Die Schützin, die am 3. April im Hauptquartier von Youtube um sich schoss, mehrere Leute verletzte und sich dann das Leben nahm, ist ein krasser Einzelfall. Nur höchst selten sind es Frauen, die solche Taten begehen – von allen 97 «Mass-Shootings» in den USA zwischen 1982 und Februar 2018 sind es nur drei, in die weibliche Täter involviert waren.
Auch bei den in den USA so häufigen Schulmassakern war bisher nur eine einzige Frau unter den Tätern; die 16-jährige Brenda Spencer, die 1979 zwei Menschen in einer Schule in San Diego erschoss. Tatsächlich sind Amokläuferinnen derart deutlich die Ausnahme, dass sie besonderes Aufsehen erregen.
Kein Wunder, wenn man einen Blick auf die Kriminalstatistik wirft. In der Schweiz waren 2017 von allen 78'394 des Verstosses gegen das Strafgesetzbuch Beschuldigten nur 18'399 weiblich – das sind weniger als ein Viertel. Bei schweren Delikten wie Körperverletzung ist die männliche Dominanz noch ausgeprägter. Die durchschnittliche Geschlechterverteilung beträgt in Europa bei Körperverletzungsdelikten 1:13 bei den Tatverdächtigen und 1:14 bei den Verurteilten. Wegen dieses Delikts inhaftiert sind sogar 33-mal so viele Männer wie Frauen.
In den USA begehen Frauen lediglich zwischen 10 und 13 Prozent der Tötungsdelikte, und sie verwenden dazu seltener Schusswaffen als Männer – nur acht Prozent der Schützen bei Tötungsdelikten mit Schusswaffen sind weiblich. Dagegen sind es 40 Prozent bei Vergiftungen.
Was sind die Gründe für diesen eklatanten Unterschied in der Delinquenz der Geschlechter, wenn es um Massaker geht? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten – es gebe schlicht zu wenig Fälle, in denen die Täter weiblich sind, stellte der Psychologe James Garbarino 2015 gegenüber Livescience.com fest.
So bewegen sich mögliche Erklärungen eher im Bereich der Vermutungen und Hypothesen. Oft wird angeführt, Männer seien im Durchschnitt physisch stärker, es sei daher schwieriger, sie bei einem Amoklauf zu überwältigen. Es ist allerdings nicht einsichtig, weshalb allein dieser Umstand Frauen von solchen Taten abhalten sollte.
Andere Stimmen schieben die Schuld dem Testosteron zu: Ein höherer Pegel des männlichen Sexualhormons – was bei Männern üblicherweise der Fall ist – führe zu erhöhter Aggressivität. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass umgekehrt Gewalt zu einem höheren Testosteronspiegel führt. Das Hormon erzeuge nicht Aggression, sondern bereite den Körper darauf vor – und zwar bei beiden Geschlechtern.
Womöglich liegt der Unterschied in der Motivation, die Täter und Täterinnen zu ihren verheerenden Handlungen treibt. Männer scheinen eher ein Massaker zu veranstalten, um damit gewissermassen Macht zurückzugewinnen. Dies geschieht nach einer Phase, in der sie das Gefühl entwickeln, die Kontrolle über ihr Leben eingebüsst zu haben. Gewalt und Aggression – stereotypisch «männliche» Eigenschaften – stellen dann die Mittel dar, sich seiner männlichen Identität zu versichern.
Bei den wenigen Frauen, die ein Massaker verübten, scheint ebenfalls ein Bedürfnis vorhanden zu sein, Macht und Kontrolle zurückzugewinnen. Olga Hepnarová zum Beispiel, die 1973 in Prag mit einem Lastwagen absichtlich in eine Menschengruppe fuhr und acht Personen tötete, schrieb in einem Bekennerbrief:
Hepnarová litt unter psychischen Problemen und wurde gemobbt. Auch die amerikanische Serienmörderin Aileen Wuornos, die als Strassenprostituierte lebte und wahrscheinlich sieben Männer umbrachte, hatte eine Biografie voller Gewalt und Missbrauch hinter sich.
Ansonsten aber morden Frauen viel häufiger in ihrem unmittelbaren Umfeld – gewissermassen pragmatischer. Sie bringen zum Beispiel Männer um, die sie missbraucht oder misshandelt haben, oder die eine Gefahr für sie oder ihre Kinder darstellen. Sie töten Kinder, die sie vielleicht gar nie wollten oder die ihren Träumen im Weg stehen. Und natürlich morden auch Frauen – genau wie Männer – aus Eifersucht, Rache oder Habgier. Sie tun es einfach viel seltener.