Schule ist nicht jedermanns Sache. Die einen können Physik nichts abgewinnen, andere nicken bei Biologie ein. Der amerikanische Oberstufenlehrer Eric Nelson hatte mit Aufmerksamkeitsdefiziten in seinem Gesellschaftskunde-Unterricht zu kämpfen. Statt starr am Lehrplan festzuhalten, bediente er sich bei «Fantasy Football», das echte Sportereignisse mit einem Spiel verknüpft. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase zündete «Fantasy Geopolitics» bei den Schülern, und auf einmal war Politik interessant.
Bei «Fantasy Geopolitics», wie Nelson sein Projekt nennt, wählt man als erstes ein Team bestehend aus drei Ländern (die USA und China sind ausgenommen, wegen ihrer Dominanz in den Medien). Danach müssen die Spieler Erwähnungen dieser Länder in den Nachrichten suchen. Für jede Erwähnung gibt es einen Punkt.
Dieses System nennt sich Gamification – spielend lernen. Ein Modell, das sich Philippe Wampfler auch gut an Schweizer Schulen vorstellen könnte. Der Lehrer und Experte für Lernen mit neuen Medien sieht darin einen wesentlichen Vorteil gegenüber dem bisherigen Notensystem. «Gamification wäre eine Möglichkeit, um den Lernenden mehr Verantwortung für ihr Lernen und ihre Motivation zu übertragen», sagt Wampfler.
Das System werde aber viel zu wenig genutzt, weil Noten immer noch zu stark gewichtet werden. «Am Gymnasium haben fast alle Schülerinnen und Schüler die Bedeutung von Noten so verinnerlicht, dass andere Formen wie Gamification gegen diese Anreize kaum ankommen können», ist Wampfler überzeugt.
In der jetzigen Form sei das Notensystem mit Gamification nicht kompatibel. Ersteres setze auf Standardisierungen und letzteres auf Individualismus. Wampfler befürchtet, dass die Schweiz den Ausstieg aus dem kaum wirksamen Notensystem verpasst. «Die Diskussion zeigt, wie konservativ viele Bereiche der schweizerischen und insgesamt der westeuropäischen Bildungslandschaft sind», sagt Wampfler.
«In der Primarschule ist Gamification eine selbstverständliche Lern- und Motivierungsmethode», sagt Wampfler. In der ersten und zweiten Klasse erhält man kleine Aufkleber oder Smileys für gute Arbeiten oder Schönschrift. Damit animiert man die Schüler zum Mitmachen. Auch die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat mit Spielen wie der «Komma-Kanone» bereits vor Jahren erfolgreich Gamification getestet. Im Spiel schiesst man mit Kanonen Kommas in einen Text. Richtig platzierte erscheinen farbig, falsche gar nicht.
Die Sekundarschule Zürich ist dem Thema gegenüber aufgeschlossen, versichert Andi Hess, Leiter der Abteilung Lehren und Lernen. «Das Schulamt beobachtet die aktuellen Entwicklungen aktiv und ist im Austausch mit nationalen Experten», sagt Hess. Die Voraussetzungen sind dank der «flächendeckenden Ausrüstung der Schulen mit Computern» denkbar günstig.
Die Verknüpfung von Games und Lehrmitteln stecke aber noch in den Kinderschuhen. «Wir könnten unsere Schulbücher ‹elektrifizieren›», so Hess. Das Umwandeln von Lehrmitteln in PDFs, Apps oder Lernprogramme brächte aber noch nicht den gewünschten Erfolg. Zwar existieren bereits verschiedenste Angebote von Gamification, umfangreiche Feldstudien werden aber noch schmerzlich vermisst.
«Wichtig ist, dass man Voraussetzungen schafft, damit die Lehrperson die Mittel einsetzen kann, die sie für richtig hält», erklärt Hess. Ob das klassische Lehrbücher sind oder Games, hängt vom Individuum ab, denn der Lehrplan des Kantons Zürich besagt eindeutig, dass der Lehrer die Lernmethoden selbst bestimmen darf. Schüler werden sich somit noch etwas gedulden müssen und Games weiterhin ausschliesslich zum Zeitvertreib spielen.