He Jiankui hat hohe Ziele. Er hoffe, so postete er es vor wenigen Wochen auf seinem X-Profil, dass die Menschheit ihn einst als einen «chinesischen Darwin» im Gedächtnis behalten werde. In den Schlagzeilen der Weltpresse war der Genforscher zuletzt eher als «Chinas Frankenstein» bekannt.
Unter welchem der beiden Titel He Jiankui in die Geschichte eingehen wird, ist derzeit nicht leicht vorherzusagen. Schon in der Gegenwart lässt sich schwer einordnen, was Chinas wohl berühmtesten Genforscher umtreibt. Er plant, so viel scheint sicher, nach schweren Rückschlägen ein Comeback. Er ist, auch das scheint verbürgt, seit Kurzem verheiratet. Und von seiner Frau, so sieht es aus, trennt ihn nun überraschend eine Landesgrenze, die beide vorerst nicht mehr überqueren können.
Aber der Reihe nach. He Jiankui, heute 41 Jahre alt, kam 2018 quasi über Nacht zu fragwürdigem Ruhm, als er öffentlich erklärte, ein präzedenzloses Experiment durchgeführt zu haben: Mittels Keimbahntherapie wollte er zwei menschliche Zwillingsembryos gegen HIV immunisiert haben.
Es war ein Eingriff, der aus guten Gründen nie zuvor durchgeführt worden war, weil er komplexe ethische und medizinische Fragen aufwirft. Die Keimbahntherapie greift tief in die Erbstruktur ein, sie löst Mutationen aus, die weitervererbt werden können. Das mag wünschenswert sein, wenn es vor Aidserkrankungen schützt. Aber auch jede unbeabsichtigte Genveränderung wird potenziell an folgende Generationen weitergegeben. Und ganz abgesehen von möglichen Folgeschäden experimentieren Wissenschaftler generell nicht an lebenden Embryos.
Nicht nur von internationalen Forschungskollegen wurde He heftig kritisiert. Sein Eingriff löste eine weltweite Mediendebatte über die Gefahren von «Designerbabys» aus, man prangerte He als skrupellosen Mediziner an, der sich aus Profilierungssucht über ethische Grenzen hinwegsetzt. In China landete er vor Gericht, 2019 verurteilte man ihn zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe. Als He damals hinter Gittern verschwand, schien es, als sei seine Karriere beendet.
Nach seiner Freilassung aber kündigte He mehrfach an, seine umstrittene Forschung fortsetzen zu wollen. In China allerdings wurde in der Zwischenzeit die Gesetzgebung zur Keimbahntherapie verschärft, nicht zuletzt als Reaktion auf den internationalen Aufschrei über Hes Experimente. Erschwerend kommt hinzu, dass der Genetiker in seiner Heimat inzwischen weitgehend isoliert ist, er gehört keiner Universität oder sonstigen Forschungseinrichtung mehr an.
Trotz all dieser Widrigkeiten aber meldete sich He in den vergangenen Monaten mit einer Welle englischsprachiger Posts auf seinem X-Account zurück. Auf Fotos posiert er dort meist in weisser Medizinerkluft, im Hintergrund sind die Innenräume eines privaten Forschungslabors zu erkennen. Alle paar Tage veröffentlichte er in diesem Stil zuletzt eine Mischung aus vollmundigen Ankündigungen («In zwei Jahren werde ich mit der Ausrottung von Alzheimer beginnen»), hochtrabenden Selbsteinschätzungen («Ich will der Vorreiter der Genomchirurgie für die ganze Welt sein») und philosophischen Einwürfen («Ethik behindert wissenschaftliche Innovationen und Fortschritt»).
The world owes me a Nobel prize. pic.twitter.com/xImkpUrVue
— Jiankui He (@Jiankui_He) May 25, 2025
Während erstaunte Beobachter dieses Tweet-Feuerwerks noch rätselten, ob He das wirklich alles ernst meinte, nahm seine Geschichte eine unerwartete Wendung. Mitte April gab der Forscher bekannt, dass er in Peking geheiratet hatte. Seine frischvermählte Frau ist in der Welt der Humanwissenschaften keine Unbekannte: Die 29-jährige Cathy Tie, eine chinesischstämmige Kanadierin, begann ihre ausnehmend steile Berufskarriere als Bioinformatikerin, bevor sie in der Risikokapitalszene des Silicon Valley von Peter Thiel entdeckt wurde. Der radikallibertäre Grossinvestor, ein Freund kontroverser Disruptionstechnologien, vergab eins seiner Förderstipendien an Tie, die damit ihr Gentest-Start-up Ranomics aufbaute – sie war damals noch keine 20 Jahre alt.
Tie setzt sich auf ihrem X-Profil mit ähnlicher Verve wie ihr Mann für eine Enttabuisierung genetischer Pionierforschung ein. Schnell mutmassten Kommentatoren, die beiden planten nicht nur die Gründung einer Familie, sondern verfolgten auch gemeinsame Forschungs- und Geschäftsinteressen. Als Indiz schien für diese Version zu sprechen, dass He Jiankui zwei Tage vor der Hochzeit per X-Post die Gründung einer neuen Firma bekannt gab. Ihr Name: Cathy Medicine. «Wir werden», schrieb He dazu, «mittels Keimbahntherapie Krankheiten in zukünftigen Generationen ausrotten.»
