Und plötzlich kam da ein Kind aus Päpstin Johanna raus
Im April des Jahres 858 stockte die Prozession plötzlich. In der schmalen Gasse, die vom Lateran zum Vatikan führte, blieben die Leute stehen. «Warum ging der Papst nicht weiter?», fragten sie sich und die Forschen unter ihnen stiessen die Männer vor ihnen zur Seite, um eine bessere Sicht zu haben.
Johannes VIII. schien von Schmerzen überwältigt worden zu sein, sein sonst so liebes Gesicht war ganz verzerrt. Er hielt sich den Bauch, und aus seiner Kehle drang ein spitzer Schrei.
Dann war alles still. Wie aus einem riesigen, ungläubigen Auge starrte die Menge auf den Pontifex. Und auf das, was zwischen seinen blutigen Gewändern am Boden lag.
Oder wie es Leopold von Wien ausdrückte:
Neun Monate lang war es ihr gelungen, diese schändliche Leibesfrucht unter den vielen Schichten der päpstlichen Kluft zu verbergen. Jetzt ist es aufgeflogen, das durchtriebene Weibsbild, das sich unerlaubterweise auf den Stuhl Petri geschlichen hatte. Die Wahrheit ist aus ihm herausgefallen wie ein schwer verdaulicher Klumpen.
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Kaum hatte der Mob begriffen, dass er gerade einer päpstlichen Niederkunft beigewohnt hatte, stürmte er auf die am Boden liegende Päpstin zu. Mit seinen vielen Fäusten prügelte er die Seele aus ihr heraus und trat ihr Kind so lange, bis da kein Gesichtlein mehr zu erkennen war.
Für zwei Jahre und sieben Monate war sie Päpstin gewesen. Wie war ihr das bloss gelungen?
Sie nannte sich Johannes Anglicus, als ihr Vater sie als jungen Mann verkleidet von Mainz nach Athen schickte, um ihr eine klerikale Ausbildung angedeihen zu lassen. Sie sog das ganze Wissen auf, und bald vermochte sie damit alle anderen zu überflügeln. Sie kam, noch immer in der Gewandung eines Mannes, nach Rom und gelangte auch in der Kurie schnell nach oben – so hoch gar, dass sie 855 als Nachfolger Papst Leos IV. auf dem Papstthron Platz nahm.
Und als hätte sie damit die göttliche Ordnung nicht schon genug geschändet, liess sie sich auf dem heiligen Stuhl auch noch von zahllosen Liebhabern begatten. So lange – bis ihr aus diesem sündigen Treiben ein Kind erwuchs.
Erklärt werden konnte eine solche Ungeheuerlichkeit einzig mit dem Teufel, der bei der Niederkunft ihres Kindes in der Luft schwebte und höhnisch lachend rief: «Papa, pater patrum, peretit papissa papellum!»
Zu Deutsch meinte er damit: «Der Papst, Vater der Väter, gebar als Päpstin ein Päpstlein!»
Fortan musste jeder neu gewählte Pontifex auf dem sella stercorata Platz nehmen, einem Kotstuhl mit Loch in der Sitzfläche, und sich von einem darunter kriechender Priester am päpstlichen Gemächt befingern lassen. Erspürte dieser die untrüglichen Zeichen der Männlichkeit, rief er «Habet!» («er hat es!») – und das frische Kirchenoberhaupt war legitimiert.
Die Vicus papessa, die Päpstinnengasse, in der Johannas Schande offenbar wurde, wurde künftig gemieden wie die Pest. Nie wieder sollten die heiligen Füsse einer Prozession auf diesem ehrlosen Boden wandeln.
Überlieferung der Legende
Die Figur Päpstin Johannas wird von der heutigen Geschichtswissenschaft als Legende angesehen. Es gebe kein reales historisches Vorbild für sie.
Überliefert ist die Legende seit dem 13. Jahrhundert, erst erscheint sie als namenlose Päpstin, die im 11. Jahrhundert gelebt haben soll (zu finden in der Chronica universalis Mettensis des Jean de Mailly und im Tractatus de diversis materiis predicabilibus des Stephan von Bourbon).
Der Dominkanermönch Martin von Troppau verlegte die Legende in seiner Chronik der Päpste und Kaiser ins 9. Jahrhundert und dichtete Johanna die Niederkunft während einer Prozession an. Alle späteren Erzählungen der Päpstin beziehen sich auf seinen Bericht.
Entstehungshypothesen
1. Die Legende der Päpstin Johanna könnte eine Satire sein auf den echten Papst Johannes VIII. (regierte von 872–882), der angeblich weibische Eigenschaften besass. Diese kamen angeblich besonders zur Geltung, als er sich im Streit mit dem byzantinischen Patriarchen weich und allzu kompromissbereit zeigte.
2. Die Legende der Päpstin Johanna könnte ihren Ursprung in der starken Frauengestalt der Marozia haben, der Mutter von Papst Johannes XI., der die eigentliche Macht hinter dem Papstthron nachgesagt wurde.
3. Die Gasse, in der Johanna ihre angebliche Sturzgeburt erlitt, heisst tatsächlich vicus Papessa, doch wurde sie nicht nach der Päpstin, sondern nach der dort residierenden Adelsfamilie Papes benannt. Ausserdem wurde sie nicht gemieden wegen Johannas Niederkunft, sondern weil sie für Prozessionen schlicht zu eng war. Die Inschrift P.P.P.P.P.P bezog sich auf das sich dort einst befindliche Heiligtum des Mithraskultes und bedeute demzufolge nicht Papa, pater patrum, peretit papissa papellum, sondern Petre, Pater Patrum, proprie pecunia prosuit. Also Petrus (geläufiger Name), Vater der Väter (Pater Patrum ist ein Titel eines Hohepriesters), stellte die notwendigen Mittel zur Verfügung (proprie pecunia prosuit). Die Inschrift enthüllte folglich nicht die Niederkunft einer Päpstin, sondern erinnerte bloss an die Weihung eines Mithraspriesters namens Petrus.
4. Die sella stercorata (Kotstuhl) gab es zwar, aber sie wurde nicht fürs Ertasten der pästlichen Hoden genutzt. Möglich, dass es sich dabei um ein missverstandenes Aufstiegsritual bei der Papstkrönung handelte: Dabei musste ein neugewählter Papst der Reihe nach auf verschiedenen Stühlen Platz nehmen, angefangen beim Kotstuhl.
UND JETZT SCHAUT DEN FILM!
Er heisst «Pope Joan» (2009), ist von Sönke Wortmann und basiert auf dem gleichnamigen historischen Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross.