Es sind Gefühle, die alle kennen: Freude, Wut, Angst, Überraschung, Ekel oder Traurigkeit. Noch vor zwanzig Jahren untersuchten Psychologen diese Emotionen hauptsächlich indem sie ihre Versuchspersonen befragten und körperliche Reaktionen wie Herzschlag, Atemfrequenz und Gesichtsausdruck überwachten.
Doch seitdem hat sich die Emotionsforschung stark weiterentwickelt: Mit neuen Methoden wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) können Neurowissenschaftlerinnen nun analysieren, was im Hirn passiert, wenn sie in ihren Probanden verschiedene Gefühle wecken. Hierfür zeigen sie ihnen beispielsweise Fotos von traurigen und fröhlichen Gesichtern, lassen sie an Schokolade riechen oder spielen ihnen gruselige Filmszenen vor. Mit fMRI messen sie dabei die Durchblutung des Gehirns und stellen fest, welche Hirnregionen aktiviert wurden.
«So können wir jetzt objektive Messmethoden für Mechanismen entwickeln, die eigentlich subjektiv sind», sagt David Sander. «Das ist einer der Gründe, warum bildgebende Methoden im Gehirn so faszinierend sind.» Er ist Direktor des Schweizer Zentrums für Affektive Wissenschaften in Genf, das aus dem Nationalen Forschungsschwerpunkt «Affektive Wissenschaften» hervorgegangen ist (siehe Kasten «Einzigartig interdisziplinär»).
Natürlich sehen die Forschenden nicht direkt die Gefühle im Gehirn, aber sie können beobachten, dass verschiedene emotionale Prozesse unterschiedliche Hirnareale auf verschiedenartige Weise aktivieren. «Und das ist enorm nützlich», so Sander. Unter anderem stellten die Forschenden damit einige gängige Theorien der Emotionsforschung auf den Prüfstand: So galt etwa die Amygdala, eine mandelförmige Struktur im Zentrum des Gehirns, lange Zeit als Sitz der Angst. Diese Rolle haben die Studien zwar bestätigt – doch sie haben auch gezeigt, dass die Amygdala wichtig für die Verarbeitung von vielen anderen Emotionen ist, sowohl positiven wie negativen.
«Wir glauben mittlerweile, dass die Amygdala ganz allgemein dabei hilft, die Wichtigkeit von Situationen subjektiv zu bewerten», sagt Sander. Sie ist deshalb eine Schlüsselstruktur für das Auslösen und die Regulierung von Gefühlen, weit über die Angst hinaus.
Ebenfalls überraschend war die Erkenntnis, dass Gefühle nicht nur auf die sogenannten primitiveren Regionen des Gehirns Einfluss nehmen. «Früher dachten wir, es gibt einen Gegensatz zwischen Rationalität und Gefühlen», so Sander. «Aber jetzt wissen wir, dass auch Hirnareale, von denen wir dachten, sie seien nur für höhere kognitive Funktionen zuständig, stark von Emotionen beeinflusst werden.»
Das geschieht durchaus auch auf positive Weise, denn Emotionen helfen bei vielen persönlichen Entscheidungen. Für Sander ist klar: «Emotion und Kognition sind keinesfalls Gegensätze.»
Eine dieser höheren kognitiven Funktionen ist die Fähigkeit, eine gute Entscheidung zu treffen. Was dabei im Hirn abläuft, interessiert besonders die Forschenden der Neuroökonomie. Somit beginnt die Emotionsforschung auch gesellschaftliche Zusammenhänge besser verständlich zu machen. «Die Ökonomen haben beobachtet, dass sich Menschen beim Treffen von Risikoentscheidungen nicht entsprechend der Vorhersagen ihrer Finanzmodelle verhalten, also vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen irrational», sagt Kerstin Preuschoff, Professorin für Neuroökonomie an der Universität Genf. «Doch dann lieferte die Emotionsforschung die Erkenntnis, dass dieses Verhalten gar nicht so unverständlich ist, weil Emotionen bei der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle spielen.»
So konnte Preuschoff etwa mit Hilfe von fMRI-Studien zeigen, dass sich Konzepte aus der Finanzwelt wie Grundrisiko oder Erwartungswert in bestimmten Arealen des Gehirns widerspiegeln. «Unsere Forschung hat ganz klein angefangen bei der Entscheidungsfindung von Individuen, und mittlerweile sind wir bei sehr komplexen Entscheidungsprozessen auf Finanzmärkten angekommen», so Preuschoff.
Ein Ziel der Neuroökonomie sei letztlich, diese neuen Komponenten in das Berechnen von Finanzmodellen mit einzubeziehen. Sie räumt zwar ein, dass sich diese Forschung noch in einem frühen Stadium befindet, «doch wahrscheinlich kann man aus Hirnsignalen schon bald herauslesen, was das Ergebnis von Investitionsentscheidungen sein wird.»
Doch bis es soweit ist, muss die Technik, mit der Gefühle aus dem Gehirn abgelesen werden, noch weiter verbessert werden. «Die meiste Forschung verwendet noch indirekte Methoden, um Emotionen auszulösen», sagt zum Beispiel der Neurowissenschaftler Patrik Vuilleumier vom Schweizer Zentrum für Affektive Wissenschaften. So aktiviere beispielsweise das Betrachten eines fröhlichen Gesichts bestimmte Hirnregionen, ohne aber unbedingt ein wirkliches Gefühl der Freude zu wecken.
Deswegen entwickelt Vuilleumier ein neues Verfahren, bei dem seine Versuchspersonen mit Hilfe von VR-Brillen in eine virtuelle Welt versetzt werden, wo sie Aufgaben lösen und Abenteuer bestehen müssen. Durch diese Immersion lassen sich nach Ansicht von Vuilleumier nahezu natürliche Emotionen hervorrufen. Mit statistischen Methoden und fMRI-Analysen kann dann auswertet werden, welche Faktoren in den virtuellen Szenarien welche Aktivität im Gehirn auslösen.
Auch Psychologen nutzen mittlerweile die Erkenntnis, dass virtuelle Erlebnisse einen direkten Zugriff auf die Gefühlswelt ermöglichen. So testet etwa das Departement für Kognitive Neurowissenschaften der Universität Basel Smartphone- Apps mit Virtual oder Augmented Reality für die Therapie von Spinnenphobie und Höhenangst. Der Vorteil dabei ist, dass die Betroffenen zwar realitätsnah mit ihren Ängsten konfrontiert werden, die Situation aber trotzdem immer unter Kontrolle bleibt.
Die Emotionsforschung bietet auch neue Perspektiven für die Therapie von psychischen Krankheiten. Denn bei vielen dieser Störungen sind Hirnareale betroffen, die an der Verarbeitung von Gefühlen beteiligt sind. So gibt es bei manchen depressiven Menschen beispielsweise eine verminderte Rückkopplung zwischen der emotionsverarbeitenden Amygdala und kognitiven Hirnarealen.
«Wir haben in letzter Zeit ziemlich viele Fortschritte gemacht und verstehen nun besser, wie Störungen bei der Emotionsverarbeitung mit psychiatrischen Krankheiten zusammenhängen», sagt der Neurowissenschaftler Frank Scharnowski. «Aber ich sehe eine grosse Lücke bei der Übersetzung des neuen Wissens in neue gehirnbasierte Therapien.»
Einen solchen innovativen Therapieansatz – das sogenannte Neurofeedback – untersucht Scharnowski gerade an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und an der Universität Wien. Beim Neurofeedback-Training lernen Menschen, ganz gezielt bestimmte Hirnareale zu kontrollieren. Hierfür wird mit Hilfe von fMRI laufend die Hirnaktivität gemessen.
Gelingt es der Versuchsperson, das gewünschte Hirnareal – beispielsweise die Amygdala – zu regulieren, so erhält sie eine positive Rückmeldung. Scharnowski berichtet, dass die meisten gesunden Menschen diese Methode in nur wenigen Sitzungen erlernen und auch Patienten mit Depressionen oder Angststörungen davon profitieren können.
Die Ergebnisse von Scharnowski zeigen, dass Patienten mit psychiatrischen Krankheiten ihren Emotionen nicht willenlos ausgesetzt sind, sondern dass es durchaus Möglichkeiten gibt, die Kontrolle darüber zu erlernen. Im Normalfall allerdings ist dies gar nicht nötig, denn Gefühle liefern einen wertvollen Beitrag zu unserem Denken und Handeln.
Das sieht auch David Sander so: «Natürlich verhindern Gefühle manchmal gute Entscheidungen. Es gibt aber auch Situationen, wo Emotionen sogar notwendig sind, um die beste Entscheidung zu treffen.»