Noch bevor das junge Paar seine Zukunftspläne offenbaren konnte, nahm die Geschichte dann allerdings die nächste überraschende Wendung. Erst wenige Tage alt ist ein X-Post, in dem Cathy Tie publik macht, dass sie an der Einreise nach China gehindert wird, während man ihren Mann nicht aus der Volksrepublik ausreisen lässt. «Vielleicht werden wir uns nie wiedersehen», schreibt sie. «Ich mache mir Sorgen um meine Ehe, aber noch mehr Sorgen bereitet mir, was das für die Menschheit und die Zukunft der Wissenschaft bedeutet.»
I have left Manila with my dog and suitcases, not knowing where I'll be calling home next. Before coming, I had designed these custom wedding bands for my husband that I had hoped to surprise him with. Now I'm not sure if I will ever be able to give it to him. pic.twitter.com/9yE5fx3l92
— Cathy Tie (@CathyTie) May 22, 2025
Was war geschehen? Als ZEIT ONLINE sich mit der Bitte um Aufklärung an He Jiankui wendet, vergehen nur wenige Minuten, bis der Wissenschaftler per E-Mail antwortet – doch seine Replik ist knapp. «Ich kann keine Interviews geben», schreibt er nur, «aber Sie können mit meiner Frau Cathy Tie sprechen.»
Die meldet sich noch am selben Tag telefonisch aus der philippinischen Hauptstadt Manila. Sie sei, erzählt Tie, aus Los Angeles auf dem Rückweg nach Peking gewesen, nachdem sie in den USA ihre Wohnung aufgegeben und ihr Auto verkauft habe, um gemeinsam mit ihrem Mann ein neues Leben in China zu beginnen. Bei der Zwischenlandung in Manila habe ihr dann überraschend ein philippinischer Zollbeamter eröffnet, dass sie ihren Weiterflug nicht antreten könne. Auf Nachfrage habe man ihr erklärt, die chinesische Migrationsbehörde sei polizeilich angewiesen, sie nicht ins Land zu lassen. Ihr Mann wiederum, sagt Tie, könne China nicht verlassen, weil ihm seit seiner Verurteilung der Reisepass vorenthalten wird.
Warum man sie voneinander fernhalte? Sie kenne die Gründe nicht und wolle keine Vermutungen äussern, um die Sicherheit ihres Mannes nicht zu gefährden, sagt Tie. Sie wisse nur eins: Mit ihrem chinesischen Visum, das noch sieben Jahre gültig sei, sei sie vor einem Monat problemlos eingereist. «Seitdem hat sich an mir nichts verändert – ausser dass ich diesen Menschen in China geheiratet habe: Doktor He.»
Allerlei Gerüchte haben sich inzwischen unter den X-Posts der beiden Neuvermählten angesammelt – Gerüchte, denen Tie am Telefon vehement widerspricht. Weder manage sie den X-Account ihres Mannes, sagt sie, noch mache sie mit He Geschäfte – und ganz sicher sei sie auch keine CIA-Agentin.
Kennengelernt, erzählt Tie, habe sie He durch einen gemeinsamen Bekannten, der die beiden im Dezember 2023 einander vorstellte – in Wuhan, wo He damals ein Labor unterhielt. Ein Paar geworden seien sie erst im Januar dieses Jahres. «Einer der Gründe, warum ich mich in ihn verliebt habe, ist seine mutige Haltung», sagt Tie. «Besonders an einem Ort, an dem Mut nicht unbedingt mit Sicherheit einhergeht.»
Natürlich verbinde sie das Interesse an der umstrittenen Keimbahntherapie. «Es ist eine hochinnovative, weltverändernde Technologie», sagt Tie. «Wir möchten eine offene Diskussion darüber führen, damit diese Technologie vorangetrieben wird, statt sie zu unterbinden.» Ihren Mann habe sie dabei stets ermuntert, «über China hinauszudenken, zu überlegen, wie diese Technologie der gesamten Menschheit nützen kann».
Vieles an der Geschichte bleibt auch nach dem Gespräch mit Tie rätselhaft. Befürchtet man in China, dass He Jiankuis ebenso kontroverses wie potenziell bahnbrechendes Forschungswissen ins Ausland abfliessen könnte? In seinen X-Posts wirkte He oft bemüht, sich als chinesischen Patrioten darzustellen. «Mein Erfolg in der Wissenschaft», schrieb er im März, «ist grösstenteils China zuzuschreiben, wo global führende wissenschaftliche Durchbrüche gefördert werden.»
In den vergangenen Tagen aber schlug er zunehmend einen anderen Ton an. «Wenn die chinesische Regierung meine Frau nicht mit mir in Peking leben lässt, werde ich China verlassen und in den USA arbeiten», schrieb er etwa. Und wenig später, auf Chinesisch:
Cathy Tie ist inzwischen aus den Philippinen in die USA zurückgekehrt. Ihr letzter X-Post vor der Abreise aus Manila zeigt das Foto eines selbst entworfenen Eherings, mit dem sie bei der geplanten Ankunft in Peking ihren Mann überraschen wollte: eine edelsteinbesetzte DNA-Doppelhelix im Fingerformat. «Nun bin ich nicht sicher», schreibt Tie, «ob ich ihm den Ring jemals geben kann.»
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Thiel und Musk begnügen sich nicht mehr damit, sich zu bereichern, indem sie andere ins Elend stürzen: Sie wollen nun auch in das Erbgut der Menschheit eingreifen. Um unterwürfige, emotionslose Menschen zu schaffen?
Wahrscheinlich brauchen sie nicht einmal den Storch: Sie müssen sich nur ein Reagenzglas per Express senden und schon können sie ihr erstes gemeinsames Baby erschaffen - superintelligent, aber leider ohne Empathie.
Sicherlich ihr Ideal.