12 Pferde und 23 Hunde hat der Veterinärdienst kürzlich bei einem Tierhalter im aargauischen Gränichen beschlagnahmt und abgeholt. Der Kanton führte mit Polizei und Tierschutz eine tierärztliche Kontrolle durch, weil der Mann zuvor 33 andere Pferde bei einem Bauern im Jura deponiert hatte, ohne für deren Unterhalt zu bezahlen.
Für diese Tiere gab es am vergangenen Samstag ein Happy-End: Sie konnten an neue Besitzer verkauft werden. Der Mann aus Gränichen ist verschuldet und offensichtlich nicht mehr in der Lage, seine Tiere zu versorgen. Auch jene in Gränichen nicht. Das hat sich bei der Kontrolle auf seinem Hof bestätigt. Die Tiere waren verwahrlost und es stand kaum Futter bereit.
Das ist kein Einzelfall. «Es kommt immer wieder vor, dass Menschen mit ihren Tieren überfordert sind und wir aufgrund von Meldungen aus dem Umfeld einschreiten müssen», sagt die Aargauer Kantonstierärztin Erika Wunderlin. Grund seien einerseits finanzielle Probleme: Weil das Geld für die Kastration der Hunde fehlt, ist bald das Wohnzimmer voller Welpen, für die wiederum das Geld für Futter fehlt sowie Zeit für Pflege. Das ist ein Beispiel von vielen. Ein weiterer Grund sind psychische und soziale Probleme: Wer Partner oder Job verliert, sucht Trost bei Tieren, genauso bei Alkoholsucht oder Depressionen.
Oft werden aus einem Tier schnell mehrere. Im schlimmsten Fall artet das in Tiersammelsucht («Animal Hoarding») aus – ein Problem, das sich in der Statistik zeigt: 2014 wurden im Aargau total 85 Tiere beschlagnahmt, die sich auf nur eine Handvoll Fälle verteilen. 48 Tiere holte der Veterinärdienst bei einer einzelnen Person ab.
Kontrollen in Fällen von Tiersammelsucht sind für den Veterinärdienst eine grosse Herausforderung und oft eine traurige Arbeit. Die Mitarbeiter stossen immer wieder auf verwahrloste, abgemagerte und kranke Tiere, die sofort ärztlich versorgt werden müssen. Betroffen sind vor allem Hunde, Katzen und Vögel. Manchmal liegen tote Tiere zwischen lebenden Artgenossen. Warum merkt der Besitzer das nicht? «Wer an Tiersammelsucht leidet, verliert den Überblick», sagt Erika Wunderlin. «Wenn uns bei einer Kontrolle der Tierhalter erzählt, er besitze 12 Katzen, können es in der Realität über 40 sein, die sich weiter vermehren. Der Besitzer merkt das nicht mehr.» Das Problem der Tiersammelsucht nimmt laut Erika Wunderlin zu. Wie gross die Dunkelziffer ist, weiss niemand.
Denn wer krankhaft Tiere sammelt, lebt isoliert. Meist sind die Fenster ständig geschlossen – wie in einem Fall in Oftringen: Dort rettete der Veterinärdienst mehrere Dutzend Katzen aus einem Haus. Bemerkt wurden die Tiere nur, weil ein Fenster offen stand, jemand daran vorbeiging und das Ausmass dem Veterinärdienst meldete.
Weil die betroffenen Tierhalter bei einer Kontrolle des Veterinärdienstes Hilfe oft vehement ablehnen, wird grundsätzlich die Polizei aufgeboten. Ein Arzt stösst dazu, wenn der Tierhalter in schlechter psychischer Verfassung ist. «Unsere Aufgabe ist das Wohl der Tiere. In einem zweiten Schritt müssen jedoch die Menschen aufgefangen werden, weil wir ihnen im schlimmsten Fall alles nehmen müssen, was sie noch besitzen», sagt Erika Wunderlin. «Oft brauchen wir deshalb psychiatrische Unterstützung.»
Zudem sei in der Regel jemand von der Gemeinde dabei, um die Rechte des Tierhalters zu vertreten. Denn oft merken Menschen mit Tiersammelsucht gar nicht, dass es ein Problem gibt. «Das sind doch alle meine Schätzeli», sagte eine Frau vor Gericht, nachdem der Veterinärdienst über 300 Vögel aus ihrer Vierzimmerwohnung geholt hatte. Das Beispiel zeigt für Erika Wunderlin zudem exemplarisch: «Solche Menschen wollen ihrem Tier nichts Schlechtes. Sie brauchen Hilfe.»
Zurück zum Fall des Gränicher Pferdezüchters. Ist auch er der Tiersammelsucht verfallen? Beim Veterinärdienst sieht man Anzeichen dafür. «Zwar sind hier in erster Linie finanzielle Probleme die Ursache, dass er seine Tiere nicht mehr richtig versorgen konnte», sagt Erika Wunderlin. «Die grosse Zahl von 23 Hunden auf dem Hof in Gränichen deutet jedoch auf einen Tiersammler hin. Hätten wir nicht eingegriffen, wären es in einem halben Jahr vielleicht 40 Hunde oder mehr gewesen.»