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«Die Situation ist ernst»: Starker Franken gefährdet zehntausende Arbeitsplätze

Wie wird die Nationalbank in den nächsten Tagen entscheiden?
Wie wird die Nationalbank in den nächsten Tagen entscheiden?Bild: KEYSTONE

«Die Situation ist ernst»: Starker Franken gefährdet zehntausende Arbeitsplätze

14.06.2015, 04:2514.06.2015, 09:14
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Wenige Tage vor ihrer nächsten geldpolitischen Lagebeurteilung sind alle Blicke auf die Schweizerische Nationalbank gerichtet. Bei anhaltender Frankenstärke nach dem Ende der Euro-Untergrenze rechnet Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt mit dem Verlust von 30'000 Jobs.

Gemäss Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt sind die Bestellungen von vielen Schweizer Firmen eingebrochen. 
Gemäss Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt sind die Bestellungen von vielen Schweizer Firmen eingebrochen. Bild: KEYSTONE

Der Arbeitgeberverband gehe für die nächsten sechs bis neun Monate von einem Verlust von 30'000 Stellen aus, wenn der Kurs zum Euro bei 1.05 Franken bleibe, sagte Vogt der «NZZ am Sonntag». Die Arbeitslosenquote sieht er Ende Jahr bei 3,6 bis 4 Prozent. Das ist etwas mehr als das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) erwartet.

Vogt begründet seine Prognose mit Rückmeldungen aus der Wirtschaft. Er höre von vielen Firmen, dass die Bestellungen um 10 bis 15 Prozent eingebrochen seien – darunter befänden sich vor allem auch Firmen aus Branchen, die als gute Konjunkturindikatoren gelten.

Exporteinbruch wie noch nie

Unter anderem auch die Pharma-, Chemie- und Nahrungsmittelindustrie, sonst verlässliche Wachstumstreiber, müssen derzeit mit Export-Einbrüchen umgehen, wie Branchenvertreter der «Sonntagszeitung» sagten. Die Abwärtsbewegungen bei den Exporten seien noch nie so stark gewesen, teilte die Eidgenössische Zollverwaltung mit.

«Die Situation ist ernst», sagte auch Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH. Der Franken sei nach wie vor überbewertet. Er vermute, die Nationalbank habe nicht damit gerechnet, dass er so lange so stark bleibe, sagte der Ökonom im Interview mit der «Schweiz am Sonntag». Daher seien die Sorgen der Industrie verständlich.

Jan-Egbert Sturm, Leiter der KOF sieht ebenfalls viele Jobs in Gefahr. 
Jan-Egbert Sturm, Leiter der KOF sieht ebenfalls viele Jobs in Gefahr. Bild: KEYSTONE

Aufgrund der KOF-Prognosen rechnet Sturm ebenfalls mit einem Verlust von zehntausenden Stellen: Ende Jahr dürften es 40'000 weniger sein als mit dem Mindestkurs zu erwarten gewesen wären, sagte er. Zwar dürfte der erste Schock bald verdaut sein, doch noch seien nicht alle Umstellungen bei den Firmen erfolgt.

Wirtschaft muss sich anpassen, Politik soll helfen

Wie die Nationalbank darauf reagieren soll, ist indes umstritten. Einen neuen Mindestkurs einzuführen, hält Sturm derzeit für schwierig. Die Schweiz werde sich wohl mit der Situation abfinden müssen. Es sehe so aus, dass sich der Wechselkurs nicht an die reale Wirtschaft anpasse. «Es wird wohl eher die reale Wirtschaft sein, die sich auf den Wechselkurs einstellen muss», sagte er.

Arbeitgeber-Präsident Vogt sieht nicht die Nationalbank in der Pflicht, sondern die Politik: «In Bern haben die Parteien noch nicht erkannt, wie angespannt die Lage ist.» Es brauche jetzt und nicht erst nach den Wahlen im Herbst «klare Signale für die Wirtschaft». Es gelte nun, pragmatische Lösungen zu finden, welche die Rahmenbedingungen für die Unternehmen nicht weiter verschlechtern.

Coop-Chef fordert neue Kursgrenze 

Einen neuen Mindestkurs würde dagegen Joos Sutter, Chef des Grossverteilers Coop, begrüssen: «Die Nationalbank sollte die Anbindung des Frankens an einen Währungskorb prüfen», sagte er im Interview mit dem «Sonntagsblick».

Coop-Chef Joos Sutter.
Coop-Chef Joos Sutter.Bild: KEYSTONE
Coop gewinnt «Heftli»-Streit
Der Boykott einiger ausländischer Zeitschriften durch Coop hat sich gelohnt. Die Verlage haben eingelenkt: Titel wie «Spiegel», «Gala» oder «Vogue» werden wegen der Frankenstärke rund 15 Prozent günstiger. Die neuen Preise sollen in den nächsten Tagen in Kraft treten.

Coop-Chef Joos Sutter gab im «Sonntagsblick» bekannt, dass sich der Grossverteiler und die Verlage geeinigt hätten. «Die italienischen Verlage reagierten schnell und senkten die Preise um rund 15 Prozent. Nun haben wir uns auch mit den deutschen Verlagen geeinigt», sagte er im Interview.

Bei einigen Zeitschriften sei der Preisabschlag höher, bei anderen tiefer. Die Regelung gelte zudem nicht nur für Coop, sondern für die ganze Schweiz.

Alle Nationalbanken der Welt betrieben eine expansive Geldpolitik, nur die Schweiz nicht. Das sei schwer nachvollziehbar. «Es ist schlicht nicht möglich, eine Preisveränderung von 15 Prozent mit Effizienzsteigerungen auszugleichen.»

Subvention ist nicht SNB-Mandat 

Eine Gegenstimme zu – meist linken – Forderungen nach einem neuen Mindestkurs hatte Ex-Nationalbank-Vize Niklaus Blattner erhoben: «Ein Kurs um die 1.05 Franken ist doch ganz erfreulich – mit Blick auf die sich zuspitzende Krise in Griechenland», sagte er «Tagesanzeiger» und «Bund» am Samstag. Es entspreche nicht dem Mandat der Nationalbank, den Wechselkurs auf Dauer zu subventionieren.

Seit die Schweizerische Nationalbank am 15. Januar 2015 den Euro-Mindestkurs aufhob, haben mehrere Unternehmen die Auslagerung oder Streichung von Arbeitsplätzen angekündigt. Die Nationalbank gibt am kommenden Donnerstag ihre geldpolitische Lagebeurteilung ab und wird sich dabei auch den Fragen der Medien stellen. Schon am Dienstag veröffentlicht das SECO seine jüngste Konjunkturprognose. (feb/sda)

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