«Welt, ich kenne deinen Lohn:
Was du mir gibst, das nimmst du mir.
Wir scheiden alle nackt von dir.
Schäm' dich, soll es mir auch so ergehen.
Ich hab Leib und Seele (das war zu viel)
deinetwegen tausendfach gewagt.
Jetzt bin ich alt, und du treibst dein Spiel mit mir.
Zürne ich deshalb, so lachst du mich aus.
Ja, verlache uns eine Weile noch:
Dein Jammertag kommt bald
und nimmt dir, was du uns genommen hast,
und verbrennt dich deshalb noch zuletzt.»
Walther von der Vogelweide (um 1170 – um 1230)
So wie jeder Mensch stirbt, so wird im Gedicht des mittelhochdeutschen Lyrikers auch irgendwann die gesamte Schöpfung im Feuer versinken.
Die Angst vor dem Untergang der Welt ist wohl immer auch eine Chiffre für die Furcht vor dem eigenen Ende. Denn, so schreibt es der deutsche Autor Christian Schüle, «der Einzelne steht ein Leben lang vor der schwierigsten aller schwierigen Aufgaben des Lebens – der Bewältigung seiner grössten narzisstischen Kränkung: dem Skandal des eigenen Todes.»
Im Gegensatz zu ihren Bewohnern mit mehr oder weniger fixem Verfallsdatum hat die Welt aber ihres noch nicht erreicht. Aller unheilvoller Zeichen, aller prophetischer Befürchtung und dubioser Berechnung zum Trotz ist die seit über 2000 Jahren unaufhörlich beschworene Apokalypse nicht eingetreten.
Erwartet und verkündet wird sie allerdings nach wie vor. Nur sind an die Stelle von Engeln, Propheten und Kirchenvätern längst Philosophen, Künstler und Wissenschaftler getreten.
Die Zeichen der kommenden Endzeit sind keine Kometen mehr, kein Blutregen und kein Himmelsfeuer, sondern heissen heute Klimaerwärmung, CO2 und Desertifikation.
Der Weltuntergang bedarf schon lange keiner göttlichen Offenbarung mehr; er droht vom Menschen selbst. Da ist kein Jüngstes Gericht mehr nötig, kein «schrecklicher Tag des Herrn». Der Mensch selbst ist es, der, sich in ungeheurem Masse über die Erde ausbreitend, tatkräftig an den Vorbedingungen seines eigenen Verlöschens arbeitet – die Vernichtungstechnologie vorantreibt, Terror und Krieg bringt, das Polareis schmelzen und die Regenwälder abholzen lässt.
Der Niedergang scheint heute machbarer geworden zu sein. Man rechnet ihn hoch, simuliert ihn am Computer, und jedes Mal, wenn ein Wald brennt oder ein Tsunami seine meterhohen Flutwellen über eine Küste schickt, gemahnt jemand an das kommende Ende.
Jede Katastrophe aktualisiert diese alte, im Grunde doch überwunden geglaubte Endzeiterwartung von Neuem, und verschmilzt sie mit der eigenen schicksalshaften Erfahrung.
Und als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge ins World Trade Center in New York fliegen, glaubt manch ein Augenzeuge, im Rauch und in den Staubwolken der einstürzenden Twin Towers den Antichristen zu entdecken, während der Präsident George W. Bush sofort zum «Kreuzzug gegen das Böse» aufruft.
Die Rhetorik des Endes scheint über die Jahrhunderte die gleiche geblieben zu sein.
Und ebenso die Hoffnung auf Heil: Vielleicht nicht mehr in Form eines ewiges Lebens in einem besseren Jenseits, wie es das Jüngste Gericht für die Gerechten bereitzuhalten verspricht, dafür aber ein diesseitiges Leben in Frieden auf einer Erde, deren Fortbestehen weiterhin gewährleistet werden kann durch rechtzeitiges Handeln.
Denn das ist es, was die Vorstellung vom Ende seit jeher freisetzt: den Willen zur Veränderung, zur Verbesserung, zur Rettung der Welt. Mitunter lähmte sie manch ein Individuum und liess es wehklagend verzagen, meist aber führte ihr moralischer Handlungsappell zu lebhaftem Tatendrang.
