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Lencapavir: Zwei Spritzen pro Jahr sollen zu 100% vor HIV schützen

Lab technician, Xolile Mhlanga, works with vials of lenacapavir, the new HIV prevention injectable drug, at the Desmond Tutu Health Foundation's Masiphumelele Research Site, in Cape Town, South A ...
Weltweit sind immer noch über 40 Millionen Menschen mit HIV-1 infiziert.Bild: keystone

Zwei Spritzen pro Jahr statt tägliche Pille – HIV-Prophylaxe als Hoffnungsschimmer

Gestern fand in München die internationale AIDS-Konferenz statt. Dabei wurde eine Studie zu einer bereits bekannten HIV-Prophylaxe vorgestellt. Die Studienergebnisse lösten im Publikum Applaus aus.
25.07.2024, 19:2825.07.2024, 19:30
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Vor über 40 Jahren brach in den USA die sogenannte AIDS-Epidemie aus und lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf den bislang wenig beachteten humanen Immunschwächevirus Typ 1, kurz HIV-1. Das erste Behandlungspräparat wurde 1987 in den Staaten zugelassen, seither arbeitet die Pharmaindustrie konstant an neuen und vor allem besseren Lösungen.

Nun ist dem US-Konzern Gilead mit dem neuen Vorbeugewirkstoff «Lencapavir» scheinbar der Durchbruch gelungen. Die Studienresultate, die Forscherin Linda-Gail Bekker an der AIDS-Konferenz in München vorstellte, sind fantastisch. Hier findest du alles, was du zum neuen Wirkstoff wissen musst:

Das sagt die Studie

Untersucht wurden insgesamt 5338 junge Frauen aus Südafrika und Uganda, die zu Studienbeginn allesamt HIV-negativ waren. Rund 2100 von ihnen erhielten die PreP (Präexpositionsprophylaxe) mit Lencapavir gespritzt, der Rest wurde in zwei Gruppen mit zwei bereits etablierten oralen PreP-Präparaten behandelt.

Nach einem Jahr wurden die Teilnehmerinnen erneut auf HIV getestet. Das Resultat: 55 hatten sich mit dem Virus angesteckt. Alle 55 Infizierten waren mit den oralen Präparaten behandelt worden. Die Infektionsraten dieser Testgruppen liegen mit 17 respektive 20 Infektionen auf 1000 Frauen somit nur geringfügig unter der «normalen» Hintergrund-Infektionsrate.

Allerdings hat sich keine Frau, die Lencapavir erhalten hatte, angesteckt. Die Schutzwirkung von Lencapavir würde demnach effektiv 100 Prozent betragen – ein wahrhafter Durchbruch.

So funktioniert der Stoff

Im Gegensatz zu bisherigen PreP-Behandlungen wird Lencapavir nicht oral, sondern als subkutane Injektion verabreicht. Gemäss dem schweizerischen Heilmittelinstitut werden allerdings auch hier zuerst Filmtabletten mit geringeren Dosen verabreicht, bevor unter die Bauchhaut gespritzt wird. Nach einem halben Jahr folgt dann die zweite Spritze, die notwendig ist, um die Wirksamkeit des Stoffs zu erhalten.

Und wie funktioniert Lencapavir jetzt? Schön, dass du fragst! Der Stoff wirkt als Inhibitor der HIV-1-Capsidfunktion. Das Capsid ist eine Proteinhülle, die das HIV-Erbgut umgibt. Als Inhibitor blockiert Lencapavir die Bindung von spezifischen Proteinen an das Capsid und verhindert somit, dass die HIV-DNA in den Zellkern aufgenommen wird. Zudem hemmt es den Virusaufbau und die -verbreitung.

Damit gehört Lencapavir zu den sogenannten Virostatika. Von dieser Gruppe von Wirkstoffen gibt es tatsächlich schon effiziente Varianten, wie die NZZ schreibt. Aber: Lencapavir ist noch effizienter und hat den gewaltigen Vorteil, dass er viel langsamer abgebaut wird. Etablierte PreP-Mittel müssen täglich als Tablette eingenommen werden – und hier reichen zwei Spritzen pro Jahr.

Aber ...

Natürlich gibt es einen Haken, und wie so oft bei neu entwickelten Medikamenten liegt der im Preis. Satte 40'000 US-Dollar kostet eine Jahresdosis Lencapavir in den USA. Vermögende Westler können sich den Wirkstoff vielleicht leisten, aber in den Gebieten, in denen sich besonders viele Menschen mit dem HIV-Virus anstecken (beispielsweise im südlichen Afrika), ist somit ein breiter Einsatz nicht möglich.

Aber (2.0): Der Pharmakologe Andrew Hill von der Universität Liverpool präsentierte an der HIV-Konferenz eine Hochrechnung, nach welcher sich der Preis theoretisch auf 40 Dollar für ein Generikum drücken liesse. Dies bedürfe aber, dass Patentbesitzerin Gilead mitspielen würde. Die Hoffnung stirbt ja zuletzt.

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