Papst Stephan VI. hatte ein Problem. Nun haben das alle Menschen zu allen Zeiten, doch im Jahr 896 – also vor 1122 Jahren – zweifelte man die Rechtmässigkeit seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt an. Und wenn ein Mann, der es schon so weit gebracht hat, in seiner Stellung bedroht wird, dann empfindet er die Gefahr natürlich als höchst existentiell. Was sie im Übrigen auch tatsächlich war in einer Welt, wo Päpste, Könige und Kaiser einander ständig bekriegten und nach dem Leben trachteten.
Nun gab es im damaligen Kirchenrecht ein Gesetz, das einem Bischof verbot, seine Diözese (Amtsgebiet) zu wechseln. Stephan VI. war bereits Bischof von Anagni, als er zum Papst gewählt worden war. Als höchster Amtsträger der Kirche aber wurde er damit auch automatisch zum Bischof von Rom ernannt und sah sich deshalb gezwungen, seinen früheren Posten aufzugeben. Besagtes Gesetz jedoch verbot eben diese Versetzung – zur Drosselung des klerikalen Ehrgeizes. Denn vor Stephan VI. kamen die Päpste in der Regel aus den niedrigeren Reihen der Priester. Nur sein Vorgänger, Papst Formosus, hatte zuvor auch schon ein Bischofsamt inne.
Formosus war es auch, der Stephan VI. überhaupt erst zum Bischof ernannt hatte. Diesem Schuft hatte er das Dilemma also zu verdanken. Und er sollte ihm da auch wieder heraushelfen.
Um seine Haut zu retten, tut der Mensch bekanntlich vieles: Stephan VI. seinerseits holte den bereits verwesenden Formosus aus seiner Gruft, liess ihn in päpstliche Gewänder kleiden – und setzte ihn auf den Thron.
Drei Tage lang dauerte der Prozess, in dem die Leiche förmlich angeklagt wurde. Drei Tage lang starrte Stephan VI. in die leeren Augenhöhlen seines Vorgängers. Am Ende wurde der tote Formosus für abgesetzt erklärt, womit auch gleich all seine zu Lebzeiten getätigten Amtshandlungen ihre Gültigkeit verloren.
Wie praktisch für Stephan VI, dessen Ernennung zum Bischof von Anagni nun gar nie stattgefunden hatte. Sein Problem war gelöst. Fortan sollte niemand mehr sagen dürfen, er trage den Titel des Pontifex Maximus nicht mit Recht.
Der vor sich hin rottende Formosus allerdings sah der Spiegelstrafe entgegen. All seine Vergehen sollten sichtbar, ja geradezu unmöglich gemacht werden. Man hackte ihm die zwei Schwurfinger ab, auf dass er nie wieder einen Eid breche. Man schlug ihm den Kopf ab, auf dass er nie wieder das Haupt der Kirche verkörpere. Des päpstlichen Ornats entledigt, nunmehr in gemeine Volkskleidung gehüllt, riss man den Toten vom Thron, schleifte ihn über die Schwelle des Petersdoms und verscharrte ihn auf dem Fremdenfriedhof – auf dass er für immer heimat- und schutzlos bleibe.
Das schien Stephan VI. aber noch nicht zu genügen. Kurze Zeit darauf liess er den geschundenen Leichnam Formosus' abermals exhumieren, um ihn dann im Tiber zu versenken. Diese würdelose Entledigung der Papstleiche hiess nicht Geringeres als die damnatio memoriae, die restlose Tilgung des Toten aus der Erinnerung der Lebenden.
Stephan VI. verhalf dies allerdings nicht zu einem langen, unbeschwerten Leben auf dem Papstthron. Im August 897 wurde er vom römischen Volk gestürzt. Denn, so glaubte es, der Zorn Gottes habe die Kuppel der Lateranbasilika zum Einsturz gebracht – als Rache für die schändliche Leichensynode. Man warf Stephan VI. ins Verlies, wo er bald darauf von zwei kräftigen Händen ins Jenseits gewürgt wurde.
Der faulige Formosus erschien indes einem Mönch im Traum, woraufhin dieser ihn sofort aus dem Tiber fischte. Theodor II., dem nur 20 Tage als Papst vergönnt waren, hob alle Beschlüsse der Leichensynode auf und liess die Leiche ehrenvoll bestatten.
«Endlich!», ist man da gewillt auszurufen. Nur macht sich sieben Jahre später ein neuer Papst an seinem Grab zu schaffen. Sergius III. – ein Parteigänger Stephans VI. – reisst die Überreste des armen Formosus aus der geweihten Erde, lässt ihm die drei übrig gebliebenen Finger der Schwurhand auch noch abtrennen und schmeisst ihn dann wieder in den Tiber.
Doch dieses Mal verheddert sich der Geschundene in einem Fischernetz.
Und wer weiss, vielleicht war es sogar Formosus selbst, der sich mit der Hand, die ihm noch blieb, am Netz festklammerte.
Schliesslich sollte auch er erfahren dürfen, was echte Totenruhe bedeutet. Aus seinem Grab in der Peterskirche hat ihn hernach niemand mehr ausgebuddelt.