Im Mittelalter und noch in der Frühen Neuzeit erwarteten die Menschen das Weltgericht jederzeit und sie glaubten fest daran, dass sich jener künftige Untergang durch todbringende Seuchen, Hungersnöte, sintflutartige Regenfälle, Sonnenfinsternisse und andere unheilvolle Vorboten ankündigen würde.
Dieser Gedanke formte ihre ganze Lebensrealität und hatte zweierlei Konsequenzen:
Durch gottgefälliges Tun liess sich das Ende hinauszögern. Wer also regelmässig den Gang zur Kirche antrat, Almosen an die Armen verteilte und ein Leben nach dem Vorbild Jesus führte, der vermochte ihm zu entgehen.
Die Gestaltung des Kommenden war damit in der Hand der Menschen, auch wenn Gott es natürlich voraussah. Allein das Ende stand fest. Das Jüngste Gericht und der nachfolgende Untergang der Welt im Feuer, dies war unabdingbar. Und so wurde nun alles Handeln, alles Geschehen an seiner Bedeutung für jenes letzte Geschick der Menschheit gemessen. Der Untergang legitimierte erst die Radikalität christlicher Ethik. Der Glaube leitete jedwelches Handeln des für die Schöpfung verantwortlich gemachten Christen – und solche Lehre klingt noch heute in den Weltrettungsprogrammen des Westens nach.
Zweitens war diese endzeitliche Erwartungshaltung auch Antrieb für die gewissenhafte Erforschung der Zeichen, die jenen so gefürchteten, aber durchaus verschiebbaren Untergang ankündigten. Man wollte sie verstehen.
Und so begann man damit, die Bibeltexte daraufhin zu deuten, stellte neue Kalenderberechnungen an, fragte nach Raum und Zeit und beobachtete die Himmelskörper. Durch die Jahrhunderte wurden diese wissenschaftlichen Versuche exakter, traten aus den Schatten der Religion ans Licht der Erkenntnis, bis Mathematik, Physik, Kosmologie und Astronomie schliesslich das Apokalyptische zu entmystifizieren verstanden.
Oder doch nicht ganz? War dieses unaufhörliche Gemahnen an den Untergang, diese Drohung vom Tag des Herrn, «der kommen würde wie ein Dieb in der Nacht», die durch das ganze Mittelalter und die Frühe Neuzeit hallte, doch nicht spurlos an unserer Seele vorbeigezogen?
Für den Historiker Joannes Fried steht ganz klar fest: Der so lange erwartete Weltuntergang verfestigte sich zu einem sozialen Habitus des christlichen Westens. Er hat sich so tief in unserer Psyche eingenistet und im kollektiven Gedächtnis eingebrannt, dass er auch heute noch, aller Säkularisierung, Aufklärung und Religionsfernheit zum Trotz, in Weltuntergangsreden präsent ist.
Kein Unwetter, keine Flut und kein Virus, das nicht den Schreckensruf der Apokalypse hervorgebracht hätte.
Doch gehört diese Vorstellung eines drohenden Niedergangs der gesamten Erde allein dem Westen?
Fried zeigt in seinem Buch «Dies Irae: Eine Geschichte des Weltuntergangs» (2016), dass allein das Christentum, aus jüdischen Wurzeln erwachsen, eine solch lineare Heilsgeschichte mit dauerhaftem Untergang der stofflichen Welt kennt. Die meisten Völker verstanden und verstehen die Schöpfung als etwas zyklisch Wiederkehrendes, etwas, das stirbt und aufersteht, in Anlehnung an den Kreislauf des Jahres.
Das Wissenwollen der alten Griechen und Römer bezog sich auf das Leben, und die Antworten auf ihre Fragen fanden sie in der Vogel- und Eingeweideschau. Jene Zeichendeutung diente dem Zweck der Lenkung des Gemeinwesens und kündeten keinesfalls von einer drohenden Apokalypse. Im Übrigen kam im stolzen Selbstbild der Römer der eigene Niedergang sowieso nicht vor.
