Als J.D. Vance bei der Debatte der beiden Vizepräsidentschafts-Anwärter auf die Rolle von Donald Trump beim Sturm aufs Kapitol angesprochen wurde, erwiderte er: «Ich bin auf die Zukunft fokussiert.» Keine gute Antwort, denn nur tags darauf sind er und sein Boss von der Vergangenheit eingeholt worden. Und wie.
Tanya Chutkan, die Richterin im Fall der Anklage gegen Trump für seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol, hat gestern einen Bericht des Sonderermittlers veröffentlichen lassen. Obwohl einzelne Passagen darin eingeschwärzt wurden, sind diese Jack-Smith-Files für Trump verheerend – und sie kommen zum für den Ex-Präsidenten denkbar unglücklichsten Zeitpunkt. Aber der Reihe nach:
Eine der vier Anklagen gegen Trump dreht sich um dessen Rolle vor und während der Ereignisse am 6. Januar 2021. Jack Smith, der von Justizminister Merrick Garland eingesetzte Sonderermittler, weist in seiner Anklageschrift minutiös nach, wie Trump in mindestens vier Punkten gegen das Gesetz verstossen hat.
Obwohl Smith seine Anklage bereits im Juni 2023 veröffentlicht hat, ist es bisher zu keinem Prozess gekommen, denn der Ex-Präsident hatte mit seiner Verzögerungstaktik auch in diesem Fall Erfolg.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Supreme Court. Der im Verhältnis von 6:3 mit konservativen Richtern – drei davon wurden von Trump eingesetzt – besetzte Oberste Gerichtshof hat in einem Urteil, das nur als Skandal bezeichnet werden kann, verfügt, dass der Ex-Präsident nur für «private» Taten belangt werden kann. Für seine offiziellen Handlungen geniesse er «präsidiale Immunität».
Gleichzeitig hat das Gremium verfügt, Richterin Chutkan müsse, bevor es überhaupt zu einem Prozess kommen könne, diesen Unterschied abklären lassen. Deshalb hat die Richterin Smith beauftragt, einen Bericht zu erstellen, der ihr diese Unterscheidung möglich macht. Das hat der Sonderermittler nun in einem 165 Seiten umfassenden Dokument getan. Zuvor hatte er schon eine neue Anklage eingereicht, in der die Vorgaben des Supreme Court eingehalten werden.
In diesem Bericht heisst es glasklar: «Der Angeklagte macht geltend, dass er immun sei gegen eine Strafverfolgung für seine kriminellen Handlungen beim Versuch, das Resultat der 2020-Wahlen umzustossen, da er, wie er behauptet, in offizieller Funktion gehandelt habe. Das trifft nicht zu. Obwohl der Angeklagte im Zeitraum, in dem sich die Straftaten ereignet haben, immer noch im Amt war, hat er fundamental als Privatperson gehandelt.»
Weiter geht aus den Jack-Smiths-Files hervor, dass sich bei der Anklage gegen Trump im Wesentlichen nichts geändert hat. Einzig die Verhandlungen mit dem Justizdepartement, die Trump seinerzeit geführt hat, können als offiziell klassifiziert werden. Sie sind daher fallengelassen worden, ohne dass deshalb die Substanz der Anklage gelitten hätte.
Im Wesentlichen erfahren wir auch inhaltlich wenig Neues. Das mit der Abklärung der Ereignisse des 6. Januar 2021 eingesetzte Komitee des Abgeordnetenhauses hat bereits ganze Arbeit geleistet und nachgewiesen, dass es sich beim Sturm aufs Kapitol keineswegs um eine aus dem Ruder gelaufene Demonstration gehandelt hat. Vielmehr haben Trump und seine Mitverschwörer auf verschiedenste Art und Weise versucht, eine verlorene Wahl nachträglich zu ihren Gunsten umzubiegen. Das wäre ihnen auch beinahe gelungen, die USA gingen haarscharf an einem Staatsstreich vorbei.
Trotz des mageren News-Gehaltes sind die Jack-Smith-Files brisant. Mit Aussagen von Zeugen, die hautnah am Geschehen beteiligt waren, wird darin aufgezeigt, wie Trump nicht nur bewusst den Mob aufgehetzt hat, sondern dass er dies ohne Rücksicht auf Verluste und aus rein egoistischen Motiven getan hat.
Eine Schlüsselrolle kommt dabei seinem damaligen Vize Mike Pence zu. Dieser hat sich bekanntlich geweigert, die Zertifizierung der Elektoren-Stimmen nicht anzuerkennen. Er tat dies, obwohl er von Trump mehrmals dazu aufgefordert wurde, am Schluss gar begleitet von offenen Drohungen. «Hunderttausende werden dich bis aufs Blut hassen», hat Trump ihm deshalb erklärt und ihm vorgeworfen, er sei «viel zu ehrlich». Das geht aus den Notizen hervor, die der Ex-Vize gemacht hat und die dem Sonderermittler vorliegen.
Wie zynisch und menschenverachtend Trump während des Sturms auf das Kapitol war, zeigt auch folgende Episode: Er verfolgte die Ereignisse allein vor einem grossen TV-Gerät. Als klar wurde, dass Pence seinen Wünschen nicht nachkommen würde, postete er auf Twitter: «Mike Pence hat uns verraten». Als danach der von ihm mit diesem Tweet angestachelte Mob skandierte «Hang Mike Pence», reagierte Trump einzig mit einem Schulterzucken: «So what.»
Wie sehr Trump sich um die Gesetze einer demokratischen Gesellschaft foutiert, zeigt auch eine Bemerkung, die er gegenüber seiner Tochter Ivanka und deren Gatten Jared Kushner gemacht und die ein Angestellter des Weissen Hauses gehört hat. Sie lautet: «Es spielt keine Rolle, ob du eine Wahl gewonnen oder verloren hast. Du musst auf jeden Fall kämpfen und zwar auf Teufel komm raus.»
Vor einem Geschworenen-Gericht sind solche Aussagen tödlich. Sollte Trump jedoch erneut ins Weisse Haus einziehen, wird es nie zu einem solchen Prozess kommen. In diesem Fall würde er sich entweder selbst begnadigen oder seinen Justizminister anweisen, das Strafverfahren einzustellen.
Dummerweise für Trump sind diese Aussagen jedoch auch im Vorfeld der Wahlen tödlich. Das Resultat wird gemäss allen Experten und Umfragen sehr knapp ausfallen. Die Jack-Smith-Files könnten zur Folge haben, dass die wenigen Tausend Stimmen, die in den Swing States die Wahlen entscheiden werden, jetzt Kamala Harris zugutekommen. Dann wird es zu einem Prozess kommen, der längst hätte über die Bühne gehen müssen.
Sollte er gewinnen, wird das auf jeden Fall ein Drama.
Ein System, in dem ein einziger Mann die ganze Welt in die Vernichtung stürzen kann, ist zutiefst krank. Die Amis müssen da ganz dringend etwas tun. Und wenn sie das nicht schaffen, ist es vielleicht wirklich an der Zeit, den Weltpolizisten abzulösen. Fragt sich nur, wer den Posten übernehmen soll. Ich sehe da grad keine wirklich brauchbaren Möglichkeiten.
Deren Publikum macht sich doch sowieso nicht die Mühe mehr als 160 Seiten zu lesen.