Das erklärte Zielt des Weltklimarats (IPCC) ist es, die Erderwärmung im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung auf «nur» 1,5 Grad einzudämmen. Um das zu erreichen, werden einschneidende Massnahmen benötigt:
Wie erreicht man dieses Ziel? Welche Massnahmen sind am effizientesten? Sollen wir alle nicht mehr Auto fahren? Oder in die Ferien fliegen? Oder gibt es andere, vielleicht nicht ganz so prominent diskutierte Massnahmen, die gar einen grösseren Einfluss haben?
Den Versuch einer Antwort gibt das Buch «Drawdown – der Plan: Wie wir die Erderwärmung umkehren können».
Autor Paul Hawken wälzte mit einem Team von 70 Leuten aus Forschung und Wissenschaft unzählige Studien. Mit den Resultaten und der Hilfe eines 120-köpfigen Beraterteams erstellte er eine Liste der 80 vielversprechendsten Massnahmen – und rechnete aus, wie viel CO2-Einsparpotential jede Massnahme im Zeitrahmen von 30 Jahren (zwischen 2020 und 2050) besitzt. Trotz des riesigen Aufwands hält Hawken fest: Potential für einen Zeitrahmen von 30 Jahren zu berechnen, kann nie akkurat sein. Sein Buch bleibt ein Versuch.
Trotzdem schlug es hohe Wellen und landete auf der «New York Times»-Bestsellerliste. Inspiriert von der CNN präsentieren wir nun die Top Ten und andere interessante Resultate in Form eines Ratequiz:
«Ich esse weniger Fleisch – der Umwelt zu liebe», dürfte einer der beliebtesten Sätze in diesem Jahr sein. Doch ist diese Massnahme tatsächlich auch effektiv?
Rund ein Drittel der weltweit produzierten Esswaren landen nicht in einem Magen. Deshalb sehen die Autoren von «Drawdown» die Reduktion von Essensabfällen als wichtigste Massnahme für den Klimaschutz im Bereich «Food» – und als drittwichtigste Massnahme grundsätzlich.
Schafft es die Menschheit bis 2050 50% weniger Essensabfälle zu produzieren, können damit – vor allem mit der damit verbundenen Verringerung von Abholzung – 70,53 Gigatonnen CO2 eingespart werden. 70,53 Gigatonnen? Ja, diese Menge entspricht:
Das Einsparpotential bei Essensabfällen ist auf sämtliche Glieder in der Produktionskette bis zum Konsumenten verteilt. Dieser Umstand erschwert grosse weitgreifende Massnahmen. Vielmehr braucht es ein Netz von vielen kleinen Optimierungen – und das wiederum verkompliziert die Sache.
Gleich hinter dem Foodwaste mit fast demselben Einsparpotential folgt «die bewusst pflanzliche Ernährung». Es ist die viertbeste Massnahme des gesamten Kataloges – und die wirkungsvollste für private Individuen.
Erreicht werden diese Einsparungen, wenn sich die Hälfte der Menschheit auf 2500 Kilokalorien pro Tag beschränkt und den Fleischkonsum verringert.
☝️ Ein US-Amerikaner nimmt heute durchschnittlich 3600 Kilokalorien pro Tag zu sich.
☝️ Wenn sämtliche Kühe dieser Welt einen Staat gründen würden, wäre Kuhland der drittgrösste Treibhausgas-Emittent der Welt.
Auch die Waldweide schaffte es in die Top Ten aller Massnahmen (9. Platz). Die optimierten Reiskulturen landen auf dem 24. Platz.
Spielen wir dasselbe Spielchen mit der Stromproduktion ...
Laut «Drawdown» hat Windenergie das grösste Potential. Windfarmen auf dem Land (Onshore) sind aufgrund einfacherer Bauweise effizienter und landen auf dem 2. Platz. Die sogenannte Offshore-Produktion erreicht den 22. Platz.
☝️ Mittlerweile existieren Windkraftwerke, die so gross sind, dass sie mit nur einer Umdrehung ein Einfamilienhaus für einen Tag mit Strom versorgen.
Bei der Solarenergie (Photovoltaik/PV) wird ebenfalls differenziert. Industrielle Grossanlagen, in der Regel am Boden installiert, haben enormes Potential (Nr. 8).
Auch kleine private Anlagen auf Hausdächern schaffen es noch knapp in die Top Ten (Nr. 10). Um diese Ziele zu erreichen, müssten Grossanlagen bis 2050 10% und kleine Dachanlagen 7% der weltweiten Stromproduktion übernehmen. 2017 betrug der Anteil von Photovoltaik an der gesamten Stromproduktion noch 2 Prozent.
Das Potential von Nuklearenergie (Nr. 20) und von Wellen- und Gezeitenkraftwerken (Nr. 29) liegt bereits um ein Vielfaches hinter demjenigen der Windenergie.
Von der öffentlichen Debatte beinahe ausgeschlossen sind neue Materialien und das Bauwesen. Zu Recht?
Und wieder ist es der Umgang mit einem Kühlmittel, der Probleme schafft: In den 70er-Jahren entdeckten Chemiker, dass die Kühlmittel FCKW und CFCKW, welche seit den 30ern in Kühlschränken eingesetzt wurden, die Ozonschicht zerstören. 1987 entschied die internationale Gemeinschaft mit dem Montreal-Protokoll, Massnahmen gegen die Verwendung von FCKW und CFCKW zu ergreifen – Massnahmen, die heute Früchte tragen. Das Ozonloch in der Nordhalbkugel soll sich in 20 Jahren geschlossen haben. Dasjenige der Südhalbkugel bis ins Jahr 2050.