Nirgends sonst scheint sich also ein alles verzehrender Weltbrand zu finden. Nicht einmal im Koran. Mit Juden- und Christentum vertraut, kennt er zwar den «Tag des Gerichts» und die Auferstehung und lässt die Seelen entweder ins Paradies aufsteigen oder in die Hölle fahren, von einem Ende der Welt aber ist auch dort keine Rede.
Sicherlich flossen auch fremde Elemente in die christliche Apokalyptik mit ein, kleine Stücke syrischer, griechischer, armenischer, arabischer, hebräischer und persischer Prophezeiungen, doch die Vorstellung von einem baldigen Ende war dennoch einzigartig.
Auch die Maya, so schreibt Fried weiter, kannten – entgegen weit verbreiteter Ansicht – kein solches. Jene endzeitliche Prophezeiungen seien erst aus nachkolumbianischer Zeit überliefert und wohl unter dem Einfluss christlicher Mission entstanden.
Auch in den japanischen Traditionen taucht kein Weltuntergang auf. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelangten vereinzelt westliche Motive auf den Inselstaat und zogen auch in die japanische Manga-Kultur ein.
Zeitzeugen des Atombombenabwurfs über Hiroshima erinnern sich an die grauenvolle Ausradierung der Stadt und ihrer Menschen in den verschiedensten Bildern:
Keiner bediente sich der Weltuntergangs-Metapher, nicht einmal der Kaiser. Bei seiner Kapitulation erklärte der Tenno Hirohito: «Den Krieg unter diesen Umständen fortzusetzen, würde nicht nur zur völligen Zerstörung unserer Nation führen, sondern zur Zerstörung der menschlichen Zivilisation.»
Die Vernichtung der menschlichen Zivilisation als Höchstmass an Zerstörung, aber kein Weltuntergang.
Wo also kommt diese Vorstellung von einer in Feuer und Rauch untergehenden Erde her? Einer aus dem Nichts entstandenen Schöpfung, die irgendwann abermals im Nichts verschwindet?
Im Buch vom jüdischen Apokalyptiker Daniel – wohl vor 164 v. Chr. entstanden – begegnen wir der Rhetorik des Untergangs zum ersten Mal. Hier wird die alte, dem Zwischenstromland entlehnte und bei Hesiod (vor 700 v. Chr.) auftauchende Vorstellung von vier aufeinanderfolgenden Weltreichen – einem goldenen, silbernen, ehernen und tönernen – radikalisiert. Er prophezeit «Gräuel der Verwüstung» am Ende jener heidnischen Reiche, doch dann, das Kommen des Königtums des Messias, das ewige Reich Gottes.
Der Untergang drohte also bloss den Gottesfeinden, nicht aber der ganzen Erde. Eine solche Prophezeiung war den Juden Heilsweisung und kein Weltuntergang.
Dieser drohte erst mit der Zerstörung ihres zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. Der römische Kaiser Titus hatte an seine Stelle einen für Jupiter gesetzt. Der verlorene Jüdische Krieg, die Eroberung und Zerstörung Jerusalems machte die Hoffnung auf die Ankunft des Messias fast ganz zunichte.
Der übrig gebliebene Rest an revolutionärer Energie, an Freiheitsstreben und Erlösungsglaube erstarb mit der Niederschlagung des nachfolgenden Bar-Kochba-Aufstands (132–136).
Das Urtrauma aber blieb die Tempelzerstörung. Und dieser gedachten die Gemeinden der jüdischen Diaspora fortan am traurigsten Tag ihres Jahres, jenem Tag, der ihre Väter heimatlos gemacht und über alle Herren Länder verstreut hatte.
Diese Erfahrung trennte die biblische Vergangenheit für immer von der Zukunft, die Messiaserwartung rückte in weite Ferne und sein Gericht wurde bald nur noch von den Christen bemüht.
