Eine lang gezogene Schnauze, nagelartige Zähne, eine insgesamt auffällige Kopfform: Koboldhaie wirken so geheimnisvoll wie gruselig. Die Nasenhaie, wie sie auch genannt werden, gehören zu den seltensten Haien der Welt. Ihr Lebensraum ist die Tiefsee, wo sie vereinzelt gesichtet werden.
Im Mittelmeer wurden Koboldhaie jedoch noch nie vermutet – bis zum Sommer 2020. Damals entdeckte Giannis Papadakis in Griechenland eine seltsam aussehende Kreatur, die an den Strand geschwemmt worden war. Papadakis, ein Hobbywissenschaftler, legte das Tier auf einen Stein und machte Fotos von seiner Entdeckung. Eine Gruppe von Forschern griff das Foto des sensationellen Fundes auf und veröffentlichte 2022 einen wissenschaftlichen Artikel darüber.
Der Artikel stellte gleich auf mehreren Ebenen einen Durchbruch dar: Er diente nicht nur als vermeintlicher Beleg für die Existenz von Koboldhaien im Mittelmeer, sondern bewies auch die zunehmende Bedeutung der sogenannten Citizen Science («Bürgerwissenschaft»), bei der interessierte Laien die Wissenschaftler beim Forschen unterstützen.
Ein absoluter Glücksgriff also – wenn da nicht andere Fachleute wären. Nach der Veröffentlichung des Artikels meldeten plötzlich immer mehr Experten Zweifel an der Echtheit der Entdeckung an. «Der sieht komisch aus», kommentierte etwa ein Sachbuchautor das Foto zum Fund. «Der Hai wirkt ungewöhnlich klein, ausserdem scheinen die Kiemen nicht offen zu sein. Das sieht überhaupt nicht natürlich aus.»
Goblin sharks are a super-cool deep sea species.
— Dr. David Shiffman (@WhySharksMatter) March 17, 2023
Someone published a "range extension," which means "scientists used to think this species lived here here and here, we found one over there." In this case, "over there" is the Med. Sea. https://t.co/FQHAO0EMW6 pic.twitter.com/KgTwwYicVC
Experten bemängelten ausserdem, dass allein das Laienfoto und eine knappe Beschreibung des Finders als Beweis herhalten soll. Sie kritisierten darüber hinaus, dass es keinerlei wissenschaftliche Untersuchung des Tieres gegeben habe. Eine Gruppe von Meeresbiologen schreibt in einer öffentlichen Stellungnahme: «Wir bezweifeln, dass es sich um ein natürliches Fundstück handelt.» Auf dem Foto weise das Tier keine Zähne auf, habe übermässig gerundete Flossen und eine zu geringe Anzahl an Kiemen. Das alles sei untypisch für Koboldhaie.
Anfang März äusserten schliesslich einige Forscher einen bizarren Verdacht: Eine Sammelfigur der Marke DeAgostini wies eine verblüffende Ähnlichkeit zum griechischen «Koboldhai» auf. Auf einem Screenshot war zu erkennen, dass das Spielzeug aus der Sammelreihe «Sharks & Co» dieselbe Anzahl an geschlossenen Kiemen, die gleichen abgerundeten Flossen sowie eine identisch aussehende Schnauze ohne Zähne hatte.
Die Autoren des Hai-Artikels ruderten zunächst nur ein wenig zurück: Sie korrigierten die geschätzte Länge des gefundenen Hais von rund 70 auf etwa 17 Zentimeter und vermuteten, dass es sich bei einem derart kleinen Tier um einen Embryo handeln könnte. Doch das halten andere Fachleute für ebenso unwahrscheinlich: «Ein Koboldhai-Embryo dieser Grösse ist nicht lebensfähig», so der deutsche Hai-Experte Jürgen Pollerspöck. Und auch ein bereits toter Hai-Embryo wäre wohl kaum in einem Stück an einen Strand gespült worden.
Angesichts des Gegenwindes aus den eigenen Reihen sahen sich die Autoren des Artikels gezwungen, ihre Arbeit zurückzuziehen. Der Fachartikel über den Koboldhai-Fund in Griechenland ist nicht mehr verfügbar. Ob es sich bei dem gefundenen Tier tatsächlich um ein Spielzeug handelt oder nicht, ist unklar. Die Argumente sprechen allerdings eindeutig gegen die wissenschaftliche Korrektheit des Artikels.
Und wie sieht es mit echten Koboldhaien im Mittelmeer aus? Ihre Existenz hält Pollerspöck zwar für unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. «Die Mittelmeerfischerei hat eine lange Tradition, und dass eine so grosse Fischart dort über all die Zeit nicht entdeckt wurde, wäre eine Riesenüberraschung.» Doch es könne sein, dass sich eine kleine Population in der Tiefe erfolgreich vor den Menschen verstecke.
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