Als Alternative für FCKW und CFCKW in Kühlschränken setzte man fortan auf FKWs – auf Fluorkohlenwasserstoffe. Diese haben kein Ozonabbaupotential – aber einen anderen nicht so erfreulichen Nebeneffekt: Sie wirken auf den Treibhauseffekt 100 bis 23'000 Mal so stark wie Kohlendioxid (CO2).
2016 beschlossen die Vertragspartner des Montreal-Protokolls, auch FKWs auf die schwarze Liste zu setzen. Man erhofft sich dadurch eine Verringerung der Klimaerwärmung um 0,5 Grad bis ins Jahr 2100. Damit ist der Umgang mit Kühlmittel überraschenderweise die bedeutendste Einzelmassnahme im Kampf gegen den Klimawandel und die Nummer eins auf der Liste.
Dafür braucht es aber massive Verbesserungen bei den chronisch undichten Kühl- und Klimaanlagen sowie beim Recycling alter Geräte. Das hat seinen Preis. 900 Milliarden Dollar müssen bis 2050 dafür aufgewendet werden.
Auf den ersten Blick ist das eine enorme Summe – doch es handelt sich dabei um gut angelegtes Geld. Eine Klimaerwärmung um zusätzliche 0,5 °C würde laut einer Studie der Stanford-Universität die Weltwirtschaft über 20 Billionen Dollar (das ist kein Übersetzungsfehler) kosten.
Im Vergleich dazu erscheint das Potential von alternativem Zement (Nr. 36), Bioplastik (Nr. 47) und Haushalts-Recycling (Nr. 55) als gering. Trotzdem können mit nur 9 Prozent alternativem Zement fast 8 Jahre der heutigen Flugbelastung kompensiert werden.
So. Jetzt geht es um den Sektor, der in der Schweiz am heissesten diskutiert wird: den Transportsektor.
Elektroautos erscheinen im Massnahmenkatalog zwar erst auf Position 26, das reicht aber immer noch, um die Kategorie zu gewinnen. Dafür sollten bis 2050 16 Prozent der weltweiten Autokilometer elektrisch bewältigt werden.
Schiffe dümpeln auf dem 32. Platz. Dafür müssen die Boote bis 2050 50 Prozent effizienter werden. Das scheint auf den ersten Blick realistisch, sind doch bereits heute einfache Massnahmen bekannt, die den Spritverbrauch um 30 Prozent senken (mit langsamerer Fahrt).
Verbesserungspotential bei den Lastwagen (Nr. 40) betrifft vor allem die Aerodynamik. Investitionen in ein ökonomischeres Gefährt können zwar schnell fünfstellige Summen kosten, diese amortisieren sich aber innerhalb von wenigen Jahren aufgrund des geringeren Spritverbrauchs. Nicht eingerechnet ist hier das Potential von Elektrolastwagen. Tesla und andere Firmen arbeiten bereits mit Hochdruck daran.
Ähnlich sieht es bei den Flugzeugen (Nr. 43) aus. Die Einsparmöglichkeiten beschränken sich auf verbesserte Aerodynamik und Treibstoffeffizienz. Alternative Antriebsmethoden, freiwilliger Verzicht aufs Fliegen und andere Phänomene kommen nicht zum Tragen.
Gerade noch so in die Top 80 schafft es die Eisenbahn (Nr. 66/74). Optimierungspotential gibt es vor allem bei der Elektrifizierung. Erstaunlich wenig Potential hat Carsharing (Nr. 75). Die Autoren rechnen mit einer bescheidenen Zunahme von zehn auf 15 Prozent.
Sehr aufmerksamen Usern wird nicht entgangen sein, dass wir drei Massnahmen aus den Top Ten noch nicht besprochen haben. Den fünften Rang nimmt die Wiederaufforstung des Regenwaldes ein. 3 Millionen Quadratkilometer kommen weltweit dafür in Frage. Sollte es bei 1,8 Millionen davon klappen, bedeutet das eine Reduktion von über 60 Gigatonnen CO2.
Mit demselben Wert landen «Bildung für Mädchen» und die «Familienplanung» auf dem sechsten Rang. Beide Massnahmen beeinflussen die Geburtenrate – und die wiederum den weltweiten CO2-Ausstoss.
Der Unterschied zwischen einer Frau ohne Schulbildung und einer mit einer zwölfjährigen Schulbildung beträgt im Durchschnitt zwischen vier und fünf Kindern. 130 Millionen Mädchen wird der Zugang zu einer Schule verweigert. In Sachen Familienplanung schocken Zahlen aus den USA: 2011 waren 45% aller Schwangerschaften unbeabsichtigt – 27% wurden danach als «später gewollt» taxiert. 18% verblieben «ungewollt».
Die Liste der gesamten 80 Bereiche mit dem grössten Einsparpotential wollen wir euch nicht vorenthalten – auch wenn einige Begriffe reichlich kryptisch sind. Wer sich genauer informieren will, dem sei das Buch empfohlen. Dort wird jede Massnahme auf ein paar Seiten erklärt, welche Annahmen getroffen wurden und wie die zu erwartende Kosten-Nutzen-Rechnung aussieht.
motiviert doch jeden sich sofort ein teures GA zu kaufen und auf den Öv umzusteigen und was für die Umwelt zu tun!