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«Nehme ich weniger Kalorien auf, wenn ich weniger kaue, Frau Brombach?»

Schlingen ist schlecht – ordentlich kauen lautet die Devise!
Schlingen ist schlecht – ordentlich kauen lautet die Devise!Bild: shutterstock
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«Nehme ich weniger Kalorien auf, wenn ich weniger kaue, Frau Brombach?»

Heute gibt es kaum ein Lebensmittel ohne entsprechende Kalorienangabe. Doch nimmt der Körper jeweils die gesamte Menge auf? Ernährungsexpertin Christine Brombach spricht im Interview über Enzyme, die wie Scheren arbeiten, und die Wichtigkeit des Kauens.
21.04.2015, 17:3922.04.2015, 11:43
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Mit unserem Kalorien-Quiz wollten wir testen, wie gut ihr euch mit Lebensmitteln auskennt. Watson-User «ratson» hat daraufhin den Spiess umgedreht und uns eine Frage zukommen lassen: Und zwar wollte er gerne wissen, ob der menschliche Organismus tatsächlich die Menge an Kalorien, die jeweils auf der Packung steht, aufnimmt. Wir danken für den Input – und liefern die Antwort in Form eines Interviews. 

Frau Brombach, nimmt unser Körper wirklich die Menge an Kalorien auf, die jeweils auf der Packung steht? 
Christine Brombach: Das lässt sich nicht so einfach und in einem Satz beantworten, da spielen eine ganze Menge von Faktoren eine Rolle.

«Man muss zwischen dem physikalischen und dem physiologischen Brennwert unterscheiden.»

Welche Zum Beispiel? 
Es geht damit los, dass auf den meisten Verpackungen der Brennwert des rohen Produktes steht. Beispielsweise Mehl, Nudeln oder Linsen – das sind alles Lebensmittel, die wir erst noch zubereiten müssen. Und dabei kann der Anteil der Energie, die wir aufnehmen, sinken oder steigen.

Wann steigt er? 
Wenn wir stärkehaltige Produkte – also Getreide, Hülsenfrüchte oder Kartoffeln – kochen, dann werden die Inhaltsstoffe des Lebensmittels aufgespalten. Das heisst, dass unser Körper diese besser aufnehmen kann. Würden wir die gleichen Produkte roh essen, würde unser Körper weniger Energie aufnehmen. Ausserdem muss man zwischen dem physikalischen und dem physiologischen Brennwert unterscheiden.

Christine Brombach ist Fachstellenleiterin am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Christine Brombach ist Fachstellenleiterin am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

Was hat es damit auf sich? 
Der physikalische Brennwert ist die Energie, die tatsächlich in einem Lebensmittel drinsteckt. Wenn unser Körper das Essen verdaut, verbraucht er aber gleich einen Teil dieser Energie. Er spaltet die einzelnen Bestandteile der Nahrung auf und verstoffwechselt diese. Dabei wird Energie aufgewendet, das nennt man Thermogenese. Deshalb wird uns auch warm, wenn wir etwas gegessen haben – Energie wird frei. Die Energie, die unser Körper am Ende tatsächlich aufnimmt, nennt man den physiologischen Brennwert.

Welches ist der Wert, der auf den Verpackungen steht? 
Dort steht meist der physiologische Brennwert – also die Energie, die wir tatsächlich aufnehmen. Aber die Zahlen in den Nährwerttabellen sind natürlich nur Mittelwerte. Denn wie viel Energie der menschliche Körper aus einem Lebensmittel tatsächlich aufnehmen kann, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Da spielt die individuelle Konstitution eine entscheidende Rolle.

Hängt die Aufnahme der Kalorien auch davon ab, wie gut wir kauen?
Absolut. Je länger wir das Essen zerkauen, umso besser ist es für die Verdauung vorbereitet. Die Enzyme, die die Nahrung im Darm weiterverarbeiten, kann man sich wie kleine Scheren vorstellen. Wenn dort nun aber beispielsweise ein ganzes Maiskorn ankommt, weil man nicht anständig gekaut hat, dann gibt es wenig Angriffsstellen für diese kleinen Scheren. Also wird das Maiskorn nicht richtig verarbeitet und der Körper kann die Inhaltsstoffe und damit auch die Energie nur unzureichend aufnehmen.

Wenn ich jetzt abnehmen will, kann ich also einfach schlechter kauen, damit mein Körper nicht zu viele Kalorien aufnimmt? 
Das ist keine gute Idee. Eigentlich ist es genau umgekehrt. Kauen ist extrem wichtig. Denn dabei speicheln wir die Nahrung ein, machen sie gleitfähiger und bereiten sie besser für die Verdauung vor. Ausserdem spielt es für das Sättigungsgefühl eine wichtige Rolle: Wenn wir ordentlich kauen, setzt im Hirn das Sättigungssignal früher ein. Dadurch wird verhindert, dass wir zu viel essen. Ausserdem fehlt der Genuss, wenn wir nicht richtig kauen.

Wie meinen Sie das? 
Wenn Sie beispielsweise einen Liter Cola in fünf Minuten trinken. Dann haben Sie sehr viele sogenannte «leere» Kalorien zu sich genommen, also ohne weitere Nährstoffe, der Körper registriert das jedoch nicht wirklich. Sie wären dann wahrscheinlich trotzdem hungrig und könnten noch etwas essen. Wenn Sie jedoch für die gleiche Menge an Kalorien Äpfel essen – das wären dann wohl ein paar Kilo – dann würden Sie sehr wohl merken, was Sie da an Energie aufgenommen haben, und Sie wären wohl auch satt. Das Kauen macht einen wichtigen Unterschied.

Was gibt es noch für Faktoren, die bei der Aufnahme von Kalorien eine Rolle spielen? 
Die Nährwertdichte spielt noch eine wichtige Rolle. Ein Vollkornbrot, welches viele Ballaststoffe enthält, hat beispielsweise weniger Energie pro 100 Gramm als ein entsprechendes Weissmehlprodukt. Der Körper muss beim Vollkornbrot erstens viel mehr Leistung erbringen, um das Lebensmittel in seine Einzelteile zu zerlegen, und zweitens sind weniger Kalorien enthalten, die der Körper aufnehmen kann.

Wer abnehmen möchte, sollte also immer lieber zum Vollkorn- statt zum Weissbrot greifen? 
Absolut. Man muss wie gesagt länger kauen, dadurch wird man schneller satt. Und da das Produkt für den Körper schwieriger zu entschlüsseln ist, ist der Körper auch länger damit beschäftigt. Der Blutzuckerspiegel steigt entsprechend langsam an und das Sättigungsgefühl bleibt länger bestehen. Beim Weissbrot ist es genau umgekehrt: Das Produkt enthält mehr Energie und der Körper kann die Nährstoffe schneller aufnehmen. Der Blutzuckerspiegel steigt schneller an, fällt dafür auch schneller wieder ab und der Hunger ist ruck, zuck wieder da.

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