Denn diese fanden ihren Messias in Jesus von Nazareth. Und als Erben der jüdischen Apokalyptik begannen sie sie unter dem Eindruck der Christenverfolgungen mit Verdüsterungen zu erweitern. So wurde aus der Zerstörung des Tempels bald ein die gesamte Welt verschlingendes Feuer.
Die Offenbarung des Johannes beschliesst das Neue Testament, die Sammlung von 27 urchristlichen Schriften. Auf jenen ziemlich brachialen Text geht nun alle Vorstellung vom Weltuntergang zurück.
Verfasst wurde er von Johannes, einem Wanderprediger wie Jesus und Paulus vor ihm. Ein Judenchrist, der wohl in Palästina wirkte, während die flavischen Kaiser Vespasian, Titus und Domitian (69–96 n. Chr.) dort wüteten. Er mochte die Grausamkeit und Zerstörungswut der Römer miterlebt, das Aufgehen des Tempels in Feuer und Rauch gesehen, die Unterdrückung am eigenen Leibe erfahren haben. Und all die Verwüstung, die Erfahrung von so viel Gewalt und Tod und gleichzeitiger Ohnmacht mochten seine Seele tief erschüttert haben. So sehr, dass aus der Düsternis seines Unterbewusstseins jene schreckensvollen Bilder heraufbrachen, die er nun, auf der griechischen Insel Patmos in der Verbannung lebend, zu Papier bringt.
Denn sie muten teilweise wie rohe Zorn- und Rachephantasien eines Mannes an, dem angesichts der gnadenlosen Übermacht des Feindes nichts bleibt als der Wunsch nach einem himmlischen Hammer, der alles zerschlägt, der die Welt in Stücke haut und mitsamt dem Bösen, das darauf lebt, vernichtet. Es ist die genuin jüdische Sehnsucht nach einem Erretter, nach einem Leben in Frieden und Freiheit für die Gerechten und nach Strafe für die Ungerechten, die in der Johannes-Apokalypse nachklingt – und zwar in einem höchst alttestamentarischen, gewaltverherrlichenden Duktus. Gnade gibt es hier nicht. Die Feinde Gottes verdienen keine Liebe, sondern bloss Geschwüre, ewige Qualen und Tod.
Die Geschichte, die uns Johannes erzählt, lautet so:
Auf der Insel Patmos weilend erscheint ihm plötzlich Christus, der ihm aufträgt, niederzuschreiben und an die sieben Gemeinden zu schicken, was er nun zu sehen bekomme. Und er sieht so einiges. Zuerst Christus, ...
... dann, oben im Himmel, den thronenden Gott, und um ihn herum weitere 24 Throne, auf dem die 24 Ältesten sitzen. Er sieht einen Löwen, einen Stier, ein menschenähnliches Lebewesen und einen Adler, alle mit sechs Flügeln und aussen und innen voller Augen. Und alle rufen unablässig: «Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung; er war und er ist und er kommt.»
Er sieht das Buch mit sieben Siegeln in der Hand Gottes und davor das Lamm, das die Siegel zu öffnen ganz allein würdig ist. Er sieht die Öffnung der ersten vier Siegel, sieht, wie daraus die vier apokalyptischen Reiter entlassen werden:
Dem fünften Siegel entspringen alle Seelen, die als Märtyrer für Gott gestorben waren, die Öffnung des sechsten löst ein Erdbeben aus, die Sonne wird schwarz und der Mond blutrot, während die Sterne vom Himmel herabfallen.
Als das Lamm das siebte Siegel öffnet und sieben Engel mit sieben Posaunen entlässt, sieht Johannes, wie die Vernichtung der Erde voranschreitet: Hagel und Feuer, mit Blut vermischt, fallen aufs Land und verbrennen ein Drittel der Bäume, ein grosser brennender Berg wird ins Meer geworfen und ein Drittel der Meerestiere stirbt. Ein grosser Stern fällt vom Himmel und vergiftet ein Drittel aller Flüsse und Quellen. Die Sonne, der Mond und die Sterne verdüstern sich zu einem Drittel.
Die Gottlosen werden von zwei weiteren Plagen geschlagen, doch es scheint nicht zu helfen, «sie liessen nicht ab von Mord und Zauberei, von Unzucht und Diebstahl.»
