Die mRNA-Technologie ist in der Arzneimittel- und Impfstoffforschung eine recht junge Methode. Bekannt wurde sie in der breiten Bevölkerung durch die Corona-Impfstoffe von Biontech und Moderna.
Ein Vorteil: mRNA-Impfstoffe sind einfach herzustellen. So wurde es möglich, innerhalb weniger Wochen viele Millionen Impfdosen zu produzieren. Der Einsatz der mRNA-Impfstoffe ist nicht nur im Kampf gegen Covid-19 von grosser Bedeutung. Auch in der Krebsbehandlung deuten bisherige Forschungen mögliche zukünftige Erfolge an.
mRNA-Impfstoffe enthalten die Bauanleitung des Antigens, gegen das der Körper eine Immunantwort aufbauen soll, in Form von Boten-RNA (mRNA, messenger RNA). Dieser «Bauplan» ist von Lipidstoffen umhüllt, sogenannten mRNA-Lipidnanopartikel. Diese erleichtern der Boten-RNA das Eindringen in die Zellen.
Die Körperzellen nutzen den eingeschleusten Bauplan, um das spezifische Antigen selbst herzustellen. Dadurch lernt das Immunsystem das Antigen kennen und kann eine entsprechende Immunantwort entwickeln. Wird die so trainierte Immunabwehr mit dem «echten» Antigen konfrontiert, kann sie dieses bekämpfen. So kann eine Infektion verhindert oder ein Erkrankungsverlauf gemildert werden.
Die Ursprünge der neu entwickelten Impfmethode liegen in der Krebsforschung. Dr. Ugur Sahin von der Universitätsmedizin Mainz ist seit vielen Jahren in der Krebsforschung tätig. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Entwicklung individualisierter Therapien gegen Krebs und andere Krankheiten. Er gründete das TRON – Translationale Onkologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und die Firma Biontech.
«Aufgabe des biopharmazeutischen Instituts ist der Transfer innovativer Behandlungsmethoden aus der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung», erklärt Dr. Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes (KID) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
«Unter anderem wird im TRON eine ganze Reihe verschiedener Ansätze im Bereich der Immuntherapie bei Krebs verfolgt, darunter auch die mRNA-Vakzine-Technologie. Diese wurde mit der Idee konzipiert, für Tumorpatienten eine personalisierte Tumorimpfung zu entwickeln.»
Krebsforscher hoffen, mit Hilfe der mRNA-Technologie das Abwehrsystem des Körpers so zu sensibilisieren, dass es besser zwischen «guten» und «bösen» Zellen unterscheiden kann. Laut der Krebsexpertin gibt es grundsätzlich zwei mögliche Ansätze, wie mit der mRNA-Technologie Krebs bekämpft werden kann:
Neben der Erforschung der Antigene und der Entwicklung entsprechender Vakzine gibt es eine weitere Herausforderung: Forscher müssen eine Möglichkeit finden, die Vakzine in den Körper zu schleusen, sodass der Körper überhaupt eine Immunreaktion zeigen kann.
«Das ist schwierig, da messenger RNAs keine sehr stabilen Moleküle sind und vom Körper normalerweise rasch abgebaut werden. Die mRNAs müssen so modifiziert und verpackt werden, dass der Körper mit ihnen arbeiten und eine Immunantwort bilden kann», erklärt Weg-Remers. «Auf diesen Vorarbeiten der letzten 20 Jahre basieren die aktuellen Corona-Impfungen von Biontech und Moderna.»
Seit einigen Jahren werden erste klinische Studien zur Bekämpfung von Krebs mit Hilfe von messenger RNA durchgeführt. «Diese sind noch in einem sehr frühen Stadium – es handelt sich um Phase-1 und Phase-2-Studien», sagt die Krebsexpertin.
«Es wurden bereits einige Hundert Patienten behandelt. Bei Biontech beispielsweise laufen mit der mRNA-Methode mehrere Studien, unter anderem zu schwarzem Hautkrebs, Brustkrebs sowie Prostatakrebs.» Die Ergebnisse der Forschungen machen Hoffnung. Einige Patienten haben auf die Vakzine angesprochen.
Allerdings warnt die Krebsexpertin vor zu grossen Erwartungen. Die Durchführung klinischer Studien sei langwierig. Vor einer Zulassung müsse man in Phase-3-Studien prüfen, wie die Patienten auf die Behandlung mit mRNA im Vergleich zu einer Standardtherapie ansprechen und wie sich die Erkrankung der Patienten mittelfristig weiterentwickle.
