Frau Wapf, wie verbreitet ist Homosexualität bei Tieren?
Pascale Wapf: Der Biologe Bruce Bagemihl forscht sehr viel in diesem Bereich. Er geht davon aus, dass
Homosexualität bei rund zehn Prozent der Tiere vorkommt.
Ist Homosexualität bei Tieren artenspezifisch? Kommt sie bei manchen Gattungen
häufiger vor als bei anderen?
Das ist eine schwierige Frage, denn einige Tierarten lassen sich in der freien Wildbahn
besser beobachten als andere. Gorillas zum Beispiel leben in Haremsverbänden, die von
einem Silberrückenmännchen angeführt werden. Innerhalb dieser Gruppen bestehen sehr
häufig innige Beziehungen zwischen den Weibchen.
Wie äussert sich dies?
Sie bilden Paare und leben innerhalb
dieser Paare auch eindeutig Sexualität. Die Weibchen lassen sich zwar vom Silberrücken
begatten. Es konnte aber festgestellt werden, dass ihre gleichgeschlechtlichen Kontakte
inniger sind. Der Sex unter den Weibchen dauert auch bedeutend länger und sie geben
dabei andere Laute von sich.
Gibt es andere Tiere, bei denen Homosexualität beobachtet werden konnte?
Bei Elefanten bilden sich Gruppen aus jungen Männchen.
Diese müssen die Mutterherde verlassen, während die weiblichen Tiere zeitlebens in der
Gruppe der Mutter bleiben. Es wurde beobachtet, dass die Männchen untereinander sehr
innige Kontakte pflegen, sich gegenseitig mit dem Rüssel in der Genitalregion stimulieren
und einander auch masturbieren. Bei weiblichen Elefanten wurden solche Kontakte nicht
beobachtet – was aber nicht heisst, dass sie nicht trotzdem vorkommen können. Dasselbe
Verhalten wie bei den männlichen Elefanten wurde auch bei männlichen Delfinschulen schon
mehrfach festgestellt.
Wie unterscheidet sich die tierische von der menschlichen Homosexualität?
In den Anfängen der zoologischen Forschung galt die Annahme, Sexualität ganz allgemein
erfülle lediglich den Zweck und die Pflicht der Fortpflanzung und Arterhaltung. Mit der Zeit
wurde aber die Erkenntnis gewonnen, dass es ganz viele verschiedene Formen gelebter
Sexualität im Tierreich gibt. Formen, bei denen eindeutig nicht die Fortpflanzung im
Vordergrund steht. Daraus zeichnet sich auch ab, dass Tiere sehr wohl in der Lage sind,
etwas zu empfinden beim Sex.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
So bauen sich etwa weibliche Orang Utans sogar Dildos und
betreiben damit Selbstbefriedigung. Ich wage zu sagen, dass sie dies tun, weil es ihnen Lust
bereitet. Bezüglich Homosexualität dürfte es sich gleich verhalten wie bei den Menschen: Es
scheint einfach Tiere zu geben, die das eigene Geschlecht und auch die damit verbundene
Sexualität bevorzugen.
Und inwiefern unterscheiden wir uns von den Tieren?
Was die Tierwelt eindeutig von uns Menschen unterscheidet, ist
der Umstand, dass Tiere niemals aufgrund ihrer sexuellen Präferenzen nachteilig behandelt
werden. Da könnten wir Menschen von den Tieren ganz viel lernen.
Erfüllt Homosexualität im Tierreich eine besondere Funktion? Eine andere Funktion
als bei den Menschen?
Mir ist nicht bekannt, welche Funktion Homosexualität grundsätzlich erfüllt. Sie scheint
einfach eine Demonstration der Vielfalt oder der Variation zu sein. Sie ist manifest, oder sie
ist es nicht – so wie es Links- oder Rechtshänder gibt. Oft gesagt wird allerdings, dass
homosexuelle Tiere als «Tanten» fungieren und bei der Aufzucht von Jungtieren helfen.
Ergeben sich für die Tierwelt Vor- oder Nachteile durch gleichgeschlechtlichen Sex?
Das einzelne Tier, das sich nicht fortpflanzt, gibt allenfalls seine Gene nicht weiter. Das
könnte als nachteilig erachtet werden. Sofern eine Tierart aber nicht von aussen bedroht
wird, zum Beispiel durch den Verlust von Lebensraum, verkraftet sie zehn Prozent
homosexueller Artgenossen sehr gut. Ein Vorteil könnte sein, dass für das homosexuelle
Einzeltier der Stress bezüglich der doch sehr anstrengenden Jungenaufzucht wegfällt. Was
aber längst nicht heisst, dass schwule oder lesbische Tiere keine Jungen haben oder haben
wollen – sie kriegen sie einfach nicht immer so einfach. Männliche Vogelpaare klauen
teilweise Eier und brüten sie dann aus, während sich lesbische Vogelpaare begatten lassen
und die Jungen dann gemeinsam aufziehen.
Gibt es homosexuelle Tierpaare, die zusammenbleiben?
Die vorhin erwähnten lesbischen Beziehungen unter Gorillaweibchen werden häufig ein
Leben lang geführt. Auch bei Vögeln wurde beobachtet, dass sie oft zeitlebens treu sind und
mit dem gleichen Partner leben. Im Zoo Bremerhaven zum Beispiel lebt ein schwules
Pinguinpaar. Dieses brütet, wenn man den beiden Männchen Eier unterlegt. Ob Tiere
paarweise leben oder nicht, kommt aber sehr auf die jeweilige Tierart an. Ein Tier, das in
einem Verband oder in einer Gruppe lebt, bildet selten Paarbeziehungen, wie wir Menschen
es tun. Ebenso bilden einzelgängerisch lebende Tiere nicht plötzlich Paarbeziehungen.
Bei welchen Tieren im Zoo Zürich wird zurzeit homosexuelles Verhalten beobachtet?
Bei den Gorillas wurde ein sehr inniger Kontakt zwischen zwei jungen Gorillaweibchen
festgestellt. Es gab auch einmal die Vermutung eines schwulen Königspinguinpaares, das ist
aber nicht mehr aktuell. Ansonsten sind derzeit keine weiteren offensichtlich homosexuellen
Paare vorhanden.
Liebe Zurückgebliebenen: Bitte druckt diesen Text aus und rahmt ihn ein. Und dann ab an die Schlafzimmerdecke damit.