Nun kommt ein anderer Engel aus dem Himmel herab: «Er war von einer Wolke umhüllt und der Regenbogen stand über seinem Haupt. Sein Gesicht war wie die Sonne und seine Beine waren wie Feuersäulen» – und er befiehlt Johannes, ein kleines Buch zu essen.
Die siebte Posaune kündigt das Gericht an; der Tempel Gottes öffnet sich, Johannes sieht die Bundeslade mit den Zehn Geboten, es kommen Blitze, Stimmen, Donner, Erdbeben und ein grosser Hagel vom Himmel herab.
Dann sieht er ein Tier aus dem Meer aufsteigen, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern, auf denen es zehn Diademe trägt und gotteslästerliche Namen. Ein Kopf aber scheint tödlich verwundet, doch die Wunde ist nicht mehr. Sein Körper ist panthergleich, seine Füsse sind Bärentatzen und sein Maul das eines Löwen. Für 42 Monate wird jener falsche Prophet herrschen, diese Macht hatte ihm das andere Tier übertragen, jenes mit den zwei Hörnern wie ein Lamm, das redet wie ein Drache. Es bringt nun auch alle gottesfernen Bewohner der Erde dazu, das erste Tier anzubeten. Und sie alle bekommen sein Zeichen auf die Stirn oder auf die rechte Hand; wer es nicht will und sein Standbild nicht anbetet, wird getötet.
Die Zeit des Gerichts ist endlich da, die Erde wird geerntet und die Engel giessen die sieben Schalen des Zorns Gottes auf die Erde aus: Sodann befallen Geschwüre die Menschen mit dem Zeichen des Tieres, Feuer versengt ihr Fleisch und das Wasser des Meeres und der Flüsse verwandelt sich in Blut – denn sie haben das Blut von Heiligen und Propheten vergossen, und sollen nun Blut zu trinken bekommen. Es folgen Finsternis und die Trockenlegung des Euphrats.
Die siebte Schale bringt ein Erdbeben so stark, wie noch keines je gewesen war. Städte und Völker stürzen ein, Inseln und Berge verschwinden und gewaltige Hagelbrocken fallen auf die Menschen. Endlich ist die Hure Babylon, jener Sündenpfuhl namens Rom, untergegangen. «Halleluja!», frohlockt nun der ganze Himmel.
Satan wird gefesselt und in den Abgrund geworfen, 1000 Jahre Friede kehrt ein für die Gerechten, die nun zum ersten Mal auferstehen.
Dann kehrt er wieder, versammelt noch einmal seine Heerscharen und umzingelt Gottes geliebte Stadt. Doch Feuer fällt vom Himmel und verzehrt die ganze Satansbrut. «Und der Teufel, ihr Verführer, wurde in den See von brennendem Schwefel geworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet sind. Tag und Nacht werden sie gequält, in alle Ewigkeit.»
Dann folgt das Seelengericht; das Meer gibt dafür seine Toten heraus und auch die Unterwelt – «und sie alle werden gerichtet, jeder nach seinen Werken.»
Die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner brennen im Feuersee und verschwinden mit der Erde, die nun nicht mehr ist. Dafür ist da eine neue Erde mit einem neuen Himmel, und von ihm herab kommt nun das von Gott geschaffene Jerusalem, eine Stadt aus reinem Gold, mit Mauern aus Jaspis, geschmückt mit Smaragden, Sahphiren und Chalzedonen.
Dass der Weltuntergang bevorstand, war für die Christen damit gewiss. Gott hatte sich Johannes offenbart – endlich würde er das Joch jener niederdrückenden römischen Fremdherrschaft zerschlagen und sie von ihrer Drangsal befreien.
Nur wann genau würde es passieren? Bald, hiess es. Die Zeit sei nahe. Doch das Römische Reich ging unter, ohne dass Christus wiederkehrte und es kamen neue Reiche, die meisten bereits durch das eifrige Missionieren der Gläubigen von der Frohen Botschaft überzeugt, doch auch ihnen wollte sich der Messias nicht zeigen.
