Mittelalterliche Gerichtsverfahren muten dem heutigen Menschen gemeinhin etwas seltsam an, da zur Feststellung der Wahrheit einige ziemlich erbarmungslose Methoden angewandt wurden.
Gott, den man in jenen Zeiten besonders gern in irdische Angelegenheiten zu verstricken pflegte, musste in den sogenannten Gottesurteilen den Sieg der Gerechtigkeit garantieren. Der Sachsenspiegel (ab 1220 entstanden) – das älteste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters – führt aus, dass der Herr das Recht schütze, weil er selbst das Recht sei.
Dieser Vorstellung zufolge greift Gott eigenhändig in den Gerichtsprozess ein und sorgt beispielsweise bei der Feuerprobe dafür, dass der unschuldig Angeklagte sich beim barfüssigen Gang über sechs bis zwölf rotglühende Pflugschneiden nicht verletzt oder seine Wunden zumindest innert drei Tagen heilen. Eiterten die Verbrennungen, galt er als schuldig und wurde bestraft.
Mussten Frauen sich dieser Prozedur unterziehen, ging es meist darum zu ermitteln, ob sie sich ihre Jungfräulichkeit auch tatsächlich bewahrt – oder im Falle einer verheirateten Dame – keinen Ehebruch begangen hatten (Keuschheitsprobe).
Allmählich verschwanden die Gottesurteile, dafür begann sich die Folter ab dem 14. Jahrhundert als sehr effektive Form der Wahrheitsfindung immer grösserer Beliebtheit zu erfreuen.
Auch die Gerichtskämpfe wurden immer seltener, selbst wenn sie bis zur Renaissance ein akzeptierter Teil der Rechtstheorie und -praxis blieben. Sie gehörten ebenso zu den germanischen Erblasten und aus ihnen sollten sich später die unheilbringenden Duelle entwickeln, in denen im Namen der Ehre bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein massenweise getötet und gestorben wurde.
Der Gerichtskampf war ein Zweikampf, dessen Ziel – auch wenn er immer wieder zu verzeichnen war – nicht der Tod, sondern die Kampfunfähigkeit des Gegners war. Er wurde vorrangig zwischen Rittern und freien Bürgern ausgefochten, wenn ein Streit wegen fehlender Beweise unlösbar schien.
Natürlich war ein solcher Kampf im Grunde Sache der Männer, doch für eine Frau bestand die Möglichkeit, einen Ritter für ihr Anliegen antreten zu lassen. Generell konnte jeder, der es sich leisten konnte, einen solchen Lohnkämpfer – auch Champione oder Kämpen genannt – zahlen, damit dieser an seiner Stelle in den Ring trat.
Einer, der sich in diesem lukrativen Geschäft betätigte, war der deutsche Fechtmeister Hans Talhoffer. Und in seinem hübsch illustrierten Fechtbuch (1467) findet sich ein Kapitel, das sich auch mit dem Kampf Frau gegen Mann beschäftigt.
Nanu?
Es wird angenommen, dass es sich dabei um Ehekonflikte der besonders üblen Sorte handeln musste, denn für gewöhnlich liess eine Frau ihren Gatten für sich kämpfen – ausser eben er selbst war das Problem.
Der Fechtmeister gibt zwei in schönstem Frühneuhochdeutsch gehaltene Versionen des Kampfausgangs an, erst lässt er den Mann, dann die Frau gewinnen – ganz nach dem Motto:
Und nütze beim Verteidigen immer schön die Schwachstellen deines Angreifers aus ...
Nun denn, lasst den Kampf beginnen!
In einem wohltuend unschmeichelhaften Ganzkörperanzug steht sie da, während er sich – in selbigem steckend – in einer Grube befindet, die er auch während des Kampfes nicht verlassen darf, um auf diese Weise seine körperliche Überlegenheit auszugleichen. Hoch lebe die Chancengleichheit.
Ihre Waffe besteht aus einem in ein Tuch gewickelten Stein, während er einen gewöhnlichen Streitkolben führt. Als Frau blieb es ihr verwehrt, Waffen zu tragen, weshalb sie hier wohl mit jenem eher lausig improvisiertem Morgenstern oder Kriegsflegel Vorlieb nehmen musste.
Bei Talhoffer klingt das dann so:
«Da statt die frow fry vnd wyl schlahen vnd hatt ain stain In dem Sleer wigt vier oder finf pfund.
So statt er In der gruben bis an die waichin vnd ist der kold so lang als Ir der Schleeer von der hand.»
(Hier steht die Frau frei und will zuschlagen, sie hat einen Stein im Tuch, der vier oder fünf Pfund wiegt. Er steht bis zur Taille in einem Loch und sein Schläger ist so lang wie ihre Schlinge.)
«Hie hatt Sie ain schlag volbracht. Nun hatt er den schlag versetzt vnd gefangen vnd wyl Sie zu Im ziehen vnd noetten.»
(Hier hat sie einen Schlag ausgeführt. Nun hat er den Schlag abgelenkt und gefangen und will sie zu sich ziehen und überwältigen.)
«Da hatt er sie zu Im gezogen vnd vnder sich geworffen vnd wyl sie wuergen.»
(Hier hat er sie zu sich gezogen und sie niedergeworfen und will sie erwürgen.)
«Da hatt sie sich vsz Im gebrochen vnd vnderstatt Sie In zu wirgen.»
(Hier hat sie sich von ihm gelöst und versucht, ihn zu erwürgen.)
«Hie hatt sie In gebracht an den Rucken
vnd wyl In wirgen vnd ziehen vsz der grub.»
(Hier hat sie ihn auf den Rücken gelegt und möchte ihn erwürgen und aus dem Loch ziehen.)
«Da hatt er sie zu Im gezuckt vnd wuerfft sie In die gruben.»
(Hier hat er sie zu sich gezogen und sie ins Loch geworfen.)
Als die Frau kopfvoran im Loch des Mannes verschwindet, scheint der Kampf entschieden zu sein – er gewinnt!
Nun denn, auf in eine neue Runde!
«Als sie schlahen wyl So ist sie Im zu nach Tretten das er sie ergryfft by dem schenckel vnd wirt sie fellen.»
(Als sie zuschlagen will, kommt sie ihm zu nahe, sodass er ihr Bein packen kann und sie umwerfen wird.)
«So schlecht er sie Fuer die brust. Da hatt sie Im den schloeer vmb den hals geschlagen vnd wyl In wuergen.»
(Hier schlägt er ihr auf die Brust. Da hat sie den Schleier um seinen Hals gewickelt und will ihn erwürgen.)
«Da hatt sie In gefaszt by dem halsz vnd by sinem zug vnd wyl In vsz der gruben ziehen.»
(Hier hält sie sich am Hals und an seinem Glied fest und will ihn aus dem Loch ziehen.)
Dies nun ist eindeutig ein Sieg für die Frau!
Was danach geschieht, wissen wir nicht. Vielleicht war die Siegesbedingung für ihn, sie ins Loch hinein-, für sie dagegen, ihn aus dem Loch hinauszuziehen. Vielleicht aber prügelte der Sieger danach seinen Gegner noch ordentlich – eventuell bis ins Jenseits.