Karl Dall ist ein Profi. Der Berufs-Spassmacher weiss sogar in solch heiklen Situationen wie der Einvernahme vor dem Bezirksgericht Zürich, wie viel Show es verträgt. Schon seine erste Antwort auf die Frage nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen des Vorsitzenden Roger Weber am Bezirksgericht Zürich ironisiert er, um das Publikum auf seine Seite zu bringen. «Nun, ich bin ein grosser deutscher Showstar und das seit 20 Jahren», sagte Dall. Um sich hernach lang und breit darüber auszulassen, wie viele Engagements ihm wegen der Vergewaltigungsanzeige der «Glückspost»-Journalistin S. entgangen sind.
Als jährliches Einkommen gibt er 80'000 Euro an. Und zehn kleine Wohnungen habe er auch noch, von den Mieteinnahmen wohne er dafür in einer schönen grossen Wohnung. Medikamente nehme er jede Menge, sagt Dall. Blutverdünner, Blutdrucksenker und weitere mehr, etwa zehn jeden Tag. Dann kuckt er den Gerichtspräsidenten pflichtschuldig an und sagt: «Die Hälfte habe ich heute auch schon genommen.»
Dall schilderte die Ereignisse der entscheidenden Nacht aus seiner Sicht präzise wieder so, wie er es gegenüber der Polizei und der Staatsanwaltschaft schon getan hatte. Er habe wohl nach einem Interview mit der Journalistin einen ein wenig zu schlüpfrigen Email-Kontakt angefangen, diese dann getroffen und nach der «Aeschbacher»-Aufzeichnung vom 5. September 2013 in sein Zimmer eingeladen, um die Sendung zu kucken. Danach sei man zusammen ins Casino gefahren, wo er drei Stunden lang geblieben sei, um sie loszuwerden, aber sie sei nicht gegangen und danach habe er sie ins Zimmer hochgenommen, weil sie über dem Steuer zusammengebrochen sei und gesagt habe, sie könne nicht mehr fahren.
Dann habe sie ihn abwechselnd liebkost und beschimpft, bis es ihm schliesslich gelungen sei, sie loszuwerden. Dazu sei halt leider nötig gewesen, Geschlechtsverkehr zuzugeben, den es nicht gegeben habe.
Seine Gespielin S. hat diese Geständnisse zum Leidwesen Dalls auf Band aufgenommen und haut ihm die jetzt um die Ohren. «Auch wenn du sagen magst, der alte Mann ist impotent, ich fand den Sex mit dir sehr schön. Du warst mein erster Rückfall, ich hatte das Thema eigentlich mit 72 abgeschlossen», sagt Dall auf der Aufnahme mit ruhiger Stimme in Anspielung auf eine Prostata-Operation.
Ob die heimlich gemachten Tonbandaufnahmen als Beweismittel vor Bezirksgericht zugelassen werden, ist einerlei. Denn die Anklage fiel heute Morgen während der Einvernahme des angeblichen Opfers in sich zusammen, dessen Unglaubwürdigkeit kaum mehr steigerungsfähig ist.
S. ist zweifach vorbestraft, weil sie Adolf Ogi und Urs Schwaller gestalkt hat. Ein weiterer Nationalrat hat ein Verfahren gegen sie einstellen lassen und auch Udo Jürgens musste wegen ihr die Polizei einschalten. Vorsitzender Weber demonstrierte anhand der Causa Jürgens die blühende Fantasie von S. Ruhig liess er sie ausführen, was das für ein Leben gewesen sei, damals mit «dem Udo». Als er sie darauf hinwies, dass es laut Udo Jürgens nur zweimal zu Geschlechtsverkehr gekommen sei, protestierte sie: «Nein, also das war sicher viel mehr. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie er so etwas sagen kann.»
Danach zerpflückte Weber sowohl ihre Darstellung der angeblichen Tatnacht als auch diejenige der Geschehnisse im Nachgang an die fragliche Nacht. Schwer war das nicht.
So nahm S. einen Kollegen mit, dem sie ein Hotelzimmer nebenan mietete und 100 Franken gab. Um ein Uhr morgens schrieb sie dem Kollegen, dass dieser bis sieben Uhr nicht mit ihr rechnen solle. Sie hatte also vor bei Dall zu bleiben und den Mann angeheuert, um jemanden in der Nähe zu haben, falls etwas passieren sollte.
Sie hatte Dalls Kleidung fotografiert und nach der Abreise Dalls angefangen, seine Tochter telefonisch zu belästigen, als dieser zu keiner Geldzahlung bereit war. All dies bezeichnete der Richter als eher wütende und berechnende Handlungen. Diejenigen eines verzweifelten Vergewaltigungsopfers sehen vermutlich tatsächlich anders aus.
Nebst weiteren Ungereimtheiten zitierte Weber kurz vor Mittag noch aus einem psychiatrischen Gutachten, das anlässlich eines der früheren Strafverfahren erstellt worden war. Diagnose: «Obsessionelle Zwangsstörung mit Angstzuständen nach narzisstischen Kränkungen» und «Erotomane Wahnsymptomatik».
Vom ganzen Email-Verkehr, den Dall und S. vor dem verhängnisvollen Treffen führten, hat sie alles gelöscht. Bis auf die eine Mail, die er ihr schrieb: «Nachdem heute morgen deine ersten geilen Mails eingetroffen waren, hab ich gewichst und an dich gedacht und vorhin nochmal.»
Die Mail und Dalls Verhalten in der fraglichen Nacht zeigen, dass er die Frau nicht so sehr loswerden wollte, wie er jetzt sagt. Aber das zuzugeben, würde Strafen einer Instanz nach sich ziehen, die der seit 47 Jahren glücklich verheiratete Dall offenbar mehr fürchtet als das Bezirksgericht Zürich.
Dall ist wohl sündig, aber bestimmt nicht schuldig.