Die Endzeitewartung blieb trotz aller Parusie-Verzögerung wach und jedes Jahrhundert füllte den damit ins Unendliche driftenden Spekulationsraum mit seinen ganz eigenen Vorstellungen.
Erst waren es Kirchenväter, Theologen und Kaiser, später Humanisten, Naturforscher und apokalyptische Sekten, die versuchten, die unheilvollen Vorboten des Niedergangs zu deuten und den rätselhaften Zahlen, den kryptischen Zeitangaben der Bibel ihr Geheimnis von der Stunde des Weltuntergangs zu entlocken.
Im jüdischen Schriftwerk des Talmud, wo die Gebote und Verbote der Tora erklärt werden, findet sich auch eine Angabe zur Lebenszeit der Schöpfung: 6000 Jahre lang würde sie bestehen, entsprechend der Dauer ihrer Entstehung. Diese hat laut der Genesis sechs Tage in Anspruch genommen, und da vor Gott tausend Jahre wie ein Tag sind (Ps 90.4), ergibt sich, dass die Welt 6000 Jahre, vielleicht gar 7000 Jahre alt wird, wenn man den Sabbat mitzählt. Bis ins 17. Jahrhundert hinein, für manche Sekten gar bis heute, galt diese Frist wegweisend für die Berechnungen der Apokalypse.
Im Grunde durfte man den Tag des Jüngsten Gerichts überhaupt nicht kalkulieren, dieses Wissen war allein Gott vorbehalten.
Doch Verbote locken den Menschen seit Adams Zeiten und so machten sich auch die Frommsten unter ihnen – natürlich mit schlechtem Gewissen – an das Aufspüren zumindest des Antichristen, der ja das bevorstehende Ende einläuten würde.
Luther, der Vater der Reformation, erkannte diesen im Papsttum. Und rechnete gleich drei Mal mit dem Niedergang: 1532, 1538 und 1541. Danach schwieg er, blieb aber nach wie vor in Erwartung des Endes. Die Bauern, niedergedrückt von Fronarbeit und Leibeigenschaft lehnten sich gegen ihre raffgierigen Herren auf, während goldene Reliquien, Heiligenstatuen und ganze Orgeln in den Feuern der Bilderstürmer brannten – die Welt aber blieb bestehen.
Noch Isaac Newton (1642–1726), diese Lichtgestalt des Barocks, jenes moderne Forschergenie, das im 17. Jahrhundert die Gesetze der Schwerkraft und der Optik aufgestellt hatte, nahm sich apokalyptischer Berechnungen an:
Er war eben ein Universalgelehrter, Ziehsohn eines Pastors, religiös erzogen und mit der Bibel ebenso vertraut wie mit Alchemie, Geschichte und den Naturwissenschaften. Gott hiess für ihn die Ursache der Planetenbewegungen, was ihn aber keineswegs daran hinderte, diese mathematisch zu berechnen.
Newton war, trotz aller wissenschaftlicher Rationalität, ebenso dem eschatologischen Denken des Mittelalters verhaftet. Er erwartete die Wiederkunft Christi zum Jüngsten Gericht und als prophetischer Exeget fand er denn, sich durch die apokalyptische Symbolik des Buches Daniel wühlend, auch genügend Hinweise, um den Zeitpunkt des Weltuntergangs zu kalkulieren.
Allerdings tat er dies mit Vorsicht, er war sich der unzähligen Misserfolge menschlicher Vorhersagen bewusst, er fürchtete gar, dass die dilettantischen Deutungsversuche mancher seiner Vorgänger die Bibel in Verruf bringen könnten. Ironischerweise wetterte er auf eben jenem Papier, auf dem er das Jahr 2060 notierte, gegen diejenigen, die sich erdreisteten, den Tag des Herrn auf ein genaues Datum festzulegen.
Im Unterschied zu manch anderen waren Newtons Überlegungen jedoch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, er schrieb sie allein für sich nieder.
Aber jetzt, wo wir schon mal eine Jahresangabe bekommen haben, warten wir mal ab.
Wer weiss.