Herpes, das sind doch diese kleinen, lästigen Lippenbläschen. Doch die Herpesviren-Familie ist viel grösser und tötet sogar Elefanten. Im Zoo Zürich ist zuerst der zweijährige Jungbulle Umesh und Anfang Woche die Elefantenkuh Omysha an einer Infektion mit dem «Elephant Endotheliotropic Herpes Virus Haemorrhagic Disease» (EEHV-HD) gestorben. Omysha hatte weder auf die Behandlung mit antiviralen Medikamenten noch auf Bluttransfusionen angesprochen. Das Virus EEHV-HD kann innere Blutungen und Organversagen verursachen.
Wie das Virus übertragen wird, ist noch nicht ganz klar. «Wahrscheinlich springt das Virus aber von Elefant zu Elefant», sagt Pascal Marty, Kurator am Zoo Zürich. Ungeklärt ist auch, wie das Herpesvirus in freier Wildbahn kursiert. Die Forschung an Wildtieren sei noch nicht sehr weit fortgeschritten, sagt Marty.
Das bestätigt der Virologe Cornel Fraefel, Direktor des Virologischen Instituts an der Universität Zürich:
Man geht davon aus, dass alle Elefanten Virusträger sind, nicht nur im Zoo Zürich, sondern auch in anderen Zoos und in der Wildnis. Es zeigt sich dabei, dass die Krankheit vor allem bei jungen Elefanten ausbricht. Jüngere Elefanten haben wohl noch weniger Antikörper gegen EEHV-D entwickelt, sagt Marty. «Diese müssen sie erst durch wiederholten Kontakt mit dem Virus aufbauen.» Bei älteren Tieren wird dank der Antikörper ein Krankheitsausbruch eher verhindert.
Coronaviren sind vom Tier auf den Menschen übersprungen. Das ist beim Elefanten-Herpesvirus nicht zu erwarten. «Herpesviren sind sehr wirtsspezifisch», sagt der Virologe Fraefel. Haben sie sich einmal auf eine Art von Wirt festgelegt, bleiben sie dieser treu. «Diese Wirtsspezifität hängt vom Zellrezeptor ab, den das Virus für den Zelleintritt verwendet.» Neben dem Zelleintrittsrezeptor gibt es aber auch intrazelluläre Faktoren, also bestimmte Enzyme und andere Proteine, die für diese Festlegung auf einen Wirt eines Herpesvirus eine Rolle spielen.
Von der grossen Herpesviren-Familie mit etwa 200 bekannten Mitgliedern haben sich neun Viren den Menschen als Wirt ausgesucht. Die bekannteste Erkrankung daraus ist der anfangs genannte Lippenherpes, der das «Herpes simplex-Virus Typ 1» verursacht. Dazu kommen aber weitaus gefährlichere Herpesviren wie das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das Gürtelrose auslöst, oder das Epstein-Barr-Virus, das bei einer Infektion Pfeiffersches Drüsenfieber bewirken kann. Daneben gehören zu den durch Herpesviren ausgelösten Krankheiten auch Genitalherpes, Windpocken und verschiedene Krebserkrankungen.
«Bei den humanen Herpesviren erfolgt die Übertragung durch engen Kontakt, Tröpfcheninfektionen, Schmierinfektionen, Geburt, Küssen, Sex und Ähnlichen», erklärt der Direktor des Virologischen Instituts. Es braucht am Ort der Übertragung infizierbare Zellen, welche den korrekten Zelleintrittsrezeptor oder die korrekten Zelleintrittsrezeptoren besitzen. Nach dem Virologen Cornel Fraefel verwenden die meisten Herpesviren einen Rezeptor und einen Ko-Rezeptor.
Seit Millionen Jahren begleiten Herpesviren den Menschen und die haben sich dementsprechend gut an unseren Körper angepasst. So wollen sie, einmal drin, diesen auch das ganze Leben lang nicht mehr verlassen. Jeder erwachsene Mensch trägt eines oder mehrere der neun humanen Herpesviren in sich. Das muss sich nicht mit einer Krankheit zeigen. Eine Erstinfektion bleibt oft unerkannt, also asymptomatisch.
Die Herpesviren verharren dabei in einem Zustand der Latenz. «Die Latenz ist für viele Viren eine Strategie, um sich über längere Zeit in einem Wirt aufhalten zu können, ohne vom Immunsystem entdeckt und eliminiert zu werden», sagt Cornel Fraefel. Damit erhöhen die Viren die Chance, einen neuen Wirt zu finden - von der gleichen Art, also von Mensch zu Mensch oder Elefant zu Elefant. Während der Latenz werden je nach Herpesvirus keine oder wenige virale Proteine hergestellt. Bei Lippenherpes-Viren und Varizella-Zoster-Viren zum Beispiel keine, nur wenige beim Epstein-Barr-Virus. «Damit verstecken sich die Viren vor dem Immunsystem», sagt der Virologe.
Der Ort der Latenz ist von Herpesvirus zu Herpesvirus verschieden: Die Lippenherpes-Viren zum Beispiel stecken während der Latenz in den Ganglien von sensorischen Neuronen. Ganglien sind Ansammlungen von Nervenzellkörpern.
Das Epstein-Barr-Virus verharrt in B-Lymphozyten. Bei Varizella-Zoster-Viren erfolgt die Latenz in den Nervenwurzeln des Rückenmarks, den Spinalganglien sowie in den Ganglien der Hirnnerven. Die Reaktivierung dieses Virus in diesen Geweben führt dann zur Gürtelrose. «Die Viren verstecken sich nicht nur, indem sie wenige bis keine viralen Gene ausdrücken, sie verharren auch in Geweben, die ?immunprivilegiert? sind», sagt Fraefel. Das heisst in Geweben, die nicht durch eine Immunreaktion zerstört werden können.
Genau diese Latenz ist das Problem bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Herpesviren, wie Fraefel erklärt. Eine Impfung macht man vorbeugend. Weil die Infektion mit vielen Herpesviren aber bereits im Kindesalter erfolgt und die Viren dann ein Leben lang erhalten bleiben, macht das eine Impfung schwierig. Nur gegen die Gürtelrosen-Herpesviren gibt es bis heute eine Impfung. «Dennoch ist es denkbar, dass ausser der VZV-Gürtelrosen-Impfung in Zukunft weitere Impfstoffe gegen andere Herpesviren entwickelt werden», sagt Fraefel.
Bei Nutz- und Haustieren gibt es bereits Impfstoffe gegen mehrere verschiedene Herpesviren. Zum Beispiel gegen Bovine Herpesviren, Pseudorabies Virus sowie Equines Herpesvirus 1. «Diese verhindern zwar keine Infektion und keine Latenz, reduzieren aber die Symptome», sagt der Direktor des Virologischen Instituts der Universität Zürich, Cornel Fraefel. Für einige Herpesviren gebe es zudem wirksame antivirale Mittel.
Gegen das Elefanten-Herpesvirus EEHV-D gibt es noch keine Impfung. «Es wird aber daran geforscht und wir hoffen, dass bald eine Impfung auf den Markt kommt», sagt Pascal Marty vom Zoo Zürich. Zur Zeit wird die Leiche der Elefantenkuh Omysha von Pathologen im Tierspital Zürich untersucht, um daraus Erkenntnisse zum rätselhaften Herpesvirus zu gewinnen. (bzbasel.ch)