«Es kann in der klinischen Krebsforschung tatsächlich Jahre dauern, bis eindeutige Ergebnisse vorliegen – häufig vergehen fünf bis zehn Jahre», so Weg-Remers. «Die Forschungen sind auch deshalb so langwierig, weil Krebs eine sehr individuelle Erkrankung ist und Krebszellen sehr wandlungsfähig und widerstandsfähig sind.»
Laut der Krebsexpertin gibt es bislang keine klinischen Studien, in denen die Eignung der mRNA-Impfung zur Vorbeugung beliebiger Tumoren erprobt wird. Aus gutem Grund: «Man weiss ja nicht, ob und wann sich bei wem welcher Krebs entwickeln wird und welche Eigenschaften die Tumorzellen dann aufweisen. Somit wäre es methodisch sehr schwierig, solche Studien durchzuführen», sagt Weg-Remers.
Nach wie vor ist die Sorge in der Bevölkerung präsent, dass mRNA-Impfstoffe in das Erbgut des Menschen eingreifen und möglicherweise Veränderungen oder gar Mutationen auslösen können. Impfexperten geben Entwarnung.
So erklärt etwa das Robert Koch-Institut (RKI) mit Hinblick auf die Corona-Impfungen, dass die mRNA der RNA-Impfstoffe nach kurzer Zeit von den Zellen abgebaut wird. Sie werde «nicht in DNA umgebaut» und habe «keinen Einfluss auf die menschliche DNA, weder in Körperzellen noch in Keimbahnzellen». Nach dem Abbau der mRNA finde keine weitere Produktion des Antigens statt.
Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung beruhigt: «Bei mRNA handelt es sich um ein Botenmolekül, das nicht in die DNA einer Zelle eingebaut werden kann und relativ schnell vom Körper abgebaut wird. Eine Veränderung des Erbguts, das heisst eine Beeinträchtigung der Keimzellen (Eizellen beziehungsweise Spermien), kann damit nicht stattfinden.»
Eine mRNA-Impfung kann die Krankheit, gegen die geimpft wird, nicht auslösen. Bei den mRNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus werden keine vermehrungsfähigen Krankheitserreger gespritzt. Auch entstehen durch die Impfung keine Viren. Die Impfung enthält lediglich Informationen zum Bau bestimmter Virusanteile.
«Die mRNA-Impfung ist eine neue Impfmethode. Bislang zugelassene Impfstoffe haben entweder mit abgeschwächten oder mit abgetöteten Erregern oder einzelnen Proteinbausteinen der Erreger eine Immunantwort provoziert und einen Impfschutz hergestellt», erklärt Weg-Remers. «Die mRNA-Methode macht es möglich, dass lediglich die Proteine desjenigen Antigens, gegen das eine Immunantwort aufgebaut werden soll, hergestellt werden.»
Das Prinzip der mRNA-Vakzine wird derzeit auch in der Behandlung einer Multiplen Sklerose (MS) erforscht. So ist es Wissenschaftlern unter der Studienleitung von Professor Ugur Sahin, dem Mitbegründer von BionTech, gelungen, bei Mäusen die Entstehung von experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis mit Hilfe eines mRNA-Impfstoffs zu unterdrücken.
Die experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis ist eine mit der menschlichen Multiplen Sklerose vergleichbare entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Der mRNA-Impfstoff konnte den Krankheitsverlauf der Mäuse abmildern oder sogar rückgängig machen. Eine schnelle Umsetzung ist mit heutigem Stand allerdings weniger wahrscheinlich.
Auch wenn das Verfahren bei Mäusen mit experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis Erfolge zeigt: Es lässt sich nicht so einfach auf Menschen mit einer Autoimmunerkrankung wie Multiple Sklerose übertragen. Dennoch: Die Forschungen mit der mRNA-Vakzine machen MS-Betroffenen Hoffnungen auf zukünftige Behandlungsmethoden.
Auch im Bereich anderer Erkrankungen könnte die mRNA-Technik zukünftig Chancen bieten. «Es ist durchaus vorstellbar, dass die mRNA-Liposomen-Technologie in Zukunft bei der Bekämpfung anderer Erkrankungen eine Rolle spielen, etwa bei anderen Virusinfektionen», so Weg-Remers.
«Das Wirkprinzip lässt sich möglicherweise von Corona auf andere Viruserkrankungen übertragen. Ich denke, wir können auf weitere Forschungen gespannt sein.»
So eine Art 9/11 Wendepunkt....