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Der Horror macht die Sanitäter in Gaza zu Brüdern

Kinder bergen zu müssen, ist schwierig wegzustecken.
Kinder bergen zu müssen, ist schwierig wegzustecken.Bild: SUHAIB SALEM/REUTERS
Nahost-Konflikt

Der Horror macht die Sanitäter in Gaza zu Brüdern

Sie sammeln Leichenteile ein, müssen immer wieder tote Kinder bergen. Mal geraten sie in den Bombenhagel israelischer Luftangriffe oder in das Schussfeld von Heckenschützen der radikalislamischen Hamas. Der tägliche Horror von palästinensischen Rettungssanitäter.
22.07.2014, 19:1523.07.2014, 10:15
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In ihrem ärmlichen Ambulanzposten in Gaza bereiten sich palästinensische Rettungssanitäter auf ihre nächste lange Horrorschicht vor. Sie müssen mit Bombardementen und Beschuss rechnen, mit zahlreichen getöteten Zivilisten und manchmal auch mit dem Tod von Kollegen.

Inmitten der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen, mit rund 600 Toten innerhalb von zwei Wochen, sehen sie sich als «Familie», als Seelenverwandte, die mit kaum verkraftbaren Erfahrungen umgehen müssen.

Rettungssanitäter eilen zum Einsatz.
Rettungssanitäter eilen zum Einsatz.Bild: Lefteris Pitarakis/AP/KEYSTONE

Sie sammeln Leichenteile ein, müssen immer wieder tote Kinder bergen. Mal geraten sie in den Bombenhagel israelischer Luftangriffe oder in das Schussfeld von Heckenschützen der radikalislamischen Hamas. Schon mehrere von ihnen wurden verwundet.

Man gewöhnt sich daran

Dschihad Selim ist heute der Schichtführer. Trotz der seither durchgemachten Kriege und Aufstände bereut er nicht, sich vor 17 Jahren für den Beruf des Rettungsassistenten entschieden zu haben.  

 «Was wir zu sehen bekommen, ist äusserst hart. Wenn wir in die Trümmer eines Hauses kommen, kann es passieren, dass jemand eine Hand findet und sie dir mit den Worten ‹Nimm mal› weiterreicht.» 
Dschihad Selim

Dennoch möchte er nicht, dass seine Kinder den gleichen Weg einschlagen: «Was wir zu sehen bekommen, ist äusserst hart. Wenn wir in die Trümmer eines Hauses kommen, kann es passieren, dass jemand eine Hand findet und sie dir mit den Worten ‹Nimm mal› weiterreicht.» Selim fügt seufzend hinzu: «Aber man gewöhnt sich daran.» Sein Kollege Adel al-Asbut stimmt zu: «Ehrlich gesagt, ich muss damit leben. Wenn ich Leichenteile sehe, muss ich damit möglichst professionell umgehen.»

Die Sanitäter könnten sich voll aufeinander verlassen.
Die Sanitäter könnten sich voll aufeinander verlassen.Bild: FINBARR O'REILLY/REUTERS

Koordination mit dem Roten Kreuz

Der 30-Jährige hat sich während der zweiten Intifada entschlossen, Sanitäter zu werden. «Anderen Menschen zu helfen ist doch das Beste, was ein menschliches Wesen tun kann. Ich fühle mich geehrt, dass ich diese Möglichkeit habe», sagt al-Asbut.

Hinter ihm klingelt das Telefon. Familien, die nahe der israelischen Grenze wohnen, bitten verzweifelt, in Krankenwagen in Sicherheit gebracht zu werden. Aber Schichtleiter Selim kann das nur in enger Koordination mit dem Internationalen Roten Kreuz organisieren und muss vertrösten.

«Anderen Menschen zu helfen ist doch das Beste, was ein menschliches Wesen tun kann.»
Adel al-Asbut

Die Angst, dass der Notruf vom eigenen Haus kommt

Besonders nagt an den Rettungssanitätern die anhaltende Furcht, dass ein Notruf sie zum eigenen Wohnhaus führen könnte, zu ihren Frauen, Kindern oder Geschwistern. Seit die gegen den massiven Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen gerichtete «Operation Schutzlinie» am 8. Juli begann, wurden hunderte Häuser aus der Luft, von See oder per Artillerie beschossen. Nach UNO-Angaben sind zwei Drittel der 600 Opfer Zivilisten.

Am Sonntagmorgen war der Rettungssanitäter Fuad Dschaber unter den mehr als 70 Toten, die bei den Flächenbombardements von Schedschaija starben. Seine Leiche wurde von einem Konvoi aus Krankenwagen zu seinem Haus gebracht, wo Dschabers Frau und zweijährige Tochter auf ihn warteten. 

Nicht immer ist eine Tragbahre nötig.
Nicht immer ist eine Tragbahre nötig.Bild: SUHAIB SALEM/REUTERS

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Drei Kriege in sechs Jahren

Nach zwei Wochen Eskalation, in der sich Israel und die Hamas gegenüberstehen, schätzt Selim die Lage schlimmer ein als zum Jahreswechsel 2008 und 2009 oder im November 2012, den beiden letzten grossen Gewaltausbrüchen. «Aber ehrlich gesagt, empfinden wir es jedes Mal als schlimmer als zuvor. Es gibt sicherlich kein Land in der Welt, das drei Kriege in sechs Jahren durchmachen musste», sagt Selim.

«Denn jeden Moment kann das Telefon klingeln. Und wir wissen nicht, ob wir alle heil zurückkehren werden.»
Adel al-Asbut

Aber die Sanitäter könnten sich voll aufeinander verlassen, betont Selim: «Wir sind wie eine Familie und verhalten uns wie Brüder. Wir stehen das gemeinsam durch, schlafen nebeneinander ein und wachen zusammen auf, wenn in der 24-Stunden-Schicht ein Alarm ausbricht.»

Trotz allen Leides herrscht im Ambulanzposten eine entspannte Atmosphäre, die nur den Aussenstehenden wundert. Die Männer diskutieren darüber, was sie zum Iftar, dem abendlichen Fastenbrechen im Ramadan, essen wollen. Oder sie streiten darum, wer die härteste Schicht hatte.

«Es stimmt schon, dass wir versuchen, so entspannt wie möglich zu bleiben», bestätigt al-Asbut. «Denn jeden Moment kann das Telefon klingeln. Und wir wissen nicht, ob wir alle heil zurückkehren werden.» (whr/sda/afp)

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