von gerechtem Zorn» liess Humbert eine Exkommunikationsbulle für den Patriarchen auf dem Altar der Hagia Sophia liegen, was wiederum Kerullarios dazu veranlasste, seinerseits den Kardinal mitsamt dem Papst mit dem Kirchenbann zu belegen. Allerdings lag letzterer bereits unter der Erde.
Papst Gregor IX. (1227–1241) wiederum versuchte mit der Konstantinischen Schenkung das staufische Kaisertum in die Knie zu zwingen. Namentlich den letzten jener Dynastie, Friedrich II., mit dem er sich um die Vormachtstellung in Süditalien balgte. Denn Friedrichs Herrschaftsgebiet bedrängte seinen schönen Kirchenstaat gleich von zwei Seiten; mit dem Heiligen Römischen Reich im Norden und mit dem Königreich Sizilien im Süden.
Der Kaiser aber sei seit Konstantin dem Papsttum unterstellt, versuchte nun der Papst zu argumentieren, er schulde dem Papst Gehorsam und habe ihn als Vater und Lehrer anzusehen. Friedrich II. sah das etwas anders, wofür er gleich zwei Mal exkommunziert wurde. Gregor IX. verfluchte ihn gar als Antichrist und Bestie der Johannes-Apokalypse.
Otto III. (980–1002) war der einzige, der neben ein paar Häretikern die Echtheit der Konstantinischen Schenkung in Zweifel zog – der 21-jährige Kaiser starb kurz darauf eines unnatürlichen Todes. Das gesamte Mittelalter hindurch, allen Machtkämpfen zwischen Päpsten und Kaisern zum Trotz, wurde die Echtheit der Urkunde niemals bestritten.
Und selbst als Valla 1440 sie als Fälschung entlarvte, änderte sich zunächst nichts. Das Mittelalter interessierte sich nicht für die Herkunft eines Dokuments, sondern nur für dessen Inhalt. War dieser schlüssig, gab es nichts daran auszusetzen, ganz egal, wie sehr man daran herumgeschraubt hatte.
Im 17. Jahrhundert gestand dann auch die päpstliche Kurie ein, dass der Urkunde-Text gefälscht sei, keinesfalls aber das Ereignis der Schenkung an sich, auf dessen Historizität sie noch 200 weitere Jahre lang beharrte.
Symbolischen Ausdruck fand diese auch in der Tiara, der Papstkrone, die der demütige Kaiser Papst Silvester zum Zeichen seiner Unterwerfung übergeben haben soll. Die Tiara hat weder liturgische noch theologische Bedeutung, sie steht für die universale Autorität des Papstes, aufgeteilt in drei Gewalten: Er gilt als Vater der Fürsten und Könige, als Lenker der Welt und als Stellvertreter Christi auf Erden – deshalb besteht sie aus drei Kronen.
Die Tiara ist ein reines Herrschaftssymbol.
Papst Paul VI. war der letzte Papst, der sich mit der Tiara zum Papst krönen liess. Das war im Jahr 1963. Johannes Paul I. war es dann, der jenes Symbol des Papstprimats bei seiner Inthronisierung nicht mehr auf dem Haupte, dafür aber in seinem Wappen trug. Uns so zierte es auch bis in unser Jahrhundert hinein dasjenige seines Nachfolgers Johannes Paul II.
Erst Papst Benedikt XVI. ersetzte die Tiara im Wappen durch eine einfache Mitra mit drei goldenen Querstreifen.
Danke, Lady Anna, für Ihre eloquente Berichterstattung.