Das Zahnfleisch blutet und bildet sichtbare Taschen. Die Zahnhälse liegen frei. Und dann strömen unappetitliche Gerüche aus dem Mund, sodass niemand mehr zum Küssen kommt. Wer Parodontitis hat, muss sich Sorgen machen. Und zwar nicht nur um sein Gebiss und seine Liebesbeziehungen. Sondern auch um sein Gehirn.
Es ist kurz, plump, unbeweglich und mag keinen Sauerstoff: Im bunten Reich der Bakterien wirkt Porphyromonas gingivalis nicht gerade wie ein Superstar. Doch zusammen mit anderen Keimen verursacht es die berüchtigte Erkrankung des Zahnhalteapparats, die marginale Parodontitis. Und von dort schafft es dieser Keim, wie jetzt ein Team um den US-amerikanischen Alzheimer-Forscher Stephen Dominy herausgefunden hat, auch ins Gehirn. Dort kann er ebenfalls gravierende Spuren hinterlassen.
Die Studie zeigte: In den Gehirnen verstorbener Alzheimer-Patienten gab es deutlich mehr genetische Spuren von P.gingivalis als in den Gehirnen einer Kontrollgruppe. Ausserdem hatte man bei fast jedem Demenzkranken so genannte Gingipaine entdeckt, die der Keim als Enzyme zum Aufspalten von Eiweissen bildet. «Dabei zeigte sich», so Dominy, «dass die Gehirne umso krankhafter verändert waren, je stärker sie mit den bakteriellen Enzymen belastet waren». Was allein schon den Verdacht erhärtete, dass es einen Zusammenhang von P.gingivalis und Alzheimer geben musste.
Als man daraufhin Mäuse mit dem Parodontitis-Erreger infizierte, zeigten sich in deren Gehirnen schon bald Veränderungen. So wirkten einerseits Gingipaine direkt giftig auf die Neuronen, andererseits antwortete das Immunsystem der Mäuse auf die Infektion auch mit der Produktion von antibiotisch wirksamen Amyloiden – also genau jenen Problem-Eiweissen, die man typischerweise im Gehirn von Alzheimer-Patienten findet.
Führt also Parodontitis in die Demenz? Robert Moir, Neuro-Wissenschafter vom Massachusetts Hospital in Boston, bleibt skeptisch: «Schon möglich, dass P.gingivalis zur Alzheimer beiträgt; doch es dürfte nicht die Ursache dafür sein.» So könne beispielsweise der Keim bei Alzheimer-Patienten leichter ins Gehirn gelangen, weil deren Mundhygiene und auch deren Blut-Hirn-Schranke schlechter funktioniere – und dann wäre die bakterielle Infektion im Gehirn eher eine Folge als eine Ursache der Erkrankung.
Wolf-Dieter Grimm, Zahnarzt und emeritierter Parodontologie-Professor der Universität Witten/Herdecke, kritisiert die einseitige Ausrichtung auf P.gingivalis: «Man geht mittlerweile davon aus, dass an der Parodontitis 600 bis 700 Bakterienarten beteiligt sind.» P.gingivalis sei zwar ein so genannter Leit-Keim, der relativ sicher die Erkrankung anzeigt. «Doch mit einem Anteil von maximal fünf Prozent ist es im bakteriellen Biofilm letzten Endes das Mitglied einer grossen Community, von der auch andere Mitglieder ein Krankheitspotenzial haben», betont Grimm.
Trotzdem besitzt P.gingivalis einige Eigenschaften, die es in besonderem Masse zum Krankheitserreger prädestinieren. Dazu gehört, dass es sich sehr effektiv vor dem Immunsystem des Menschen verstecken kann. Mikrobiologen sprechen in diesem Zusammenhang von einem Tarnkappenmechanismus, der es dem Erreger gestattet, unentdeckt und dadurch weitgehend ungestört im Körper seines Wirtes umherzustreifen.
Hinzu kommt, dass es weitflächig, also auf einem grossen Körper-Areal aktiv ist. Würde die Parodontitis nur einen kleinen Bereich betreffen, würde von dort auch kein sonderlicher «Entzündungsdruck» ausgehen. «Doch die Oberfläche des Zahnhalteapparats entspricht etwa zwei Handflächen», betont Grimm. «Da steckt viel Entzündungspotenzial drin, das sich auf andere Bereiche des Körpers niederschlagen kann».
So sei schon länger bekannt, dass sich P.gingivalis auf dem Blutweg auch auf den Herzklappen festsetzen kann. Und bei Diabetikern konnte man sogar schon therapeutische Zusammenhänge beobachten: Dass man also ihren Krankheitsverlauf günstig beeinflussen konnte, indem man ihre Parodontitis behandelte.
Gründe genug, diese Erkrankung ernst zu nehmen. «Doch sie wird noch massiv unterschätzt», betont Grimm. Oder auch ausgeblendet, weil man die angeblich schmerzhaften Operationen am Zahnhalteapparat fürchtet. Dabei gibt es mittlerweile auch minimal-invasive Behandlungsmethoden wie Pulverstrahlsysteme und die photodynamische Therapie.
Am besten wäre freilich, wenn es erst gar nicht zur Parodontitis kommt. Mit einer gründlichen Gebisshygiene, bei der auch die Zahnzwischenräume gereinigt werden, kann man schon einiges erreichen, doch gegen eine der wichtigsten Krankheitsursachen kann auch sie nichts ausrichten: Das Alter. «In einer Gesellschaft, die immer älter wird, muss man damit leben, dass es auch immer mehr Parodontitisfälle gibt», so Grimm. (aargauerzeitung.ch)